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Nicht nur den ArbeitnehmerInnen bleibt weniger Lohn übrig, auch von den PensionistInnen wird die Pflegeversicherung eingehoben werden müssen.
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Pflege in Zeiten der Pandemie

„Es gibt für mich nichts Erfüllenderes und Spannenderes, als im Sozialbereich tätig zu sein”

Wie sich eine engagierte Frau trotz Pandemie für einen würdevollen Lebensabend älterer Menschen einsetzt

Nicht zuletzt ausgelöst durch die Corona-Pandemie steigt der Bedarf an qualifiziertem Pflegepersonal vor allem in den Alten- und Pflegeheimen und in den Wohneinrichtungen drastisch an. Bernadette Korherr hat vor sechs Jahren im Wiener Kuratorium Fortuna als Sozialarbeiterin begonnen und kennt die herausfordernde Lage, mit der sich das Personal konfrontiert sieht nur zu gut. Heute ist sie als Betriebsratsvorsitzende erste Anlaufstelle für KollegInnen. Trotz der sich laufend ändernden Rahmenbedingungen im Berufsalltag bleibt ihr wichtigstes Anliegen gleich: älteren Menschen in ihrer Selbstbestimmung zu unterstützen und einen Beitrag für einen würdevollen Lebensabschnitt zu leisten. Oegb.at hat mit ihr über ihre Beweggründe gesprochen, in diesem fordernden Bereich zu arbeiten.

Bernadette, wie fängt ein typischer Tag in der Einrichtung für dich an? 

Nach ausreichender Kaffeezufuhr checke ich meine Mails und aktualisiere meine To-Do-Liste. Danach folgt das tägliche Treffen des Krisenstabs, bei dem neue Informationen ausgetauscht werden.

Wie sieht derzeit der Alltag für die SeniorInnen aus?

Auf einige Angebote unserer Einrichtung müssen die BewohnerInnen derzeit leider verzichten – z. B. Gruppenaktivitäten wie Ausflüge, Chor, Gymnastik und Gesprächsrunden. Das ist für viele sehr schmerzlich. Die KollegInnen versuchen mit unermüdlichem Einsatz, Empathie und zahlreichen Einzelgesprächen diesen sozialen und psychischen Bedürfnissen nachzukommen. Aber man muss einfach ehrlich sagen, dass die Lebensqualität unter der Pandemie leidet.

Kannst du uns Beispiele nennen?

Man begegnet sich in den Häusern nur noch mit Maske - da kann man sich nur über die Augen ein aufmunterndes Lächeln schenken. Gerade für ältere Menschen ist es manchmal sehr anstrengend, sich mit Maske zu verständigen – viele tun sich aus gesundheitlichen Gründen (wie beispielsweise Demenz) schwer, die notwendigen Maßnahmen wie Abstand halten und Maske tragen umzusetzen. Mobile BewohnerInnen sind oftmals auch draußen unterwegs, aber diejenigen auf den Pflegestationen leiden verstärkt an Besuchseinschränkungen. Wir versuchen gemeinsam, sie bestmöglich durch diese schwierige Zeit zu begleiten.

(c) Barbara Nidetzky
(c) Barbara Nidetzky

„Wir versuchen gemeinsam, ältere Menschen bestmöglich durch diese schwierige Zeit zu begleiten", sagt Bernadette Korherr vom Kuratorium Fortuna

Du sprichst von einer schwierigen Zeit. Was hat sich seit der Corona-Pandemie für dich geändert?

Alles und nichts. Alles, weil Corona das vorherrschende Thema ist und wie ein dichter Nebel die Sicht nach vorne erschwert – man muss ständig mit plötzlich auftauchenden Problemen rechnen und schnell reagieren können. Es ergeben sich ganz neue Themen und Fragestellungen, mit denen ich mich auseinandersetzen muss. Eine gute Kommunikation im Betriebsrat und mit der Geschäftsführung ist wichtiger denn je, um gute Lösungen zu finden.

Nichts, weil wir nach wie vor für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege kämpfen müssen, obwohl die systemischen Defizite noch sichtbarer sind als zuvor. Die Probleme und Forderungen der Beschäftigten haben sich nicht verändert.

Kannst du uns ein paar konkrete Beispiele nennen, wo es Verbesserungspotential gibt?

