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Korinna Schumann und Elke Hannack
Die Herausforderungen, vor denen Frauen stehen, sind immer noch gewaltig: stellvertretende Vorsitzende des DGB Elke Hannack und ÖGB Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzender Korinna Schumann suchen Antworten ÖGB

Frauen: Reden wir endlich übers Geld!

Von Digitalisierung über Klimakrise bis hin zum immer noch gravierenden Gender Pay Gap – die Herausforderungen, vor denen Frauen stehen, sind immer noch vielfältig und groß. oegb.at hat vor dem Bundesfrauenkongress des ÖGB bei Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzender Korinna Schumann und Elke Hannack (stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes) nach Antworten gesucht. 

1. Transformationsprozesse wie Digitalisierung und Klimakrise: Wie können Unternehmen und die Politik dazu beitragen, dass Frauen bei der Gestaltung von Transformationsprozessen aktiv mitwirken?

Elke Hannack: Die Gestaltungs- und Entscheidungsmacht liegt noch immer mehrheitlich in den Händen von Männern. Und Männer sind gleichzeitig immer noch viel zu oft Maßstab für Forschung und bei unternehmerischen sowie politischen Entscheidungen. Damit die Interessen von Frauen im Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft berücksichtigt werden, müssen sie mitreden und mitentscheiden können, und zwar in allen Bereichen: im Betrieb, in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Es geht also auch hier um mehr Frauen in Führung und die paritätische Besetzung von Entscheidungsgremien. Und es geht um die Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung. Der DGB hat deshalb einen Reformentwurf zur Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes vorgelegt, mit der auch die Gleichstellung von Frauen und Männern vorangetrieben werden soll – etwa durch die Einführung von Quoten für Betriebs- und Entgeltausschüsse. Denn eins ist klar: Wo Frauen fehlen, fehlen auch ihre Perspektiven. Und genau das müssen wir dringend ändern.

Korinna Schumann: Ich stimme voll zu. Gerade in wesentlichen Transformationsprozessen wie Digitalisierung und Klima müssen die Interessen der Arbeitnehmerinnen berücksichtigt werden. Dazu braucht es mehr Frauen in Entscheidungspositionen, gerade auch im Betriebsrat und in der Personalvertretung. Ausbildung wird zu einer der Schlüsselfragen - gerade bei Greenjobs und in der Umsetzung neuer Technologien muss der Fokus noch stärker darauf gelegt werden, dass Frauen, auch in Teilzeitjobs, mehr Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten bekommen. Gerade auch, was betriebliche Aus- und Weiterbildung betrifft. Die Umweltstiftung der Aufleb, die im Vorjahr auf Drängen der Gewerkschaften und des ÖGB ins Leben gerufen wurde, um Arbeitnehmer:innen  mit der betriebsnaher Ausbildung für künftig stark nachgefragte, neue Berufe fit zu machen, ist ein Vorbildmodell: 40 Prozent der 1000 Ausbildungsplätze sind für Frauen reserviert.

2. Fachkräftebedarf/Fachkräftesicherung: Welche Veränderungen braucht es, damit Frauen als Fachkräftepotential auch wirklich zur Verfügung stehen?

Hannack: Frauen sehen sich im Arbeitsleben mit vielfältigen Hürden konfrontiert. Das hat auch jüngst eine repräsentative Umfrage im Auftrag des DGB gezeigt. Demnach ist das größte Problem für viele Frauen die schlechtere Bezahlung, dicht gefolgt von der mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber auch eine hohe Arbeitsbelastung, Sexismus und Belästigung am Arbeitsplatz sowie fehlender Gestaltungsspielraum bei den Arbeitszeiten sind für viele Frauen enorme Hindernisse. Hier gilt es anzusetzen: Frauen müssen endlich fair bezahlt werden, Erwerbsarbeit und unbezahlte Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern gerecht verteilt werden. Die Arbeitsbedingungen, gerade in den frauendominierten Berufen, müssen verbessert und die Arbeitszeiten an das Leben der Beschäftigten angepasst werden. Und gegen Sexismus und geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz gilt es entschieden vorzugehen. Kurz gesagt: Frauen müssen den Männern in der Arbeitswelt endlich gleichgestellt werden. Andernfalls wird der von den Unternehmen beklagte Fachkräftemangel nicht zu beheben sein. 

