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Geschichte der Kollektivverträge

Kollektivverträge sind die wichtigste Errungenschaft der Gewerkschaftsbewegung: Nicht der oder die einzelne ArbeitnehmerIn, sondern die Interessenvertretung verhandelt, um so für ganze Branchen oder Betriebe einheitliche und bessere Einkommen und Arbeitsbedingungen zu erreichen. Das große Netz an Kollektivverträgen kommt in Österreich allen ArbeitnehmerInnen zugute.

19. Jahrhundert - der erste Tarifvertrag

Kollektivvertragsverhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigungen wurden erstmals in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgenommen. Die Einigungsgespräche entwickelten sich als eine vom Verbandswillen getragene Norm, ohne damit eigenständige rechtliche Bedeutung zu erlangen. Moderne Kollektivverträge zunächst nur auf Betriebs- oder Lokalebene abgeschlossen, konnten sich erst nach 1867 bzw. 1870 entwickeln. Erst ab 1867 wurde das Grundrecht auf Zusammenschluss in Vereinen beschlossen, mit allen Einschränkungen durch Bestimmungen über "Staatsgefährdung". Im Jahr 1870 brachte das Koalitionsgesetz die Aufhebung der Strafandrohung für Verabredungen und Streiks - und damit die Anerkennung kollektivvertraglicher Aktionen der Wirtschaftsparteien.

1868 wurde im europäischen Raum der erste Buchdrucker-Tarifvertrag abgeschlossen, 1873 folgte die Tarifgemeinschaft der deutschen Buchdrucker. In Österreich kam es erstmals zum Abschluss eines umfassenden Kollektivvertrages für die Buchdrucker im Jahre 1896.

Anfang 20. Jahrhundert

Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges waren bereits etwa 500 Kollektivverträge abgeschlossen worden. Es entstand, wie es zeitgenössische Juristen einschätzten, eine völlig neue Rechtsform zwischen Privat- und öffentlichem Recht. Der ständige "Arbeitsbeirat" des "Arbeitsstatistischen Amtes" setzte 1911 einen eigenen Ausschuss ein, um diese neue Rechtssituation zu analysieren und zu einer juristischen Lösung zu gelangen. Der Erste Weltkrieg unterbrach seine Tätigkeit und es gibt keinen Beleg dafür, inwieweit die Arbeit des Ausschusses die Grundlage für die rasche Verabschiedung des Einigungsamts-Gesetzes in der Ersten Republik bildete.

Der demokratische Staat verabschiedete am 18. Dezember 1919 die endgültige Fassung des Gesetzes über Einführung von Einigungsämtern mit folgenden drei Funktionen:

  • Vermittlung bei Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis
  • Tätigkeit als rechtsprechende Organe, die sich aus der Tätigkeit der Betriebsräte ergeben können
  • Mitwirkung, Registrierung und Kundmachung als "Tarifamt" bei Abschluss von Kollektivverträgen

Damit wurden erstmals Kollektivverträge auf Antrag einer Behörde oder einer Berufsvereinigung zur bindenden Norm für alle innerhalb eines bestimmten Geltungsbereiches abgeschlossenen Einzelverträge erklärt.

Reichsrecht ab 1939

Ab 1. Jänner 1939 wurde das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit wirksam, wo an die Stelle der freien Arbeitsverfassung die nationalistische Arbeitsverfassung der Betriebsgemeinschaft trat. Arbeitsbedingungen wurden nicht mehr frei zwischen den Partnern geregelt, sondern von staatlichen Einrichtungen dekretiert, an Stelle des Kollektivvertrages trat die Tarifordnung.

Kollektivvertragsgesetz 1947

Das Reichsrecht über Tarifordnungen wurde durch das Kollektivvertragsgesetz vom 26. Februar 1947 außer Kraft gesetzt. Als Übergangsregelung blieben die einzelnen Tarifordnungen so lange in Kraft, bis an ihre Stelle neue Kollektivverträge traten. Für den Bereich der Land- und Forstwirtschaft entstanden gleichlautende Regelungen im Landarbeitsgesetz. Für den Bereich der Heimarbeit entstanden nachgebildete Regelungen zum Abschluss von Heimarbeitsgesamtverträgen durch das Heimarbeitsgesetz. Durch das Kollektivvertragsgesetz wurde den Bestimmungen des Übereinkommens Nr. 98 über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivvertragsverhandlungen der Internationalen Arbeitsorganisation entsprochen. (BGBl. Nr. 20/1952)

In Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (BGBl. Nr. 210/1958) erfolgte die verfassungsrechtliche Verankerung des Rechtes, dass alle Menschen zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften bilden und ihnen beitreten können, wobei hier eine indirekte verfassungsrechtliche Verankerung des Kollektivvertragswesens festgelegt wurde. Weiters erkennt auch die Europäische Sozialcharta (BGBl. Nr. 460/1969) ausdrücklich das Recht auf Kollektivvertragsverhandlungen und das Recht auf Zusammenschluss in Organisationen für einen wirtschaftlichen und sozialen Schutz an.

Arbeitsverfassungsgesetz 1974

Mit Abschluss des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG BGBl Nr. 22/1974) wurden weitere generelle Normen zur Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen zusammen mit den kollektivvertraglichen Normen zusammengefasst und kodifiziert (systematisch geordnet). Das ArbVG gilt für Arbeitsverhältnisse aller Art, die auf privatrechtlichem Vertrag beruhen. Ausgenommen von den Bestimmungen über den Kollektivvertrag, die Satzung, den Mindestlohntarif, amtlich festgelegte Lehrlingsentschädigung sind Arbeitsverhältnisse der Arbeiter in der Land- und Forstwirtschaft, die Heimarbeiter sowie Arbeitsverhältnisse der öffentlich Bediensteten, für die auf Grund eines Gesetzes Vorschriften Anwendung finden, die den wesentlichsten Inhalt des Arbeitsvertrages zwingend festlegen.

Heute

Derzeit werden jährlich etwa 450 Kollektivverträge, ca. 30 Heimarbeitstarife, ein Heimarbeitsgesamtvertrag, eine behördliche Festsetzung der Lehrlingsentschädigung, fünf Satzungen und 30 Mindestlohntarife zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigungen abgeschlossen.