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Arbeitsmarkt

„Wenn keine Jobs da sind, kann auch niemand einen Job finden”

Arbeit schaffen, Arbeitslosigkeit senken und arbeitslose Menschen besser unterstützen

Mehr als eine halbe Million Menschen ohne Arbeit bei 50.600 offenen Stellen – Corona ist für den massivsten Einbruch auf dem Arbeitsmarkt seit dem Zweiten Weltkrieg verantwortlich. Was der Arbeitsmarkt jetzt dringend braucht, konkretisierten ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und AK-Präsidentin Renate Anderl in einer Pressekonferenz am 15. Jänner.  

Es geht um Menschen und Schicksale.

Wolfgang Katzian, ÖGB-Präsident

Immer im Auge behalten müsse man, dass der Arbeitsmarkt nicht irgendeinen Markt ist, den man regulieren muss. „Es geht um Menschen und Schicksale”, betonte der ÖGB-Präsident. Arbeitslosen zu unterstellen, sie seien alle „Tachinierer”, sei unverschämt. „Denn wenn keine Jobs da sind, dann kann auch niemand einen Job finden”, verweist Katzian auf die geringe Anzahl offener Arbeitsplätze und stellt klar, dass „es also nicht darum geht, dass das Arbeitslosengeld zu hoch ist, sondern darum, dass die Arbeitslosigkeit zu hoch ist”.  

Auch Ö1 berichtet im Mittagsjournal am 15.01.2021 über die Forderungen von AK und ÖGB.

Kassierin verliert 670 Euro netto im Monat 

Zahlreiche Betroffene haben sich in den letzten Monaten verzweifelt an die Gewerkschaften gewandt, dass sie mit dem Arbeitslosengeld nicht auskommen. Der ÖGB hat dazu auch mehrere Beispiele durchgerechnet. 

Beispiel: So viel verliert eine Kassierin bei Arbeitslosigkeit

Einer Kassierin in der größten Beschäftigtengruppe Handel - der nicht nur aus den während der Pandemie geöffneten Supermärkten besteht - stehen laut Kollektivvertrag im dritten Jahr ihrer Tätigkeit mindestens 1.700 Euro brutto zu. Verliert sie ihre Arbeit, steht ihr ein AMS-Tagsatz von 31,17 Euro zu, das sind 935,1 Euro netto pro Monat. Das bedeutet einen Jahres-Nettoverlust von 8.039,50 Euro oder monatlich 670 Euro. 

Eine Zustimmung  zu einem degressiven Arbeitslosengeld wird es von uns nicht geben.

Wolfgang Katzian, ÖGB-Präsident

Klares Nein zu sinkendem Arbeitslosengeld 

Arbeitslose Menschen sind jetzt und waren auch vor der Corona-Krise stark armutsgefährdet. „Die Betroffene könnte eine Alleinerzieherin sein, die Miete zahlen und ihre Kinder ernähren muss. Das Beispiel verdeutlicht, wie dringend notwendig Betroffene mehr Geld brauchen, um nicht an den Rand des Existenzminimums gedrängt zu werden“, so Katzian: „Deswegen setzen wir uns weiter für eine Erhöhung des Arbeitslosengelds ein.“ Man könne schon über ein degressives Arbeitslosengeld diskutieren, „aber unsere Zustimmung wird es dafür nicht geben”, betont Katzian. 

Krise verschärft Ungleichgewicht 

Dass ArbeitnehmerInnen die Hauptlast der Krise tragen, könne nicht sein, sagt Katzian: „Die Krise hat das Ungleichgewicht verschärft: ArbeitnehmerInnen zahlen zwar 80 Prozent der Steuereinnahmen, der Löwenanteil der Staatshilfen, nämlich 62 Prozent, geht aber an Unternehmen. Es gilt also, alle Kräfte zu mobilisieren, um Maßnahmen zu schaffen, die Arbeitsplätze und damit Einkommen der ArbeitnehmerInnen sichern.” 

Wir haben viel Erfahrung mit Stiftungen, es gibt intakte Strukturen der Sozialpartner, die man nutzen könnte.

Wolfgang Katzian, ÖGB-Präsident

Pflegestiftung hilft Arbeitslosen und löst Personalbedarf  

Ein Vorschlag, der diese beiden Ziele abdeckt, ist die vom ÖGB geforderte Pflegestiftung. Der Bedarf für qualifiziertes Personal liegt nicht erst seit Corona auf der Hand, aber die Pandemie hat ihn verdeutlicht. ExpertInnen sind sich einig – die Altersstruktur der jetzt Beschäftigten und die demografische Entwicklung werden bis zum Jahr 2030 mindestens 40.000 zusätzliche Personen in der Pflege nötig machen.  

