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Der ÖGB führt Österreich seit 79 Jahren aus jeder Krise

Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine stieg in Österreich die Inflation und löste eine Teuerungswelle aus. Es war nicht die erste Krise, die Sozialpartner, Regierung und Menschen in Österreich vor Herausforderungen stellt, aber sicher einer der größten seit dem Jahr 1945. Die Antworten auf die jeweiligen Krisen waren genauso vielfältig wie die Auslöser. Eine Konstante bei der Bekämpfung der Krisen war und ist immer: der ÖGB und die Gewerkschaften. Ein Rückblick.

 Im Jahr 1946 verteilte die Österreichische Gewerkschaftsjugend warme Winterkleidung an Lehrlinge (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)
Im Jahr 1946 verteilte die Österreichische Gewerkschaftsjugend warme Winterkleidung an Lehrlinge (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)

Wiederaufbau 1945-1955

Im Jahr 1945 lag nicht nur das Land in Trümmern, sondern auch alle für eine funktionierende Demokratie notwendigen Organisationen. Deren Wiederaufbau begann bereits während der letzten Kriegstage mit der provisorischen Staatsregierung am 27. April 1945, der Gründung des ÖGB im April 1945, der Arbeiterkammern im Juli 1945 und schließlich der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft im Juli 1946. Kurz darauf entstand die Sozialpartnerschaft. Staat wie Sozialpartner standen vor einer großen Herausforderung: dem Wiederaufbau Österreichs, eines Landes, in dem es an allem fehlte.

AEG-Union wird im Jahr 1955 von der USIA an die österreichische Regierung übergeben (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)
AEG-Union wird im Jahr 1955 von der USIA an die österreichische Regierung übergeben (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)

Der ÖGB und die Gewerkschaften waren beim Aufbau der Zweiten Republik auf mehreren Ebenen wichtige Akteure.Sie leisteten Direkthilfe für Menschen, indem sie bei der Vermittlung von Arbeitsplätzen halfen oder Lebensmittel und Kleidung verteilten und sofort begannen Kollektivverträge zu verhandeln und neu entstandene Betriebsratskörperschaften zu unterstützen.

Aufbau der Sozialversicherung in den Nachkriegsjahren (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)
Aufbau der Sozialversicherung in den Nachkriegsjahren (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)

Nach den ersten Nationalratswahlen am 25. November 1945 beschloss der ÖGB am 7. Dezember ein umfangreiches Forderungsprogramm, das den drei politischen Parteien (SPÖ, ÖVP und KPÖ) und dem designierten Bundeskanzler Leopold Figl (ÖVP) übergeben wurden.

 	 ÖGB-Präsident Johann Böhm (links außen), George C. Marshall (Mitte links), Sozialminister und Metallgewerkschafter Karl Maisel (Mitte rechts) (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)
ÖGB-Präsident Johann Böhm, George C. Marshall, Sozialminister und Metallgewerkschafter Karl Maisel (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)

Das Programm umfasste etwa die Wiederherstellung und Verbesserung der Sozialgesetzgebung der Ersten Republik, die Schaffung einer ausreichenden Alters- und Invalidenversicherung, die Angleichung einzelner sozialrechtlicher Bestimmungen der ArbeiterInnen an jene der Angestellten, die Selbstverwaltung bei allen Sozialversicherungsträgern sowie bei den Arbeitsämtern und die Schaffung eines modernen Betriebsrätegesetzes sowie die Verbesserung der Ernährungslage und die Behebung der Wohnungsnot.

ÖGB organisiert Hilfstransporte für Geflüchtete. (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)
GB organisiert Hilfstransporte für Geflüchtete. (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)

Auf Druck des ÖGB und der Gewerkschaften konnte ein Großteil der Forderungen relativ schnell umgesetzt werden. Der Kaloriensatz pro NormalverbraucherInnen wurde sukzessive angehoben und es wurden Wohnungen gebaut. Die Regierung verabschiedete u. a. im Jahr 1947 das Betriebsrätegesetz und das Kollektivvertragsgesetz, im Jahr 1949 das Arbeitslosenversicherungsgesetz und im Jahr 1955 das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz. Die Angleichung der sozialrechtlichen Bestimmungen der ArbeiterInnen an jene der Angestellten dauerte aber bis ins Jahr 2017. Die Selbstbestimmung der Sozialversicherungsträger bestand bis ins Jahr 2019, bis sie von der schwarz-blauen Regierung ausgeschaltet wurde.

