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Aufnahmetest zum Medizinstudium in Österreich
APA/Erwin Scheriau

Wer Geld hat, hat Chancen

17.823 junge Menschen versuchen auch 2021, einen der nur 1.740 Studienplätze in Human- und Zahnmedizin in Wien, Innsbruck, Graz und Linz zu ergattern und stellen sich einem achtstündigen Aufnahmetest. Für weniger als zehn Prozent der KandidatInnen wird der Traum vom Medizinstudium danach in Erfüllung gehen. Das ist nicht nur enttäuschend für alle, die keinen Studienplatz ergattern, sondern auch sozial ungerecht. Denn Chancengleichheit existiert – wie bei vergleichbaren Selektionen – bestenfalls auf dem Papier.

Aufnahmetests bieten keine faire Chance

Susanne Hofer, Vorsitzende der Österreichischen Gewerkschaftsjugend ÖGJ, hat eine deutliche Meinung dazu: „Bildung ist in Österreich leider immer noch vererbbar und eine derartige Selektion verstärkt die soziale Ungerechtigkeit und nimmt den betroffenen Kindern und Jugendlichen ihre faire Chance.” Denn getestet wird nicht das Potenzial, sondern vor allem schulisches Wissen aus Biologie, Chemie, Physik und Mathematik. Und da sind eben nicht alle gleich. Für den Österreichischen Gewerkschaftsbund und Hofer ist nicht zuletzt deshalb klar: „Wir lehnen Aufnahmetests und andere Zugangsbeschränkungen für Universitäten ab”, so die ÖGJ-Vorsitzende.

ÖGJ-Vorsitzende Susanne Hofer fordert freien Zugang und Chancengleichheit.

Wir lehnen Aufnahmetests und andere Zugangsbeschränkungen für Universitäten ab.

Susanne Hofer, ÖGJ-Vorsitzende

Wer Geld hat, hat bessere Chancen

Gerne wird von verantwortlicher Stelle darauf verwiesen, dass die teuren Vorbereitungskurse keinen Effekt hätten. Dem widersprechen nicht nur die Anbieter, sondern auch der gesunde Hausverstand. Natürlich macht es einen Unterschied, ob man sich vorbereitet oder nicht. „Wer das bestreitet, müsste seinen Kindern auch sagen, dass Lernen nichts bringt”, merkt Hofer an. Und – no na – ist man besser vorbereitet, wenn man in den Monaten vor der Aufnahmeprüfung für den Aufnahmetest trainiert wird, Prüfungssimulationen inklusive. Die Folge: Laut einem Kurs-Anbieter würde rund ein Drittel aller BewerberInnen einen Vorbereitungskurs besuchen, danach aber mit 55 Prozent mehr als die Hälfte aller StudienanfängerInnen stellen.

Der Regierung fehlt vermutlich die Vorstellungskraft, dass es Menschen gibt, für die 110 Euro sehr viel Geld ist.

Susanne Hofer, ÖGJ-Vorsitzende

 

Der Aufnahmetest selbst kostet übrigens 110 Euro, offiziell als „Kostenbeteiligung” bezeichnet. „Alleine schon diese Kosten stellen traurigerweise für viele Menschen in Österreich eine große Hürde dar, auch wenn der Regierung vermutlich die Vorstellungskraft fehlt, dass es Menschen gibt, für die so ein Betrag sehr viel Geld ist”, stellt Susanne Hofer klar. Zusammen mit Vorbereitungskursen kommen so schnell Gesamtkosten von 1.000 Euro und mehr zusammen – viele junge Menschen sind so de facto von der Teilnahme ausgeschlossen. Damit wird deutlich, dass es keine Chancengleichheit gibt. Natürlich könnte man auch auf einer Privatuniversität studieren. Das kostet dann um die 80.000 Euro und spätestens hier ist dann hoffentlich jedem klar, dass der Traum vom Arztberuf nicht nur an den Fähigkeiten der BewerberInnen hängt.

Chancengleichheit ist nicht verhandelbar

Es geht dabei nicht um einen sogenannten „Aufstieg”, sondern darum, unzählige Kinder und Jugendliche in Österreich nicht von vornherein und ohne ihre Schuld auszuschließen. „Es muss für alle möglich sein, das eigene Potenzial unabhängig von Einkommen, Beruf oder der Herkunft der Eltern zu entfalten. Am Ende bleiben sonst die Träume und Ziele von Kindern und Jugendlichen auf der Strecke und deren gewaltiges Potenzial ungenützt”, warnt ÖGJ-Vorsitzende Hofer. „Chancengleichheit und freier Zugang zu Bildung sind für uns ein nicht verhandelbares Merkmal einer sozialen und gerechten Gesellschaft”, stellt sie außerdem klar.
 

Allen Kindern muss der gleiche Zugang zur Bildung offenstehen. Das derzeitige Schulsystem wirkt in hohem Maße sozial selektiv. (…) Insbesondere Kinder aus ArbeitnehmerInnenfamilien mit niedrigem oder mittlerem Bildungsniveau bzw. niedrigem Einkommen sind in weiterführenden Schulformen deutlich unterrepräsentiert. Unabhängig vom familiären und soziokulturellen Hintergrund muss effektive Chancengerechtigkeit bestehen.
ÖGB-Grundsatzprogramm 2018-2023

Klare Linie im ÖGB-Grundsatzprogramm

Auf mangelnde Kapazitäten mit einer sozial ungerechten Begrenzung des Zugangs zu reagieren, schafft Eliten, die über Generationen ihre Stellung ausbauen, und löst keine Probleme im Bildungssystem oder der Gesellschaft.

Die Konzentration des Studienwahlverhaltens auf wenige Studienrichtungen kann nicht mit der Forderung nach Zugangsbeschränkungen beseitigt werden. Vielmehr gilt es, im Sinne einer Qualitätssteuerung, interessen- und fähigkeitsgelenkte Steuerungseffekte bei der Studienwahl zu etablieren. Der Fokus muss auf einer Erhöhung der Abschlüsse liegen, anstatt einer alleinigen Reduktion der StudienanfängerInnen.
ÖGB-Grundsatzprogramm 2018-2023

Statt einen freien Zugang zu Bildung zu ermöglichen, wird mit den Aufnahmetests für diverse Fächer an Österreichs Hochschulen vor allem eines erreicht: Das Problem der katastrophalen Unterfinanzierung des heimischen Bildungssystems wird zugedeckt. 

Die finanzielle Ausstattung der Universitäten ist unzureichend. Das Budget für die Hochschulen muss sicherstellen, dass alle Studierenden ihr Wunschstudium beginnen können.
ÖGB-Grundsatzprogramm 2018-2023

17.823 BewerberInnen für 1.740 Studienplätze

Alle Fakten zu den Aufnahmetests für das Medizinstudium

Bewerber: 17.823 insgesamt

Studienplätze: 1.740 aufgeilt auf Wien (740), Innsbruck (400), Graz (360), Linz (240)

Verteilung der Plätze: 75 Prozent an KandidatInnen mit österreichischem Maturazeugnis, 20 Prozent EU, 5 Prozent Drittstaaten (Humanmedizin), keine Quoten gibt es in Zahnmedizin

Prüfungsdauer: ca. 8 Stunden inklusive Pausen

Kosten: 110 Euro