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Internationales

Konzerne nutzen Corona-Krise, um Löhne zu drücken

7 Jahre nach dem Einsturz des Rana Plaza stehen Millionen TextilarbeiterInnen vor dem Abgrund

„Den ArbeiterInnen wird regelrecht die Existenz unter dem Boden weggezogen und dazu auch ihre Gesundheit gefährdet. Die Konzerne putzen sich ab und der Regierung ist es eigentlich egal, wie viele Menschen sterben“, bringt Monika Kemperle auf den Punkt, was sich derzeit in Bangladesch und anderen asiatischen Ländern abspielt.

Kemperle war jahrelang Leitende Sekretärin des ÖGB und von 2012 bis 2016 stellvertretende Generalsekretärin des weltweit größten Branchengewerkschaftsverbandes IndustriALL (siehe Kasten am Ende des Artikels). Sie verhandelte nach dem Einsturz des „Rana Plaza“ mit mehr als 1.000 getöteten TextilarbeiterInnen Entschädigungen und ein Schutzabkommen mit vor allem europäischen Modekonzernen.

Bergungsarbeiten nach dem Einsturz des Rana Plaza am 24. April 2013

Einsturz des „Rana Plaza“
Beim Einsturz des „Rana Plaza“ Gebäudes in Sabhar, Bangladesch, am 24. April 2013 wurden 1.135 Menschen getötet und 2.438 verletzt – die allermeisten waren Frauen. Der Unfall ist der schwerste Fabrikunfall in der Geschichte des Landes. Im achtstöckigen Gebäude waren mehrere Textilfirmen, Geschäfte sowie eine Bank untergebracht. Am Vortag waren in dem Gebäude Risse festgestellt worden. Deshalb verbot die Polizei den Zutritt. Dennoch waren mehr als 3.000 Menschen im Gebäude, größtenteils Textilarbeiterinnen, als das Gebäude um 9 Uhr kollabierte. Die Angestellten waren von den Fabrikbetreibern gezwungen worden, ihre Arbeit aufzunehmen. Zu den Firmen, die damals im Rana Plaza produzieren ließen, zählen unter anderem Benetton, KiK und Mango. 

Genau dieses mittlerweile bis 2023 gültige Abkommen wird aktuell von mehreren Mode-Konzernen unterwandert: Laut Kemperle, die fast täglich mit GewerkschafterInnen aus Bangladesch und anderen asiatischen Ländern in Kontakt steht, nutzen sie die Corona-Krise, um die Löhne wieder zu drücken, bestellte und bereits produzierte Ware werde nicht übernommen und nicht bezahlt – ungeniert werde damit das Abkommen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der rund 5 Millionen TextilarbeiterInnen verletzt.

Monika Kemperle (Mitte) in einer Fabrik in Bangladesch

„Den Letzten beißen die Hunde“

„Was das Virus betrifft, ist die Situation unübersichtlich. Tatsache ist aber, dass die rund fünf Millionen TextilarbeiterInnen unter extremem Druck stehen – wenn sie noch Beschäftigung haben, gehen sie oft mit Fieber arbeiten. Es bleibt ihnen ja auch nichts anderes übrig, sie müssen ihre Familie ernähren – und das sind dann oft zehn bis 15 Menschen“, erzählt Kemperle und meint: „den Letzten beißen die Hunde.“

Corona zeige uns jetzt, wie wichtig es ist, in allen Handelsverträgen die Rechte der ArbeitnehmerInnen verbindlich festzulegen, betont Kemperle: „Da müssen wir Druck machen. Konzerne lassen sich mit Absichtserklärungen auch nicht abspeisen. Gleiches Recht für alle!“

Was vor 7 Jahren geschah

Monika Kemperle war gerade ein halbes Jahr stellvertretende Generalsekretärin von IndustriALL, als die Rana Plaza Textilfrabrik einstürzte und mehr als 1.000 ArbeiterInnen tötete. Der internationale Aufschrei war groß und vor allem europäische Modekonzerne sahen sich gezwungen, „etwas zu tun“. Zur Imageverbesserung sollte ein bereits vorher ausgehandeltes sogenanntes Brandschutzabkommen mit NGOs herhalten. „Da standen Selbstverständlichkeiten drin und dazu noch auf freiwilliger Basis. Ich sagte: „So sicher nicht mit den Gewerkschaften“ und verweigerte einfach die Unterschrift“, erzählt Kemperle.

Einsturz des Rana Plaza am 24. April 2013

Monate später war ein verbindliches Abkommen unterschrieben. Vertragspartner die nationalen Gewerkschaften, IndustriALL, die großen europäischen Modelabel* sowie rund 1.800 Produktionsbetriebe. „Die Arbeitgeber schluckten sozusagen auf internationalen Druck das Abkommen, der Regierung dagegen war es ein Dorn im Auge und sie versuchte so ziemlich alles, um es zu unterlaufen“, berichtet Kemperle. „Der Grund war ganz einfach: Das Abkommen lag weit über dem gesetzlichen Niveau.“

* Anmerkung: Wie Monika Kemperle erzählt, rührten die europäischen Modelabel damals einerseits die Werbetrommel für ihr Image und versuchten gleichzeitig, sich heimlich, still und leise irgendwie „davonzuschleichen“. Die amerikanischen Konzerne unterschrieben gleich gar nicht und argumentierten, dass es für sie eine „Einschränkung der Freiheit“ bedeuten würde.

Die wesentlichen Punkte des Abkommens

  • Verbesserung der Arbeitschutznormen, die regelmäßig von unabhängigen Inspektoren überprüft werden. Diese können Sanktionen erlassen, bis hin zur Betriebsschließung. In diesem Fall muss der Lohn sechs Monate weiterbezahlt oder ein Ersatzarbeitsplatz angeboten werden.
  • Die Wahl von Sicherheitsvertrauensleuten sowie BelegschaftsvertreterInnen, dazu eine Art Konzernvertretung, die aus VertreterInnen der verschiedenen Gewerkschaften besteht
  • Anhebung der Einkommen – konkret von 32 Euro monatlich im Jahre 2013 auf aktuell 86 Euro

IndustriALL Global Union
Im Juni 2012 schlossen sich die Internationale Föderation der Chemie-, Energie-, Bergbau- und FabrikarbeiterInnengewerkschaft (ICEM), der Internationalen Metallgewerkschaftsbundes (IMB) und die Internationale Textil-, Bekleidung- und Leder-ArbeiterInnenvereinigung (ITBLAV) zum neuen weltweiten Dachverband IndustriALL Global Union zusammen. IndustriALL Global Union umfasst rund 600 Gewerkschaften der Metall-, Chemie-, Energie-, Textilsektoren aus 140 Ländern. Insgesamt vertritt der Dachverband rund 50 Millionen ArbeitnehmerInnen.