Schließlich waren es in der Nachkriegszeit große Hilfsaktionen, wie der Marshall-Plan, politische Leistungen wie die Errichtung des Sozialstaates, aber auch viele kleine Aktivitäten, wie die Ausgabe von Schuhen und Kleidung durch die Österreichische Gewerkschaftsjugend, die Menschen wie Betriebe unterstützten. Sozialpartner und der Staat bekämpften u. a. gemeinsam die steigende Inflation mit Lohn-Preis-Abkommen sowie mit Gesetzen gegen Preiswucher und in den Jahren 1952 und 1953 die hohen Arbeitslosenzahlen mit dem Ausbau der Sozialpolitik, der Finanzierung von Wohnhausbauten und Infrastrukturprojekten.

Revolution von 1956

Am 23. Oktober 1956 demonstrierten Studierende friedlich in Budapest. Sie forderten eine demokratische Veränderung. Die Regierung antwortete mit Schüssen in die Menge, ein offener Kampf begann und endete in einer neuen Regierung, die aus dem Warschauer Pakt austrat und die Neutralität Ungarns erklärte. Daraufhin schickten die Sowjets ihre Armee und die Revolution wurde niedergeschlagen. Es folgten Verhaftungen und hunderttausende UngarInnen flüchteten – rund 190.000 davon nach Österreich. In Erinnerung an die eigene Not nach 1945 stellte die österreichische Regierung, Arbeiterkammern, der ÖGB und Hilfsorganisationen sofort Geld- und Sachspenden zur Verfügung.

Der Internationale Bund der freien Gewerkschaften begann mit Hilfsaktionen und der ÖGB und der Arbeiterkammer-Tag stellten als Soforthilfe jeweils 250.000 Schilling zur Verfügung und riefen Mitglieder zum Spenden auf. Insgesamt wurden sieben Millionen Schilling gesammelt, mit denen der ÖGB Medikamente und Lebensmittel kaufte. Einen Teil der Hilfsgüter transportierte der ÖGB nach Ungarn, der Rest wurde an die Geflüchteten in Österreich verteilt. Viele von ihnen wurden in Kasernen untergebracht, andere in den Erholungsheimen des ÖGB.

Die meisten UngarInnen verließen Österreich wieder, aber jene die blieben, wurden als dringend benötigte Arbeitskräfte Teil des Wirtschaftswunders in den 1960er-Jahren.

Ölpreiskrise führt auch in Österreich zu Ölknappheit (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)
Ölpreiskrise führt auch in Österreich zu Ölknappheit (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)

Ölpreiskrise 1973

Der Jom-Kippur-Krieg im Herbst 1973 löste die Ölpreiskrise aus. Ägypten, Syrien und weitere arabische Staaten griffen am höchsten jüdischen Feiertag Israel an. Gleichzeitig drosselte die Organisation der arabischen Erdöl exportierenden Staaten die Rohöl-Fördermenge, um so Druck auf die Unterstützerländer Israels auszuüben. Der Ölpreis stieg um bis zu 70 Prozent und löste in den Industriestaaten eine schwere Rezession aus.

Österreich antwortete auf die Ölpreiskrise 1973 mit dem Austro-Keynesianismus, bestehend aus Vollbeschäftigungspolitik, produktivitätsorientierter Lohnpolitik, öffentlicher Aufträge für die Privatwirtschaft, Exportsubventionen, Förderung der verstaatlichen Industrie, Hartwährungspolitik und Ausbau des Systems sozialer Sicherung.