Wenn ich das KollegInnen frage, bekomme ich meistens drei Antworten wie aus der Kanone geschossen: Mehr Personal, kürzere Arbeitszeiten, höhere Entlohnung. Warum entscheidet sich jemand, in der Pflege zu arbeiten? Weil er oder sie älteren Menschen ein würdevolles Leben ermöglichen will, in dem professionelle Pflege und Herzlichkeit ganz oben stehen. Dafür brauchen wir aber mehr Personal und einen angemessenen Personalschlüssel, der dem tatsächlichen Bedarf entspricht. Das brauchen wir für die Gesundheit unserer MitarbeiterInnen, die somit länger in ihrem Beruf arbeiten und Krankenstände reduzieren können. Wir brauchen attraktivere Arbeitszeiten und Bezahlung, sodass wir Menschen für die Pflegeberufe gewinnen und bestehende MitarbeiterInnen nicht an andere Branchen verlieren.

Ein erster Schritt ist schon getan: Aufgrund guter gewerkschaftlicher Verhandlungen gilt ab 2022 im privaten Pflege- und Sozialbereich die 37-Stunden-Woche, um KollegInnen zu entlasten.

Was würde man aufs Spiel setzen, wenn man nicht handelt?

Wir befinden uns in einer Abwärtsspirale, wenn wir nicht endlich die Rahmenbedingungen verbessern: Zu wenig Personal führt zu Frustration, Überlastung und Krankenständen. Dadurch sind die Dienstpläne instabil und die Freizeit verliert an Qualität, die Überstunden verursachen zusätzliche Erschöpfung. Daraus resultieren Langzeitkrankenstände, Berufsunfähigkeit und Berufswechsel. Die hohe Personalfluktuation verursacht durch häufiges Einschulen neuer KollegInnen ebenso große Belastungen. Wir benötigen dringend einen guten Zugang zu Ausbildungen – insbesondere auch ein angemessenes Einkommen – und attraktive Jobaussichten.

Pflegestiftung

Um neue Jobs zu schaffen und den Pflegebereich zu entlasten, legt der ÖGB jetzt das Konzept einer „Pflegestiftung“ vor. In dieser Stiftung können Arbeitslose umgeschult und anschließend sicher an eine Arbeitsstelle vermittelt werden.

Würdest du deinen Beruf heute erneut ergreifen?

Auf jeden Fall! Es gibt für mich nichts Erfüllenderes und Spannenderes, als im Sozialbereich tätig zu sein.

Welcher Antrieb steht hinter deinem Beruf?

Ich habe vor sechs Jahren im Kuratorium Fortuna als Sozialarbeiterin begonnen – meine Hauptmotivation: Ältere Menschen in ihrer Selbstbestimmung zu unterstützen und einen Beitrag für einen würdevollen Lebensabschnitt zu leisten. Ich setze mich auch jetzt in meiner Tätigkeit als Betriebsrätin genau dafür ein, indem ich für gute Arbeitsbedingungen im Sozialbereich kämpfe. Denn nur, wenn hier die Rahmenbedingungen stimmen, können wir die älteren Mitmenschen so begleiten, wie sie es verdienen. Meine KollegInnen sind Profis, aber sie können nicht zaubern. Außerdem will ich, dass die klassischen „Frauenberufe“ endlich angemessen honoriert werden – wir leben hier immer noch in der Vergangenheit, gleichzeitig kritisieren wir andere für Rückschrittlichkeit.

Gibt es eine Anekdote aus deinem Arbeitsalltag, die du mit uns abschließend teilen möchtest?

Vor Kurzem hatte ich mit einer Kollegin ein Gespräch zwischen Tür und Angel. Sie erzählte mir, dass sie durch das stundenlange Tragen der FFP2-Maske schlecht Luft kriegt, schneller müde wird und Kopfweh bekommt. Und auch die Testungen seien unangenehm, sagte sie mir. Dann erzählte sie, sie mache sich um ihre Eltern Sorgen – die würden nicht in Österreich leben und es sei nicht mehr so einfach über die Grenze zu kommen. Und zusätzlich hat sie auch noch Kinder und das Distance Learning von zuhause. Trotz all dem macht sie ihren Job gerne und hält sich an die Maßnahmen - das ist sehr bewundernswert. Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass wir diese für diesen Beruf so wichtigen Menschen weiterhin in unseren Reihen halten können.

Hör auch unseren Podcast zum Thema Pflegestiftung