Rumänische Gewerkschafts-Karawane fordert fairen Mindestlohn in der EU
Protestreise von Bukarest nach Brüssel: Rumänische ArbeitnehmerInnen kämpfen ums Überleben
Das zähe Ringen um einen fairen Mindestlohn in Europa ist nach dem Veto einiger Mitgliedsländer ins Stocken geraten. Die EU-Kommission hatte sich bereits im Vorjahr mit dem Thema beschäftigt, wie mehr Lohngerechtigkeit in Europa zu erreichen ist – Resultat war der Vorschlag einer Mindestlohnrichtlinie.
Wie der EGB (Europäischer Gewerkschaftsbund) unterstützt auch der ÖGB diesen Vorschlag. Die Initiative der Kommission zielt darauf ab, Kollektivverhandlungen in allen Mitgliedstaaten zu fördern, ohne ein einheitliches Mindestlohnniveau festzulegt oder Mitgliedstaaten zur Einführung gesetzlicher Mindestlöhne zu verpflichtet. Österreich ist mit einer kollektivvertraglichen Abdeckung von 98 Prozent aller Löhne und Gehälter zwar Spitzenreiter, von höheren Einkommen in Nachbarländern würde unser Land aber mittelfristig auch profitieren, denn die Gefahr des Lohndumpings könnte somit reduziert werden.
Aufgrund der geografischen Lage ist Österreich ein Hotspot für Arbeitskräftemobilität, viele Menschen aus Ländern mit schlechteren Verdienstmöglichkeiten suchen hier Arbeit. Sie nehmen schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen in Kauf, drücken damit aber auch das Lohnniveau nach unten.
Vier Millionen Rumänen suchen besseres Leben im Ausland
Die Corona-Krise hat die Situation in allen Ländern verschärft, besonders betroffen ist Rumänien: Das Pro-Kopf-BIP (Bruttoinlandsprodukt) liegt im Land an der Schwarzmeerküste zwar bei 72 Prozent des EU-Durchschnitts, die Löhne der ArbeitnehmerInnen aber nur bei 28 Prozent des EU-Durchschnitts. Der monatliche Mindestlohn in Rumänien beträgt 281 Euro, die durchschnittlichen Lebenserhaltungskosten sind mit 572 Euro doppelt so hoch.
Ein Drittel aller rumänischen ArbeitnehmerInnen muss jetzt mit diesem Mindestlohn auskommen. Die Zahl der Tarifverträge (Kollektivverträge) wurde in den vergangenen zehn Jahren von 22.000 auf 800 reduziert.
Durch das Wegbrechen so vieler Kollektivverträge ist auch das Lohnniveau im ganzen Land nach unten gegangen. Diese Schieflage hat dazu geführt, dass mittlerweile mehr als vier Millionen Rumänen ihr Land auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen haben, obwohl viele wissen, dass sie im Ausland als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden.
2000 Kilometer-Reise, um Dringlichkeit zu verdeutlichen
Viele ArbeitnehmerInnen nehmen also lange Reisen auf sich, um ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Wie die vielen Arbeitskräfte auf der Suche nach einem besseren Lohn, machte sich nun auch eine Gruppe von 13 rumänischen Gewerkschaftern auf einen langen Weg. Dieser führt sie 2000 Kilometer von der rumänischen Hauptstadt Bukarest bis ins Zentrum der EU, nach Brüssel, um gegen das Verzögern der Richtlinie zu protestieren und um der Forderung nach fairen Mindestlöhnen mehr Nachdruck zu verleihen.
ÖGB unterstützt Kampf
Die Delegation machte nicht nur in München und Luxemburg, sondern auch in Wien Halt. Vor den rumänischen Botschaften wurde mit Kundgebungen an die politischen Verantwortlichen appelliert, die Situation der ArbeitnehmerInnen zu verbessern. Der ÖGB unterstützte die KollegInnen und ihr Anliegen.
„Weil es konkrete Schritte braucht, um das Lohngefälle in Europa zu bekämpfen – exakte, verbindliche Maßnahmen“, wie ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian erklärt. Für 24 Millionen ArbeitnehmerInnen in der EU würde die Richtlinie höhere Löhne bedeuten, am meisten davon würden die Menschen in Rumänien profitieren.
Es geht um eine Wirtschaft, die für alle funktioniert
„Die Botschaft, die wir auf europäischer Ebene aussenden wollen, ist die Notwendigkeit einer bürgerorientierten Politik in Rumänien, die Niedriglöhne und die Ausbeutung der Arbeitnehmer beendet“, erklärte Petru Dandea, Generalsekretär des rumänischen Gewerkschaftsbunds ALFA, der an der Karawane teilnahm, deren Reise am 6. Juli mit einem Treffen von VertreterInnen der Europäischen Kommission endete. „Wir brauchen eine Wirtschaft, die für alle funktioniert, nicht nur für wenige.“, so Dandea weiter.
„Mehr als 14 Jahre nach dem Beitritt genießt in Rumänien nach wie vor nur eine winzige Elite die Vorteile der EU-Mitgliedschaft, während Millionen von arbeitenden Menschen gezwungen sind, ihr Land zu verlassen, um einen anständigen Job zu finden“, sagte EGB-Generalsekretär Luca Visentini, der sich der rumänischen Delegation beim Treffen mit der Europäischen Kommission anschloss.
Mit EU-Geldern menschenwürdiger Arbeitsplätze schaffen
Die Kommission habe sich zu Recht gegen Mitgliedstaaten eingesetzt, die in der Vergangenheit EU-Mittel missbraucht hätten. Jetzt müsse sichergestellt werden, dass die 14 Milliarden Euro, die Rumänien über den Wiederaufbaufonds erhalten habe, wirklich zur Schaffung menschenwürdige Arbeitsplätze verwendet und soziale Rechte gestärkt werden, so Visentini: „Sonst wird die 2.000 Kilometer lange Reise, die rumänische Gewerkschafter in dieser Woche unternommen haben, in den kommenden Jahren von Millionen weiterer ArbeiterInnen wiederholt.“