Auf Druck des ÖGB war schon im Jahr 1969 die schrittweise Arbeitszeitverkürzung auf 40 Wochenstunden bis ins Jahr 1975 im Nationalrat beschlossen worden, und das machte sich nun in der Krisenzeit bezahlt. Während der Weltwirtschaftskrise stiegen in vielen Ländern die Arbeitslosenzahlen. Nicht so in Österreich, hier trug die Arbeitszeitverkürzung dazu bei, dass in den folgenden Jahren rund 200.000 Arbeitsplätze neu geschaffen wurden bzw. von der Krise bedrohte erhalten blieben.

Im Jahr 1973 konnte die Regierung sogar eine Rekordbeschäftigung und ein hohes Wirtschaftswachstum vermelden und die Gewerkschaften konnten berichten, dass trotz der Preissteigerungen die Realeinkommen der ArbeitnehmerInnen gestiegen waren und somit auch die Kaufkraft.

 	 Eine der ÖGB-Forderungen war die Verlängerung des Urlaubsanspruchs. (Quelle: ÖGB-Plakat-Archiv)
Eine der ÖGB-Forderungen war die Verlängerung des Urlaubsanspruchs. (Quelle: ÖGB-Plakatarchiv)

Während in anderen Ländern Sparpakete zur Verschärfung der Lage der ArbeitnehmerInnen führten und die Sozialpolitik stagnierte, wurde diese in Österreich auf Druck des ÖGB und der Gewerkschaften ausgebaut. In den 1970er-Jahren wurden eine Vielzahl von gewerkschaftlichen Forderungen in Gesetze gegossen, etwa: das Engeltfortzahlungsgesetz (1974), das Arbeitsverfassungsgesetz (1974), das Familienrecht (1975), das einheitliche Urlaubsrecht für ArbeiterInnen und Angestellte und die Pflegefreistellung (1977),  das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz (1977), die stufenweise Angleichung der Abfertigungsregeln der ArbeiterInnen an jene der Angestellten in Kraft (1978) und das Gleichbehandlungsgesetz (1979).

Auch bei der zweiten Ölpreiskrise 1979/1980 setzen ÖGB, Gewerkschaften und die Regierung auf den Ausbau der Sozialgesetzgebung: Neuregelung der Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnenvertretung in Aufsichtsräten (1980), das Nachtschicht-Schwerarbeitsgesetz

(1981) und die Bundesgesetze über die etappenweise Verlängerung des Mindesturlaubs von vier auf fünf Wochen (1983) und das Arbeitsruhegesetz (1984).

 	 Demonstration während der Weltfinanzkrise im Jahr 2009 (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)
Demonstration während der Weltfinanzkrise im Jahr 2009 (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)

Weltfinanzkrise 2007/2009

Die Finanzkrise begann mit dem Platzen der Immobilienblase in den USA im Jahr 2007, verschärfte sich im September 2008 mit der Insolvenz der viertgrößten US-Investmentbank Lehman Brothers und führte schließlich zur größten globalen Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg – Umsätze brachen ein, Banken krachten und die Arbeitslosenzahlen stiegen.

Die österreichische Regierung (SPÖ-ÖVP) rettete nicht nur Banken, sondern verabschiedete auch zwei Konjunkturbelebungspakete (2008 und 2009) und konnte dadurch den Konjunktureinbruch verringern, was wiederum dazu beitrug, dass rund 41.500 direkt von der Krise gefährdete Arbeitsplätze erhalten blieben. Ein Teil der staatlichen Maßnahmen führte auch zur Erhöhung der verfügbaren Einkommen von Privathaushalten, etwa durch die Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer, das Familienpaket, die Absetzbarkeit von Spenden und die Ökoprämie. Für Klein- und Mittelbetriebe gab für die Überbrückung der Krise die Mittelstandsmilliarde.

Aktionismus während der Weltwirtschaftskrise Jahr 2009 (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)
Aktionismus während der Weltwirtschaftskrise Jahr 2009 (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)

Eine Sozialpartnervereinbarung ermöglichte es unter gewissen Voraussetzungen in Betrieben Kurzarbeit samt Qualifikationsmaßnahmen einzuführen. Die ersten Kurzarbeits-Anträge gingen beim AMS im Oktober 2008 ein. Der Höhepunkt wurde mit fast 57.000 KurzarbeiterInnen im April 2009 erreicht. Insgesamt nutzten 250 Betriebe die Möglichkeit der Kurzarbeit. Trotz aller Maßnahmen waren im August 2009 rund 300.000 Menschen arbeitslos.