Schumann: Es ist wirklich paradox, jetzt entdeckt man die Frauen wieder für den Arbeitsmarkt. Arbeitgeber müssen sich nicht wundern oder jammern über den Fachkräftemangel: Jahrelang war es in vielen Unternehmen Usus, ältere Arbeitnehmer:innen, vor allem Frauen, nicht mehr zu beschäftigen oder ihnen nur Teilzeit anzubieten, gerade auch beim Wiedereinstieg nach der Karenz.

Umso wichtiger wäre es, endlich die Möglichkeit zu schaffen, dass Frauen Stunden aufstocken oder Vollzeit arbeiten können. Dazu braucht es natürlich ausreichend Kinderbildungsplätze, aber auch Unterstützung bei der häuslichen Betreuung und Pflege älterer Angehöriger oder Menschen mit Behinderung – auch hier tragen Frauen ja die Hauptlast, was sie oft daran hindert, Vollzeit zu arbeiten. Es wäre hoch an der Zeit, dass Sorgearbeit als Gesellschaftsaufgabe wahrgenommen wird und nicht einfach den Frauen aufgebrummt wird.

3. Gender Pay Gap: Deutschland und Österreich haben beide recht große Lohnscheren. Inwiefern könnte eine nationale Kraftanstrengung dazu beitragen, die Lohnschere zwischen Frauen und Männern zu verringern?

Schumann:  Ja, Österreich kann sich in dieser Hinsicht leider nicht mit Ruhm bekleckern, wir sind fast Schlusslicht in der EU, was die Einkommensdifferenz zwischen Frauen und Männern betrifft. Deswegen ist es ja auch so eine zentrale Forderung der Gewerkschaften, den kollektivvertraglichen Mindestlohn auf 2000 Euro anzuheben. In der Herbstlohnrunde und auch jetzt im Frühjahr ist dieses Ziel dank der Hartnäckigkeit der Gewerkschaften bei einigen Kollektivvertragsabschlüssen erreicht worden. Wir werden damit sicher nicht lockerlassen.

Wir brauchen aber auch Lohntransparenz. Reden wir endlich übers Geld, brechen wir dieses Tabu! Einkommensberichte müssen  weiterentwickelt werden, zum Beispiel schon für Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmer:innen verpflichtend werden. Und es muss Sanktionen geben, wenn sie nicht erstellt werden beziehungsweise auch nichts unternommen wird, um die Einkommensunterschiede zu beheben.  Ja, es braucht eine nationale Anstrengung zum Schließen der Einkommensschere  – wir fordern deshalb eine Equal Pay-Kommission, die regelmäßig Daten erhebt und dem Nationalrat berichtet und Empfehlungen erarbeitet, die dann auch umgesetzt gehören.

Hannack: Der Gender Pay Gap liegt in Deutschland bei 18 Prozent. Seit er in Deutschland berechnet wird, also seit 2006, hat er sich um magere fünf Prozentpunkte verringert. Wenn es in dem Tempo weitergeht, brauchen wir in Deutschland noch 61 Jahre bis zur Entgeltgleichheit. Dass die Lücke kleiner geworden ist, hat auch mit der Einführung und der stetigen Erhöhung des Mindestlohns zu tun, da Frauen davon überproportional profitieren. Aber klar – dabei darf es nicht bleiben. Zwei weitere Themen haben für uns höchste Priorität. Erstens: die Aufwertung frauendominierter Berufsfelder, denn dass Frauen und Männer in unterschiedlich bezahlten Branchen und Berufen arbeiten, ist einer der größten Treiber der Entgeltlücke. Gerade werden in Deutschland Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst geführt. Hier besteht die Chance durch Lohnsteigerungen auch für die Kolleginnen in den kommunalen Kitas oder Krankenhäusern mehr rauszuholen und damit einen Beitrag zur Verringerung der Entgeltlücke zu schließen.

