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Gesundheit und Krankheit am Arbeitsplatz

Schlechte Arbeitsbedingungen betreffen uns alle

Corona-Gefahr und Gier werden zum Problem für die gesamte Gesellschaft

Corona ist auch eine soziale Frage: Wer gut verdient, hat auch gute Chancen auf Homeoffice. Wer aber schlecht bezahlt wird, LeiharbeiterIn ist oder in fragwürdigen Unterkünften wohnen muss, der kann das in der Regel nicht. Wer mit einem Bein in einer rechtlichen Grauzone arbeitet, ist auch deutlich gefährdeter, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Beispiele dafür gibt es genug: Schlachthöfe der Fleischindustrie, Postverteilzentren, ErntearbeiterInnen oder die Saisongastronomie, um nur einige zu nennen.

Die Gefahr im Tourismus

Der Corona-Cluster in St. Wolfgang ist nur das jüngste Beispiel, Ischgl das bekannteste. Im Salzkammergut breitete sich das Virus rasant aus – vor allem unter Praktikanten, also den billigsten Arbeitskräften. Der Tiroler Skiort Ischgl hatte den Verlauf der Pandemie in Österreich und Europa spätestens ab März sogar maßgeblich gestaltet: Am 9. April waren laut einer Auswertung der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) 57 Prozent aller heimischen Corona-Fälle dorthin zurückzuverfolgen. Mittlerweile konnte die Uni Innsbruck nachweisen, dass fast 43 Prozent aller BewohnerInnen über Antikörper verfügen, also infiziert waren – der Weltrekordwert, der auch belegt: Die Probleme der schlecht oder gar nicht bezahlten MitarbeiterInnen und PraktikantInnen werden spätestens im Krisenfall zum Problem der gesamten Gesellschaft.

Und wie Ischgl gezeigt hat: Die Verantwortung den ArbeitnehmerInnen gegenüber wird schnell vergessen. Es sei völlig klar, dass sich die ArbeitgeberInnen an die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen halten müssten, erinnert Berend Tusch von der Gewerkschaft vida. „Müssen Hotels zusperren, ist es nicht zu akzeptieren, dass Saisonbeschäftigte einfach auf die Straße gesetzt werden. Es gibt Dinge wie Kündigungsfristen und vieles mehr”, so Tusch weiter. Ischgl hat bewiesen, dass diese Erinnerung – leider – nötig ist. Die – oft erzwungene – fluchtartige Abreise sorgte außerdem dafür, das Virus im ganzen Land zu verteilen.  

Corona-Brutstätte im Schlachthof

Der Tourismus ist aber nicht das einzige Corona-Minenfeld: Das Thema Fleischindustrie und Schlachthöfe wird gerne mit dem Tönnies-Skandal in Deutschland assoziiert. Weit mehr als 2.000 Corona-Fälle sind deshalb mittlerweile bekannt. Dass deutsche Tönnies-Schweine zu Tiroler Speck werden, ist aber nicht die einzige grenzübergreifende Verbindung. Auch das Corona-Problem ist rasch in Österreichs Schlachthöfen angekommen. Dutzende Erkrankungen und hunderte Menschen in Quarantäne lautet die bisherige Bilanz in Ober- und Niederösterreich. Und wieder ist eine Branche betroffen, deren Arbeitsbedingungen oft mehr als bedenklich sind. Vielen ArbeitnehmerInnen würden am Ende des Monats gerade einmal 900 Euro bleiben, berichtet Branchenexperte Erwin Kinslechner von der Produktionsgewerkschaft PRO-GE. In einem beispielhaften Fall mussten sich etwa sechs Arbeiter 15 Quadratmeter teilen und für eine Matratze auf dem Boden sogar noch 100 Euro monatlich zahlen. Es gehe dabei längst nicht nur um schwarze Schafe, „sondern um ein System, das man nicht in den Griff bekommt”, so Kinslechner.

Post verteilte auch das Virus

Auch in den Postverteilzentren Inzersdorf und Hagenbrunn gab es hunderte Corona-Fälle. Und wieder einmal rücken die Arbeitsbedingungen in den Fokus: Statt Menschen in Zeiten von Rekord-Arbeitslosigkeit anzustellen, sparte man viel Geld mit billigen Leiharbeitern und laschen Maßnahmen zu deren Schutz. Ganz nebenbei dient dieses Vorgehen auch noch als große Warnung beim Thema Privatisierung. GPA-djp-Vorsitzende Barbara Teiber fordert schon länger eine Begrenzung von Zeitarbeitskräften auf zehn Prozent – und weiß: „Die aktuelle Krise zeigt weltweit auf, dass überall dort, wo prekäre Arbeitsbedingungen herrschen, die Infektionsgefahr besonders groß ist.”

Gefährliche Unterkünfte in der Landwirtschaft

Die ErntearbeiterInnen und die erschreckenden Bedingungen, unter denen sie arbeiten und leben müssen, sind ein weiteres Beispiel. Tausende ÖsterreicherInnen hatten sich online als ErntehelferInnen angeboten, genommen wurden traditionell Billigst-Arbeitskräfte, die man teils sogar extra einfliegen ließ – und wenig überraschend: Es kam zu Infektionen in überfüllten Mini-Unterkünften. Erst vor wenigen Tagen wurden in Bayern unmittelbar an Österreichs Grenze 200 Fälle in einem Betrieb entdeckt, mehr als 500 Menschen mussten in Quarantäne.  

Zuletzt kam es in Vorarlberg zu Corona-Fällen unter Leiharbeitern. Diese würden häufig ausgebeutet, mussten mitunter Antrittsgelder für die Vermittlung und völlig überteuerte Massenunterkünfte zahlen, kritisiert Reinhard Stemmer, Vorarlbergs ÖGB-Landesvorsitzender. „Dahinter steckt ein Geschäftsmodell, um Gewinne zu generieren”, so Stemmer. Wer hier mitmache, gefährde die Bevölkerung und müsse „zur Rechenschaft gezogen werden”. Kontrollen seien aber zum Teil gar nicht möglich, schlägt Stemmer Alarm: „Arbeitsinspektorat und Finanzprokuratur werden personell ausgehungert”, warnt er.  

Schlechte Arbeitsbedingungen sorgen für große Gefahr

Gemeinsam haben diese Beispiele: In Branchen, in denen zumindest teilweise eine Kultur katastrophaler Arbeitsbedingungen herrscht, in denen ArbeitgeberInnen regelmäßig die Grenze zur Ausbeutung überschreiten, ist auch die Gefahr eines Corona-Ausbruchs deutlich größer. Und spätestens dann wird die Behandlung der ArbeitnehmerInnen zu einem für alle spürbaren gesellschaftlichen Problem. Für Thomas Grammelhofer, Leiharbeitsexperte der Produktionsgewerkschaft PRO-GE, hätten unter anderem die Fälle in den Postverteilzentren klar gezeigt, dass Arbeitnehmerschutz und Hygienemaßnahmen passen müssten, um die Ansteckungsgefahr bei Leiharbeitern und Stammpersonal gering zu halten. Denn klar ist für ihn: „Leiharbeiter sind nicht die Seuchenvögel der Nation.”