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Gesundheitssystem

Kassenfusion: Arbeitgeber entscheiden alleine

Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB, befürchtet Leistungskürzungen und Selbstbehalte

Das neue Buch „Selbstverwaltung“ beschäftigt sich mit der Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und deren Auswirkungen auf die PatientInnen. Wie der Buchtitel verrät, haben die Autoren Nikolaus Dimmel und Tom Schmid den Schwerpunkt auf die Selbstverwaltung gelegt. Denn durch die Kassenreform kommt es zu einer Machtverschiebung zugunsten der Arbeitgeber. Diese entscheiden künftig über die Leistungen der ArbeitnehmerInnen. Anlässlich der heutigen Buchpräsentation hat oegb.at bei Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB, nachgefragt, welche Ziele und Interessen die Arbeitgeber in diesem Zusammenhang verfolgen.

oegb.at: Mit der Zusammenführung der Krankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) übernehmen die Arbeitgeber die Kontrolle über die zuvor von den ArbeitnehmerInnen selbstverwaltete Krankenversicherung. Welches Interesse steckt dahinter?

Ingrid Reischl: Warum die Arbeitgeber die Kontrolle über die Krankenkassen übernehmen wollen, ist nicht schwer zu erraten: Die zukünftige ÖGK wird ein Budget von über 14 Milliarden Euro haben und ohne die Arbeitgeber kann das zukünftige Gremium, der Verwaltungsrat, keine Entscheidung treffen. Hinzu kommt, dass es im neuen Dachgremium sechs Arbeitgeber-VertreterInnen, aber nur vier Arbeitnehmer-VertreterInnen, geben wird. Und dieses Gremium kann zum Beispiel entscheiden, dass alle Versicherten Selbstbehalte zahlen müssen. 

oegb.at: Es geht also um Geld?

Reischl: Es geht um viel Geld. Es geht aber vor allem um die Versorgung der Menschen. Darum ist es besonders absurd, dass jetzt als höchster Krankenversicherer ein Kärntner Hotelier, der selbst nicht einmal bei der ÖGK versichert ist, über die Gesundheitsversorgung von über sieben Millionen Menschen entscheidet.

oegb.at: Welche Auswirkungen auf PatientInnen erwartest du durch die Fusion?

Reischl: Ein funktionierendes Gesundheitssystem muss über ausreichend Geld verfügen und dieses Geld muss bei der Versorgung der Menschen ankommen. Aber mit der Zusammenlegung wird den Krankenkassen Geld entzogen – und zwar rund eine Milliarde Euro. Das wird unweigerlich irgendwann zu spüren sein. Deshalb ist zu befürchten, dass es zu Leistungskürzungen bei PatientInnen kommt oder diese durch Selbstbehalte zur Kasse gebeten werden. Und das müssen wir verhindern.

Oegb.at: Was erwartest du von einer neuen Bundesregierung?

Reischl: Der ÖGB fordert, dass in der Sozialversicherung der ArbeitnehmerInnen ebendiese das Sagen haben – und nicht die Arbeitgeber. Denn die Versicherten sind die ArbeitnehmerInnen. Und es kann nicht sein, dass die Arbeitgeber darüber bestimmen, welche Leistungen die ArbeitnehmerInnen bekommen.

Und was sagen die Parteien, sollen ArbeitnehmerInnen in ihrer Sozialversicherung selbst bestimmen können?

Der ÖGB nach nachgefragt!Im Vorfeld der Nationalratswahl 2019 hat der ÖGB alle wahlwerbenden Parteien gefragt: „Sollen ArbeitnehmerInnen in ihrer Sozialversicherung selbst bestimmen können?“. Ein klares Ja kommt von der SPÖ, der Liste JETZT, den Grünen, der KPÖ und den NEOS. Letztere fordern zusätzlich, dass die Versicherten künftig über Sozialwahlen ihre VersichertenvertreterInnen direkt wählen können sollen.

Keine eindeutige bzw. keine Antwort gibt es von der FPÖ und der ÖVP. Die FPÖ schreibt lediglich: „Die aktuelle gesetzliche Grundlage in der Sozialversicherung garantiert den Arbeitnehmervertretern die Mitbestimmung, dies soll beibehalten werden.“ Offensichtlich ist die FPÖ also gegen eine Selbstbestimmung der ArbeitnehmerInnen. Genauso die ÖVP, die die Frage erst gar nicht beantwortet hat, und in einer stattdessen übermittelten Stellungnahme schreibt: „Im Prozess der Erarbeitung der Reform der Sozialversicherungsträger war es uns ein besonderes Anliegen, dass die speziellen Anforderungen der beteiligten Interessensgruppen in den einzelnen Versicherungssparten berücksichtigt werden. Es war uns auch wichtig, die Selbstverwaltung beizubehalten.“ Darüber, dass ArbeitnehmerInnen in ihrer eigenen Sozialversicherung das Sagen haben sollten, verliert die ÖVP kein Wort.

Auch der Wandel hat die Frage nicht beantwortet – mit der Begründung, die Formulierung der Frage sei unklar.

Veranstaltungs-Tipp
Buchpräsentation "Selbstverwaltung" mit anschließender Podiumsdiskussion

TeilnehmerInnen: Alois Stöger, Abg.z.NR, Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB, und Autoren Nikolaus Dimmel und Tom Schmid

Wann: 19. September 2019, 18.30 bis 20.30 Uhr
Wo: Fachbuchhandlung des ÖGB-Verlags, Eingang Universitätsstraße
Rathausgasse 21, 1010 Wien