Zweitens müssen Erwerbs- und Sorgearbeit gleichberechtigt zwischen den Geschlechtern verteilt werden. Damit Männer mehr zu Hause anpacken und Frauen öfter einer bezahlten Erwerbsarbeit nachgehen, müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen. Mit der Elternschaft entwickeln sich die Arbeitszeiten von Müttern und Vätern in Deutschland auseinander. Und hier gilt es anzusetzen. Wir haben Zahlen, die belegen: Väter wünschen sich kürzere Arbeitszeiten und Frauen möchten ihre Erwerbsarbeitszeit steigern. Wir müssen also die Gegebenheiten nutzen, um familienfreundliche Arbeitszeiten zu erreichen.                       

4. Einkommensbesteuerung: Das Ehegattensplitting in Deutschland belohnt das 1 ½ Verdiener:innenmodell, der Familienbonus in Österreich kommt zu 70 Prozent Männern zugute. – Welche politischen Maßnahmen können dazu beitragen, dass die Aufteilung von Sorgearbeit fairer gestaltet wird?

Die faire Verteilung von Sorge- und Hausarbeit muss für Paare steuerlich und ökonomisch attraktiv sein. Falsche Anreize im Steuerrecht müssen abgeschafft werden, denn solange sich das modernisierte Ernährer:innenmodell finanziell lohnt, werden Mütter regelmäßig zugunsten von Sorgearbeit in der Erwerbsarbeit zurückstecken – mit negativen Auswirkungen für ihre eigenständige Existenzsicherung. Die deutsche Bundesregierung plant mit dem Jahressteuergesetz 2024 immerhin die Steuerklassen III und V in das Faktorverfahren der Steuerklasse zu überführen – ein längst überfälliger Zwischenschritt, mit dem das jeweilige Erwerbseinkommen bei Paarhaushalten gerechter abgebildet wird. Der Anreiz, nicht zu arbeiten oder nur in Teilzeit oder im Minijob, verliert so an Wirkung. Zudem wird damit die Schlechterstellung verheirateter Frauen bei der Berechnung von Lohnersatzleistungen wie z. B. Eltern-, Arbeitslosen- oder Krankengeld endlich verringert.

 

Aber wer die partnerschaftliche Verantwortungsübernahme in allen Familienformen und die wirtschaftliche Unabhängigkeit aller Frauen stärken will, muss weiter gehen: Partnerschaftliche Verantwortung und die wirtschaftliche Unabhängigkeit beider Partner:innen wird es erst geben, wenn u. a. die Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag eingeführt wird. Das hohe Armutsrisiko von Alleinerziehenden und ihren Kindern resultiert oftmals aus der ungleichen Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit in der vorherigen Partnerschaft, für die die Steuerungswirkung des Ehegattensplittings eine wesentliche Rolle spielt. Deshalb ist es so wichtig, dass es neben einer guten Infrastruktur für die frühkindliche Bildung und Betreuung, neben Mitspracherechten bei Arbeitszeitarrangements eben auch gerechtere steuerliche Rahmenbedingungen gibt. Alle Familien mit Kindern müssen unabhängig vom Trauschein gefördert werden.

Schumann: Wir fordern deswegen ja auch gemeinsam mit der Arbeiterkammer das Familienarbeitszeitmodell: Wenn beide Elternteile 28 bis 32 Wochenarbeitsstunden arbeiten, solange die Kinder noch klein sind, sollen sie jeweils einen Bonus von 500 Euro bekommen. Das wäre ein Anreiz, die bezahlte und unbezahlte Arbeit fair aufzuteilen.

Darüber hinaus müssen wir endlich darauf achten, dass Gender Budgeting nicht nur ein Papiertiger ist – auch hier gilt:  genaue Analysen, strenge Kontrollen und vor allem Sanktionen könnten etwas bewirken. Und wir sind der Meinung, dass der Schwerpunkt auf Sachleistungen vor Geldleistungen gelegt werden muss. Es macht doch mehr Sinn, Geld etwa in den Ausbau von Kinderbildungseinrichtungen oder von  Pflegeheimen zu investieren als Frauen mit Einmalzahlungen zu unterstützen. Das würde ihnen nämlich langfristig mehr Chancen am Arbeitsmarkt und damit mehr finanzielle Sicherheit bringen.

