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Mehr als zehn Milliarden Euro kostet der "Österreichplan" von Bundeskanzler Nehammer - und am Ende profitieren erst wieder die Reichen. ÖGB/Karoly

Österreichplan

Dieser „Plan“ ist ein Anschlag auf den Sozialstaat

Wahlkampfzuckerl vom Bundeskanzler für Reiche und Unternehmen

„Das ist kein Plan und schon gar keine Vision für die Zukunft, das ist eine mehr als zehn Milliarden Euro teure Themenverfehlung und ein – nicht einmal besonders durchdachter – Anschlag auf die Beschäftigten und den Sozialstaat", analysiert ÖGB Bundesgeschäftsführerin Ingrid Reischl die Rede von Bundeskanzler Karl Nehammer.

„Es werden unzusammenhängend gut klingende Schlagzeilen produziert. Bei näherem Hinschauen wird aber schnell klar: Alle sogenannten Entlastungen zahlen sich die Menschen selbst in Form von schmerzhaften bis gefährlichen Kürzungen auf anderen Gebieten. Die Gegenfinanzierung dürfte in den wirren Plänen nämlich keinerlei Rolle gespielt haben", stellt Reischl klar.

Alle sogenannten Entlastungen zahlen sich die Menschen selbst in Form von schmerzhaften bis gefährlichen Kürzungen auf anderen Gebieten. Die Gegenfinanzierung dürfte in den wirren Plänen nämlich keinerlei Rolle gespielt haben.

Ingrid Reischl, ÖGB Bundesgeschäftsführerin

Bemerkenswert ist, dass die ÖVP, die in EU-Gremien stets für strenge Verschuldungsregeln eintritt, außer Leistungskürzungen keinen einzigen Vorschlag für eine Gegenfinanzierung vorlegt. „Im besten Fall fließt das Geld auf einer Seite ins Börserl rein und ohne Zwischenstopp auf der anderen wieder aus – wenn das überhaupt reicht. Wirklich profitieren werden davon wieder einmal die Reichen und es liegt der Verdacht nahe, dass das kein Zufall ist“, warnt die ÖGB Bundesgeschäftsführerin.

Interessanter ist, was fehlt – und das ist eine ganze Menge. „Die drängendsten Probleme, nämlich die hohen Preise, insbesondere bei den Mieten, Nahrungsmitteln und der Energie, der Konjunktureinbruch oder die Rezession in der Bauwirtschaft, werden von den neuen Plänen nicht gelöst“, so Reischls Zusammenfassung. „Keine Mietpreisbremse, die diesen Namen verdient, kein Wärmepaket, keine Standortstrategie, keine Besteuerung von Vermögen, Erbschaften und Schenkungen, keine echte Übergewinnsteuer“, konkretisiert die ÖGB Bundesgeschäftsführerin die bedenklichen Lücken im ÖVP-Plan.

ÖGB-Analyse: Das steckt wirklich hinter den „Ideen“

Die Expertinnen und Experten des ÖGB haben einen genauen Blick auf die von Bundeskanzler Karl Nehammer zum Wahlkampfauftakt präsentierten „Pläne“ geworfen.

Steuerfreie Überstunden sind kontraproduktiv

Überstunden von der Steuer zu befreien ist ein kontraproduktives Geschenk an Unternehmer. „Es gibt überhaupt keinen Grund Überstunden für Arbeitgeber billiger zu machen, sie zahlen jetzt schon jährlich fast 50 Millionen nicht. Gänzlich abgabenfreie Überstunden wären außerdem auch sozialversicherungsfrei. Das heißt: Wer krank oder arbeitslos wird bzw. in Pension geht bekommt weniger Geld, weil die Überstunden keine Rolle mehr spielen“, klärt Helene Schuberth, Chef-Ökonomin des ÖGB, auf.