„Wir haben viel Erfahrung mit Stiftungen, es gibt intakte Strukturen der Sozialpartner, die man nutzen könnte – auch für eine bundesweite Implacement-Stiftung im Pflegebereich“, sagt Katzian. Das bedeutet: Arbeitslose werden über eine Stiftung zu Pflegekräften umgeschult. Üblicherweise zahlt der künftige Arbeitgeber einen Beitrag in diese Stiftung, damit die/der Auszubildende nicht mehrere Jahre mit der 55 Prozent Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes leben muss. 

Die Anbieter von Pflegediensten, wie Caritas, Diakonie, Volkshilfe etc., können sich das aber nicht leisten. „Deshalb sollte der Bund einspringen und sich mit den Ländern abstimmen. Macht man das nicht, hat man eine große Chance vertan, Menschen in wichtige Jobs umzuqualifizieren und das Pflegethema bleibt auch ungelöst“, erklärt der ÖGB-Präsident. 

Die Forderungen des ÖGB und der AK: 

Die Arbeitslosigkeit muss mit der gleichen Vehemenz bekämpft werden wie das Corona-Virus, sagt Katzian: „Es braucht ein großes, gemeinsames Projekt von Regierung und Sozialpartnern, das eine große Arbeitsmarktoffensive zur Überwindung der Corona-Krise und eine wirtschaftspolitische Gesamtstrategie zur Bewältigung des Strukturwandels zum Ziel hat – unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch.“ 

Arbeitslosigkeit senken 

  • Qualifizierungsoffensive, um die Chancen der ArbeitnehmerInnen im stattfindenden Strukturwandel zu erhöhen. Ganz besonderes Augenmerk muss dabei auf junge Menschen gerichtet werden. 
  • Jobgarantie für Langzeitarbeitslose. 
  • Ein personell gut ausgestattetes AMS, damit die Menschen rasch und gut vermittelt und betreut werden können. 
  • Weiterentwicklung von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten wie dem Solidaritäts-Prämienmodell, der Altersteilzeit bzw. der Kurzarbeit als Einstieg in eine Arbeitszeitverkürzung mit öffentlich gefördertem Lohnausgleich. 
  • Einführung einer bundesweiten Pflegestiftung, um Arbeitslosen eine qualitativ hochwertige Ausbildung und damit eine Zukunftsperspektive zu geben und den Bedarf von rund 40.000 Personen in der Pflege bis zum Jahr 2030 abdecken zu können. 
  • Eine dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent Nettoersatzrate – das vermeidet Armut und sichert die Kaufkraft vor allem in den Regionen und vermeidet volkswirtschaftlich schädliche Beschäftigung unterhalb der erworbenen Qualifikation. 
  • Einführung eines Covid-19-Überbrückungsgeldes für Langzeitarbeitslose über 55, um den Wettbewerb zwischen Jüngeren und Älteren bei der Jobsuche reduzieren zu können. 
  • Altersteilzeit neu gestalten, den Antritt zehn (statt wie jetzt fünf) Jahre vor dem Regelpensionsantrittsalter ermöglichen. 
  • Die Notstandshilfe wurde bis Ende 2020 auf das Niveau des Arbeitslosengeldes angehoben, diese Regelung ist ausgelaufen. Arbeitslose Menschen, vor allem Langzeitarbeitslose, haben aber gerade jetzt wenig Perspektiven – bei gleich hohen Lebenshaltungskosten. So, wie auch Unternehmen geholfen wird, muss das auch für Arbeitslose gelten, die Notstandshilfe muss wieder angehoben werden.  

Wirtschaftsentwicklung stabilisieren  

  • Forcierung der notwendigen Investitionen gegen die Klimakrise. 
  • Finanzierung des Sozialstaats sichern und ausbauen. 
  • Gemeinden den Spielraum für notwendige Investitionen geben. 
  • Solidarische europäische Antwort durch gemeinsam finanziertes, umfangreiches Investitionsprogramm, Goldene Investitionsregel und einen echten Green New Deal. 
  • Progressive Vermögensteuer statt kostspieliger Steuergeschenke an die oberen 100.000.