5. Frauengesundheit: Welchen gesundheitlichen Herausforderungen stehen Frauen im Vergleich zu Männern in ihrem Erwerbsleben gegenüber und wie können wir sicherstellen, dass ein geschlechtersensibler Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Praxis umgesetzt wird?

Arbeitsbedingte physische und psychische Belastungen von Frauen werden häufig nicht wahrgenommen oder sie werden unterschätzt. Das betrifft vor allem die mit der Frauenrolle verbundenen Belastungen in sogenannten „frauentypischen“ Berufen. Besonders in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen werden Sozialkompetenz, Empathie und Sorgebereitschaft als „natürliche weibliche Eigenschaften“ statt als potenziell belastende Tätigkeitsanforderungen gesehen. Damit einhergehende Gesundheitsbelastungen kommen in Gefährdungsanalysen nicht vor und werden in der betrieblichen Gesundheitsförderung und Prävention kaum berücksichtigt.

Wirksame geschlechtersensible Konzepte und Maßnahmen für die Gefährdungsanalyse sowie für betriebliche Gesundheitsförderung gibt es in der betrieblichen Arbeitsschutzpraxis häufig nicht. Das wirkt sich in erster Linie für Frauen negativ auf ihre Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz aus. Aber auch für Männer führt die tradierte Männerrolle zu Gesundheitsgefährdungen, etwa durch mangelndes Risikobewusstsein und Gleichgültigkeit gegenüber physischen und psychischen Belastungen. Deshalb muss die Geschlechterperspektive fest im betrieblichen Arbeitsschutz verankert werden. Das eröffnet Chancen für alle. Vor allem Arbeitgeber:innen als Normadressat:innen sind in der Verantwortung. Aber auch alle anderen betrieblichen Arbeitsschutzakteur:innen können einen wichtigen Beitrag für Geschlechtergerechtigkeit im Arbeitsschutz leisten und für die geschlechtersensible betriebliche Gesundheitsförderung wertvolle Impulsgeber:innen sein. Entscheidend ist, die Beschäftigten ganzheitlich und doch differenzierend nach Geschlecht als Summe ihrer Arbeitsbedingungen verbunden mit den Lebenswirklichkeiten außerhalb des Berufs und ihrer Erwerbsbiografien in den Blick zu nehmen.

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Schumann: Der aktuelle Frauengesundheitsbericht bestätigt es ja eindrücklich – das Ausklammern von Gendermedizin schadet Frauen nachhaltig, das ist evident. Drastischer formuliert: Das Vernachlässigen der Gendermedizin tötet Frauen. Sie sterben beispielsweise viel häufiger an Herzinfarkten als Männer, weil ihre Symptome nicht erkannt werden.

Expert:innen sind sich ja alle einig, hier muss endlich ordentlich in Forschung und medizinische Praxis investiert werden. Die bereits erwähnte Mehrfachbelastung macht Frauen krank – das zu ändern, ist vor allem auch ein gesundheitspolitischer Auftrag.

Handlungsbedarf herrscht auch im Kampf gegen Gewalt und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Ein brennendes Thema, weil Frauen natürlich auch davon wesentlich stärker bedroht sind als Männer. Ein wirklich wichtiger Schritt wäre hier die Ratifizierung und Umsetzung des Übereinkommens 190 der ILO (World Labour Organisation). Klingt technisch, wäre aber - richtig umgesetzt – die genaue Anleitung, wie Unternehmen präventiv gegensteuern können und müssen. Gemeinsam mit der AK fordern wir die österreichische Bundesregierung seit dem Vorjahr auf, das Abkommen wie andere Länder endlich zu ratifizieren. Jetzt unterstützen alle Sozialpartner diese Forderung. Deutschland ist hier einen Schritt weiter, dort steht die Ratifizierung quasi vor der Tür.

Was uns Gewerkschafterinnen eint: Auch wenn es manchmal länger dauert, bis unsere Forderungen umgesetzt werden, wir lassen nicht locker. Meine Vorgängerin Sabine Oberhauser hat einmal gesagt: Politik ist wie das Bohren harter Bretter – ich ergänze: unser Akku bleibt aufgeladen!