Besonders betroffen wären außerdem wieder einmal Frauen, „weil Teilzeitbeschäftigte nicht unter die Steuerbegünstigungen fallen und so der Gender-Pay-Gap vergrößert wird.“ Das Thema müsse grundsätzlich eine Verkürzung und nicht eine Verlängerung der Arbeitszeit sein. „Die Folgen von Überstunden auf die physische und psychische Gesundheit sind wissenschaftlich erwiesen“, erinnert Schuberth außerdem.

Lohnnebenkosten sind eine wesentliche Säule des Sozialstaats

Eine Senkung der Lohnnebenkosten lehnen die Expertinnen und Experten der Volkswirtschaftlichen Abteilung des ÖGB klar ab. „Die Sozialversicherungsbeiträge dürfen nicht angetastet werden. Andere Lohnnebenkosten wie zum Beispiel der Familienlastenausgleichsfonds keinesfalls ohne ausreichende und vorab geklärte Gegenfinanzierung durch Beiträge von Unternehmen und Vermögenden“, hält Miriam Fuhrmann fest. Zumal klar sein muss: Mit höheren Löhnen und Gehältern hat das überhaupt nichts zu tun. Die Beschäftigten wären dabei völlig den Launen der Arbeitgeber ausgeliefert, die das kaum weitergeben werden.

Kapitalertragssteuer: Behaltefrist ist ein Geschenk an die Reichen

90 Prozent des Vermögenseinkommens, zum Beispiel Kursgewinne aus Wertpapieren, kommen den vermögendsten zehn Prozent der österreichischen Bevölkerung zugute, während die untere Hälfte gerade einmal über zwei Prozent des Aktienvermögens verfügt. „Die Einführung einer Behaltefrist würde also fast ausschließlich den Reichen helfen“, zeigt Fuhrmann deutlich auf.

Entfall der Grunderwerbssteuer macht Eigentum nicht leistbarer

„Mit Ideen zum Entfall der Grunderwerbssteuer greift Kanzler Nehammer eine der wenigen vermögensbezogenen Abgaben an, die in Österreich überlebt haben“, erklärt Angela Pfister. Wer sich ein Eigenheim überhaupt leisten kann, spürt allerdings kaum etwas davon. Alle anderen würde die Lücke im Budget aber voll treffen. „Für ein leistbares Wohnen ist neben einer effektiven Mietpreisbremse eine Forcierung des öffentlichen Wohnbaus dringend notwendig“, erinnert die Ökonomin außerdem. „Nur so kann sichergestellt werden, dass nicht ein Großteil der Einkommen für die Kosten des Wohnens verschlungen wird“, fordert Pfister.

Sozialer Wohnbau wird gefährdet

„Gemeinnützige Wohnungen haben wesentlich dazu beigetragen, das Wohnen leistbar zu machen. Pläne diese Immobilien in privates Eigentum zu überführen, würden den sozialen Wohnbau massiv gefährden“, warnt ÖGB-Ökonomin Angela Pfister. „Hohe Preise können nur durch eine Ausweitung des geförderten Wohnbaus und ein Zurückdrängen spekulativer Immobilieninvestments effektiv bekämpft werden“, hält Pfister fest.

Abgabenquote ist wackeliger Vergleich

„Wichtiger als die Höhe der Abgabenquote ist, wohin die Ausgaben fließen, und da steht Österreich gut da: 7 von 10 Euro werden für Soziales ausgegeben“, rechnet Helene Schuberth vor. Und das bestimmt auch über den wirtschaftlichen Erfolg. Internationale Vergleiche seien oft stark verzerrt, so sind etwa nicht alle Systeme rein staatlich organisiert – es fallen also teils hohe Kosten für die Menschen an, die in Österreich bereits abgedeckt sind.

