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ÖGB

Edgar Martin, Personalvertreter im KAV/ Rudolfstiftung

Gewalt in Spitälern nicht totschweigen

Dort, wo Menschen mit Menschen zu tun haben, wie etwa im Gesundheitsbereich, kann es immer wieder zu Gewalt kommen. „Das Thema Gewalt im Gesundheitsbereich wurde lange Zeit totgeschwiegen. Viele waren der Meinung, dass das ein Teil der Arbeit ist und man darüber nicht redet“, erklärt Edgar Martin, Personalvertreter des KAV (Krankenanstaltenverbund) im Gespräch mit oegb.at.

oegb.at: Immer wieder sind Beschäftigte im Gesundheitsbereich Gewalt und Aggressionen ausgesetzt. Wie beurteilst du die aktuelle Situation?

Edgar Martin: Auf jeden Fall kann man sagen, dass es jede und jeden Beschäftigten treffen kann. Genaue Zahlen haben wir derzeit nicht. Genau aus diesem Grund hat der KAV eine Umfrage unter seinen 30.000 MitarbeiterInnen zu Thema Gewalt gestartet. Es ist aber jetzt schon so, dass immer mehr Beschäftigte auf uns zu kommen, weil sie unter diesen Umständen nicht länger arbeiten wollen. Sie wünschen sich, dass bereits im Vorfeld Maßnahmen gesetzt werden, damit Gewalt erst gar nicht entsteht und ein Aggressionsereignis so sicher wie möglich für alle Beteiligten über die Bühne geht.

Welche Erkenntnisse erhofft man sich konkret von der Umfrage?

Zum einen, wie groß das Problem wirklich ist, wie viele Beschäftigte und welche Berufsgruppen betroffen sind. Zum anderen könnten wir dann mit einer nächsten Erhebung tiefgreifenderen Fragen nachgehen: Passiert Gewalt an bestimmten Wochentagen, zu einer bestimmten Uhrzeit? Erst dann, wenn wir das wissen, können wir auch geeignete Maßnahmen setzen, um Gewalt gar nicht entstehen zu lassen.

Inwiefern werden bereits jetzt Wünsche, aber auch Sorgen der Beschäftigten vom Dienstgeber ernst genommen?

Neben der Umfrage, an der wirklich alle MitarbeiterInnen – also auch Reinigungskräfte, ServicemitarbeiterInnen und Portiere – teilnehmen sollen, wurde im KAV auch ein zentrales Sicherheitsboard gegründet, mit dem Ziel, die Maßnahmen gegen Gewalt einheitlicher zu machen. Bisher hat jede Dienststelle eigene Prozesse in Gang gesetzt, wie etwa mehr Videokameras da, mehr Sicherheitspersonal dort. Von den Maßnahmen, die im Sicherheitsboard beschlossen werden, sollen aber alle MitarbeiterInnen, an jeder Dienststelle profitieren. Eine solche sind zum Beispiel ausreichend SicherheitstrainerInnen im Unternehmen, die auch als BeraterInnen herangezogen werden können.

Es gibt eben Vorfälle, wo man den Patienten angreifen muss, ihm einer Behandlung zuführen muss, um Sicherheit für ihn und andere herzustellen.

Edgar Martin

Sollen diese den Beschäftigten beibringen, wie sie sich gegen Angriffe wehren können?

Beim Wehren und Abwehren geht es vor allem um kommunikationsgestützte Körperintervention. Einfach gesagt: Wie komme ich bestmöglich in Kontakt mit meinem Gegenüber. Es gibt eben Vorfälle, wo man den Patienten angreifen muss, ihm einer Behandlung zuführen muss, um Sicherheit für ihn und andere herzustellen. Das zu erlernen, ist ein wichtiger Bestandteil der Schulungsmaßnahmen. Es geht aber auch darum, das Phänomen Gewalt zu begreifen und sich damit auseinanderzusetzen.

Wie unterstützt die Personalvertretung die MitarbeiterInnen?

In dem wir das Thema nicht unter den Teppich kehren, nicht totschweigen. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass unsere KollegInnen mit diesem Phänomen zu kämpfen haben und nach Lösungen gerufen. Das ging sogar so weit, dass ich mich als Trainer für Deeskalationssicherheits-Management ausbilden habe lassen. Das Phänomen „Gewalt“ wird nie gänzlich weg sein und durch die Ausbildung habe ich mehr Verständnis dafür bekommen, was sich im Arbeitsalltag tut und wie man dieses Phänomen beherrschen kann.

Es geht nicht um Täter oder Opfer, alle Betroffenen sind Aggressionsbeteiligte.

Edgar Martin

Spricht man mit den Beschäftigten, bekommt man oft das Gefühl, dass sie oft auch die Schuld bei sich selbst suchen.

Wer schuld an einem Gewaltereignis ist oder was der Auslöser war, liegt nicht immer klar auf der Hand. In einem Bereich kann es sein, dass PatientInnen zu lange gewartet haben. In einem anderen, weil zu wenig kommuniziert wurde. Es geht nicht um Täter oder Opfer, alle Betroffenen sind Aggressionsbeteiligte. Dass die MitarbeiterInnen ihre eigene Rolle reflektieren, ist ein Ausdruck der Geisteshaltung. Aber das trifft nicht auf das ganze Unternehmen zu.

Welche Bedingungen am Arbeitsplatz können dazu führen, dass sich das Verständnis der MitarbeiterInnen in Grenzen hält?

Die bauliche Umgebung zum Beispiel. Wir haben Pavillonsysteme, die 100 Jahre alt, die Bedingungen sind andere als in einem neugebautem Gebäude, wie etwa der Psychiatrie der Rudolfstiftung. Bei diesen baulichen Maßnahmen ist es unbedingt notwendig, dass DeeskalationsberaterInnen mit Praxiserfahrung einbezogen werden. Die Umgebung, in der wir arbeiten, macht schon viel aus.

Edgar Martin beim Besuch auf der Psychiatrie in der Rudolfstiftung

 

Nehmen wir an, ein Mitarbeiter wird Opfer von Gewalt. Auf welche Unterstützung seitens des Unternehmens kann er sich verlassen?

Es gehört etwas Besonderes dazu, sich um andere Menschen zu kümmern. Daher ist es auch wichtig, dass man sich am Arbeitsplatz sicher und geschützt fühlt. In einem Positionspapier hat das Unternehmen auch klar zum Ausdruck gebracht, dass Aggression und Gewalt nicht toleriert wird und alles getan wird, um die Sicherheit zu gewährleisten – sowohl für MitarbeiterInnen als auch für PatientInnen.

Kommt es nichtsdestotrotz zu einem Vorfall werden betroffene KollegInnen versorgt, sie haben die Möglichkeit, sich psychologisch im Unternehmen betreuen zu lassen. Auch externe Beratungen werden vermittelt und finanziert. Dieses Angebot wird von den MitarbeiterInnen gut angenommen. Das Unternehmen hat aber zusätzlich auch eine Versicherung abgeschlossen, falls bei einem Vorfall zum Beispiel die Brille oder etwas anderes des betroffenen Mitarbeiters kaputt geht. Im Bezug auf die Versicherung herrscht jedoch Verbesserungsbedarf.

Inwiefern? 

Die Personalvertretung fordert, dass die Versicherung auf alle Beschäftigten ausgedehnt wird. Derzeit ist sie nur für manche Abteilungen abgeschlossen, wie etwa die Notfalleinrichtungen.