Wie schon bei den vorangegangenen Krisen war es wieder der ÖGB, dem es mit viel Überzeugungsarbeit gelang, für ArbeitnehmerInnen Verbesserungen zu erreichen: Im Jahr. 2007 den Mehrarbeitszuschlag für Teilzeitbeschäftigte und die soziale Absicherung der Freien DienstnehmerInnen sowie die Ausbildungsgarantie für Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr; im Jahr  2009 die Dienstleistungsrichtlinie, eine Steuerreform und mehrere Arbeitsmarktpakete; im Jahr 2010 die Bedarfsorientierte Mindestsicherung, im Jahr 2011 die betriebsinterne Legung von Einkommensberichten sowie das Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping und im Jahr 2013 die Reform der Kurzarbeit. Letzteres machte sich in der Corona-Krise bezahlt.

Und natürlich auch die Vereinbarung vom 2. Juli 2007 zwischen dem ÖGB und der WKÖ zur Umsetzung von 1.000 Euro Mindestlohn in allen Kollektivverträgen. Auch wenn dazu drei Streiks, über 160 Warnstreiks und mehr als 3.000 Protestaktionen notwendig waren, gelang es, dass innerhalb kürzester Zeit die Mindestlöhne nicht nur auf 1.000, sondern auf 1.300 Euro angehoben wurden. Momentan arbeiten GewerkschafterInnen an der Erhöhung aller Mindestlöhne auf 1.500 bzw. 1.700 Euro.

Mehr dazu

Coronakrise 2020

Im Dezember 2019 kamen aus dem fernen China die ersten Berichte über den neuen Corona-Virus – SARS-CoV-2. Zwei Monate später, am 25. Februar 2020, sprach die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstmals vom „pandemischen Potenzial“ des Coronavirus – und der erste Fall wurde in Österreich registriert.

Die Sozialpartner reagierten schnell und verhandelten bereits Mitte März eine Vereinbarung über Kurzarbeit aus. Der Nationalrat beschloss seit dem 15. März eine Vielzahl von neuen Gesetzen oder änderte bestehende. Diese beinhalteten unter anderem Ausgangsbeschränkungen für Menschen, Regelungen zur Kurzarbeit, bezahlte Sonderbetreuungszeiten, damit Kinder unter 14 Jahren zu Hause betreut werden konnten und Unterstützungsfonds für kleine wie große Unternehmen.

Teuerungswelle seit 2022

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die damit ausgelöste hohe Inflation und anhaltende Teuerungswelle beschäftigten ab 2022 den ÖGB und die Gewerkschaften. Um die Kaufkraft der arbeitenden Menschen zu erhalten, schlossen die Gewerkschaften – unter Zuhilfenahme gewerkschaftlicher Kampfmaßnahmen - Erhöhungen der kollektivvertraglichen Mindestlöhne bzw. -gehälter um bis zu 15 Prozent ab und erreichten Verbesserungen im Rahmenrecht. Gemeinsam mit Beschäftigten und Betriebsräten gingen Gewerkschafter:innen lautstark auf die Straße, organisierten Aktionswochen und eine Menschenkette, um für bessere Arbeitsbedingungen und Regierungsmaßnahmen gegen die Teuerung aufzustehen. Ausgedehnte Streikmaßnahmen waren notwendig, um eine faire Bezahlung, leistbares Leben und mehr Wertschätzung für die arbeitenden Menschen zu erkämpfen.

Der ÖGB und die Gewerkschaften waren, sind und bleiben die Stimme der Arbeitnehmer:innen. Was bisher bereits gelungen ist, gibt es hier nachzulesen.

Wie sich zeigt, hat der ÖGB seit seiner Gründung vor 79 Jahren in den Krisen immer eine bedeutende Rolle eingenommen, so auch bei der Teuerungswelle. Dabei war und ist es entscheidend, wie stark ÖGB und Gewerkschaften sind.

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