Rot-Weiß-Rot Karte darf nicht zur Billiglösung werden

Eine Weiterentwicklung der Rot-Weiß-Rot-Karte begrüßt der ÖGB grundsätzlich, um einerseits den Fachkräftebedarf zu decken und andererseits jenen, die bereits in Österreich sind eine Perspektive zu geben. „Allerdings darf dieses Instrument keinesfalls dazu führen, dass Arbeitnehmer:innen als Billigarbeitskräfte ausgenutzt werden können“, sagt ÖGB-Arbeitsmarktexpertin Sylvia Ledwinka und warnt vor der Gefahr von Lohn- und Sozialdumping. Das betrifft sowohl die Zulassungskriterien selbst als auch die weitere Beschäftigung. Aktuell ist das System der Arbeitsmigration sehr arbeitgeberfreundlich: Die RWR-Karte gilt nur für einen konkreten Arbeitgeber. „Sinnvoll wäre, bei Erfüllung der Kriterien eine Beschäftigung ohne Arbeitgeberbindung zu ermöglichen“, fordert Ledwinka.

Außerdem müsse man jene Arbeitskräfte, die bereits im Land sind, nutzen: „Das sind einerseits Frauen, die vom Arbeitsmarkt entmutigt ihre Arbeitskraft nicht anbieten, aber ein hohes Potential wären. Oder Menschen mit Fluchthintergrund, bei denen zu wenig darauf geschaut wird, welche Fähigkeiten sie mitbringen, und ob diese eingesetzt werden könnten.“ Dazu brauche es eine rasche und auch kostenlose Feststellung dieser Qualifikationen. „Es mache nämlich keinen Sinn, dass z. B. eine Ärztin aus der Ukraine in Österreich als Heimhilfe arbeitet, nur weil ihr Anerkennungsverfahren so lange dauert und auch noch viel Geld kostet“, sagt die Arbeitsmarktexpertin.

Arbeitslosengeld ist viel zu niedrig

Mit rund 400.000 Menschen, die im Dezember arbeitslos oder in Schulung waren, zeigt sich, dass die positive Arbeitsmarktentwicklung der letzten Monate vorbei ist. „Dass die Betroffenen nach wie vor mit einem Arbeitslosengeld auskommen müssen, dass mit 55 Prozent Nettoersatzrate viel zu wenig ist, ist für ein Land wie Österreich beschämend“, kritisiert Ledwinka. „Vor allem in einer Zeit, in dem die Inflation nach wie vor – auch im europäischen Vergleich – viel zu hoch ist, weil die Bundesregierung keine wirkungsvollen Maßnahmen gesetzt hat und die guten KV-Abschlüsse leider keine Auswirkung auf die Berechnung des Arbeitslosengeldes haben.“ Umso wichtiger wäre „jetzt eine Anhebung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent Nettoersatzrate, um auch diese Menschen nicht im Regen stehen zu lassen“, so die Gewerkschafterin.

Großelternkarenz kann nicht ernst gemeint sein

„Die Omas und Opas übernehmen gerne die Betreuung der Enkelkinder. Damit aber institutionelle Kinderbetreuung ersetzen zu wollen, kann von Bundeskanzler Nehammer nicht ernstgemeint sein. Die Großeltern sind nicht dafür da, das multiple Versagen der Bundesregierung auszugleichen. Nach der Vorstellung der Regierung soll jetzt neben der Pflege von Angehörigen, die auch bei den Frauen hängenbleibt, auch die Kinderbetreuung systematisch von den Großeltern übernommen werden”, hält ÖGB-Vizepräsidentin Korinna Schumann fest.

Anstatt einer Großelternkarenz müsse endlich ordentlich investiert werden: „An einem Rechtsanspruch für beitragsfreie und flächendeckende Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag des Kindes führt kein Weg vorbei“, erklärt die ÖGB-Bundesfrauenvorsitzende außerdem. Umzusetzen sei außerdem das von ÖGB und AK vorgeschlagene Modell zur Familienarbeitszeit, damit beide Elternteile ungefähr gleich viel Zeit für die Kinderbetreuung und für die Erwerbsarbeit zur Verfügung haben. Anders als bei der bisherigen Aufteilung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, die sehr ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt war, würden beide Eltern von diesem Modell profitieren. Väter hätten mehr Zeit für ihre Kinder und Mütter würden mehr verdienen.

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