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© ÖGB - Roland de Roo

International

ÖGB setzt auf internationale Solidarität

GewerkschafterInnen aus aller Welt vernetzen sich bei internationalem gewerkschaftlichen Führungskräftekurs des ÖGB in Wien

Versammlungsverbote, untersagte Streiks, eingeschränkte Gewerkschaftsaktivitäten, Festnahmen, staatliche Repressionen bis hin zu Mord: Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB/ITUC) bewertet mit dem Globalen Rechtsindex jährlich die Situation von ArbeitnehmerInnen weltweit. Der aktuelle, im Juli 2022 veröffentlichte Überblick bestätigt eine zunehmend besorgniserregende Entwicklung: Menschen- und Arbeitsrechte werden immer öfter verletzt. Dabei sind GewerkschafterInnen auf allen Kontinenten betroffen. Die Solidarität und daher sich gemeinsam zur Wehr zu setzen, ist enorm wichtig, waren sich die TeilnehmerInnen bei einem internationalen gewerkschaftlichen Führungskräftekurs des ÖGB einig.

Schon die nüchternen Eckdaten zeichnen ein besorgniserregendes Bild. In mehr als drei Viertel der Länder (77 Prozent der Länder) wurde Beschäftigten aktuell das Recht auf die Gründung von und der Beitritt zu Gewerkschaften verweigert.

In 74 Prozent der Länder haben Behörden die Zulassung von Gewerkschaften behindert oder verboten, im Index des Vorjahres waren es 59 Prozent. In 50 Ländern waren arbeitende Menschen körperlicher Gewalt ausgesetzt (45 Länder im Index 2021), auch in Europa ist die Zahl eklatant angestiegen.

87 Prozent der Länder haben das Streikrecht verletzt. In Ägypten, Belarus, Indien, Myanmar, auf den Philippinen und im Sudan führten Streiks zur Verhaftung führender GewerkschaftsvertreterInnen oder brutalen Repressionen gegen sie.

Vier von fünf Ländern haben Tarifverhandlungen (Kollektivvertragsverhandlungen) vereitelt. In Tunesien beispielsweise können ohne Genehmigung des Regierungschefs keine Verhandlungen mit Gewerkschaften stattfinden. 

Als die zehn schlimmsten Länder für erwerbstätige Menschen anhand aller untersuchten Fakten gelten Ägypten, Bangladesch, Belarus, Brasilien, Kolumbien, Myanmar, die Philippinen und die Türkei sowie neu im Jahr 2022 Eswatini und Guatemala.

Festnahme unter Vorwand einer nie begangenen Straftat

Nicole Parreno von den Philippinen erklärt mit belegter Stimme, dass sie nicht über alles reden möchte, was KollegInnen in ihrer Heimat, den Philippinen, widerfährt. „GewerkschafterInnen gelten oft als GegnerInnen der Regierung“, erzählt sie von einem Mitstreiter, der wegen seines gewerkschaftlichen Engagements verhaftet wurde. Unter dem Vorwand von Drogengeschäften, denen er nachgegangen sein soll, wofür es aber keine Beweise gibt, büßt der Mann sein Engagement für die Rechte von ArbeitnehmerInnen  seit 2016 im Gefängnis. Alle Versuche der Gewerkschaft TUCP, ihn freizubekommen, sind bisher gescheitert.

Dilan Kiran berichtet, dass es auch in der Türkei kaum Rechte und Freiheiten für GewerkschafterInnen gibt: „Wir haben keine Tarifverhandlungen, keine Gewerkschaftsgründungen“. Die Expertin der Gewerkschaft DISK ist froh über den internationalen Austausch, den sie in Wien erlebt: „Wir brauchen diese internationale Solidarität, den gemeinsamen Kampf.“

Corona und Pandemie verschlechtern Situation

Corona und die hohe Inflation haben die Situation der arbeitenden Menschen in ihrer Heimat drastisch verschlechtert, sagt Timotenda Makechemu aus Simbabwe. Die Pandemie führte zu vielen Entlassungen und Massenarbeitslosigkeit. Die Menschen, die ihre Jobs noch haben, werden für ihre Arbeit in der Landeswährung entlohnt, können aber nur mit US-Dollars einkaufen, die sie zu schlechten Kursen einwechseln müssen. Viele können sich also auch die Mitgliedschaft bei der Gewerkschaft nicht leisten, was diese schwächt. „Ich bin wirklich dankbar, dass ich hier erfahre, wie andere Länder und Kulturen mit ihren Problemen umgehen und dass ich neue Inspirationen bekomme.“

USA: Gewerkschaften so populär wie kaum je zuvor

Amerika ist zwar nicht der Kontinent mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen, aber auch in den USA nehmen die Attacken auf ArbeitnehmerInnen zu, wie Jonathan Rodrigues (AFL-CIO) bestätigt. Gleichzeitig führen die vielen Ungerechtigkeiten, denen ArbeitnehmerInnen in den US-Bundesstaaten in unterschiedlichster Dimension ausgesetzt sind und die immer öfter publik gemacht werden, aber auch zu einer Welle der Solidarität, die US-Gewerkschaften zu nützen wissen. Die Meldungen über die ersten Betriebsratsgründungen bei Amazon und Starbucks gingen um die Welt. „Die ArbeitnehmerInnen sehen, dass Solidarität sich auszahlt und dass etwas erreicht werden kann, wenn sie ihre Stimme erheben“, berichtet er.

Schlagkräftiges Lieferkettengesetz nur mit Hilfe der Gewerkschaften

„Vernetzung, wie wir sie mit der Summer School anbieten, ist enorm wichtig. Wir sind ja auch auf die Informationen der KollegInnen in aller Welt angewiesen“, erklärt Marcus Strohmeier: „Es ist natürlich nicht zu akzeptieren, dass Konzerne ihre Profite auf dem Rücken der ArbeitnehmerInnen und ihrer Rechte steigern.“ Die Konzerne, die auf allen Kontinenten Arbeits- und Menschenrechte verletzen, haben ihre Zentralen oft in Europa. „Wenn es in Zukunft ein schlagkräftiges Lieferkettengesetz in Europa geben soll, dann brauchen wir die Informationen unserer Schwestergewerkschaften vor Ort“, erklärt der Internationale Sekretär des ÖGB.  

Die Gewerkschaften werden mit ihren Forderungen bei der Ausgestaltung des Lieferkettengesetzes nicht lockerlassen, auch der Sommerkurs soll seine Fortsetzung finden, sagt Strohmeier: „Das ist unser neues, hoffentlich schlagkräftiges Instrument, um die Welt ein bisschen besser zu machen.“

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