Negative Auswirkungen
Lohnzurückhaltung: Schlecht für Beschäftigte, Wirtschaft und Budget
Nicht nur geringeres Lohnsteueraufkommen, sondern auch niedrigeres Mehrwertsteueraufkommen durch Konsumzurückhaltung
„Wir werden alle ärmer“, „wir haben über unseren Verhältnissen gelebt“, „wir müssen dringend massive Einsparungen tätigen“, „wir verlieren an Wettbewerbsfähigkeit“ – so oder so ähnlich tönt es derzeit fast täglich von Wirtschaftsforscher:innen aus den Medien. Die Lösung für all diese Probleme scheint ganz einfach: Die Arbeitnehmer:innen und Gewerkschaften sollen sich in Lohnzurückhaltung – bis zu Nulllohnrunden – üben, dann geht es mit dem Wirtschaftswachstum wieder bergauf und uns allen besser. Doch Lohnzurückhaltung löst keines unserer Probleme. Ganz im Gegenteil – die aktuellen Probleme würden dadurch nur verstärkt werden und neue Probleme könnten entstehen.
Ausreichend hohe Lohnabschlüsse sichern Kaufkraft und Wirtschaftswachstum
Konsum ist einer der wichtigsten Faktoren für das Wirtschaftswachstum. Steigt dieser, indem beispielsweise mehr Menschen ihre fossilen Heizungssysteme tauschen, werden Hersteller höhere Investitionen in Produktionskapazitäten tätigen und Installationsbetriebe mehr Personal einstellen – dadurch wächst die Wirtschaft. Bei Lohnzurückhaltung, also Lohnabschlüssen unter der Teuerungsrate, sinkt die Kaufkraft der Menschen und der Konsum geht zurück. Das ist Gift für die Wirtschaft – vor allem in Zeiten hoher Verunsicherung und allgemeiner Konsumzurückhaltung, in denen viele Haushalte verstärkt einen Notgroschen ansparen (sogenanntes „Angstsparen“). Das zeigt sich darin, dass der Konsum pro Kopf – trotz Kaufkraftausgleich – in Österreich seit zweieinhalb Jahren stetig sinkt. Bei Lohnzurückhaltung wäre dieser Trend höchstwahrscheinlich sogar noch verstärkt worden. Löhne sind eben nicht nur ein Kostenfaktor für die einen Unternehmen, sondern bedeuten auch gleichzeitig Einnahmen für die anderen Unternehmen.
Industrie braucht eine Strategie und leistbare Energiepreise, keine Lohnzurückhaltung
Vor allem die Industrie steht im Fokus der Lohnzurückhaltungsfantasien – zuletzt wurden hier von Industrievertreter:innen sogar Nulllohnrunden ins Spiel gebracht. Im Gegensatz zum Konsum können wir die Exporte, die ja ebenfalls eine wichtige Komponente des Wirtschaftswachstums sind, nicht so einfach selbst beeinflussen. Diese sinken vor allem, weil im Ausland weniger österreichische Güter nachgefragt werden. Etwas niedrigere Lohnsteigerungen hingegen werden kriselnde österreichische Industriebetriebe nicht plötzlich wieder zurück auf die Überholspur bringen. Der Anteil der Löhne an den gesamten Kosten ist in der Industrie ohnehin niedriger als in den meisten anderen Branchen. Zudem hat die Industrie jahrzehntelang davon profitiert, dass die Löhne mit der niedrigeren gesamtwirtschaftlichen Produktivität mitgestiegen sind und nicht mit der Industrieproduktivität.
Man darf das Konzept der Wettbewerbsfähigkeit außerdem nicht nur auf die sogenannte „preisliche Wettbewerbsfähigkeit“ reduzieren. Nur billiger zu werden ersetzt keine Industriestrategie. Mit Niedriglohnländern kann und sollte die österreichische Industrie sowieso nicht im Bereich der Löhne konkurrieren. Im Gegenteil: Hohe Löhne ermöglichen es erst, die notwendigen Fachkräfte anzuwerben und zu halten, die für die Herstellung hochqualitativer österreichischer Waren benötigt werden. Viel wichtiger ist es, die Wettbewerbsfähigkeit über die Qualität und Innovation der Produktpalette zu steigern, was nur durch eine konkrete Strategie und Investitionen in Forschung und Entwicklung gelingt. Selbst die EU-Kommission hat das erkannt und legt den Fokus in ihrer Vision zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie nicht mehr auf die Löhne als Kostenfaktor, sondern sieht unter anderem Investitionen in die Fähigkeiten der Arbeitnehmer:innen als zentral an.
Ein großer Hemmschuh der Entwicklung der Industrieproduktion waren in den letzten Jahren außerdem vor allem die explodierenden Energiepreise, nicht die Lohnsteigerungen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf der Bundesregierung, um (neben den Haushalten) auch für die Industrie leistbare Energiepreise zu garantieren. Der ÖGB hat schon früh einen 10-Punkte-Plan mit Maßnahmen für Standort und Beschäftigung vorgelegt und wird seine Forderungen auch im Rahmen der Ausarbeitung einer Industriestrategie durch die Bundesregierung einbringen.
Lohnzurückhaltung hilft dem Budget nicht – ganz im Gegenteil
Zum Teil kursieren auch skurrile Vorschläge. So wird den Gewerkschaften nahegelegt, durch Lohnabschlüsse unter der Inflationsrate einen Beitrag zur Budgetsanierung zu leisten. Dabei wären die Auswirkungen niedrigerer Lohnabschlüsse sogar kontraproduktiv. Je niedriger der Lohnabschluss, desto weniger nimmt der Staat an Lohnsteuern ein. Sinkt in weiterer Folge der Konsum, muss der Staat auch mit Mindereinnahmen bei der Mehrwertsteuer rechnen. Allein bei der Lohnsteuer hätte 2024 ein um einen Prozentpunkt niedrigerer Abschluss Mindereinnahmen von 265 Millionen Euro bedeutet – bei einer Nulllohnrunde wären gar 2,25 Milliarden Euro weniger an Lohnsteuereinnahmen ins Budget geflossen.
Geht man davon aus, dass die Konsumausgaben anteilig gesunken wären, würden im ersten Fall zusätzlich 220 Millionen Euro durch niedrigere Mehrwertsteuereinnahmen fehlen, im Fall einer Nulllohnrunde sogar 1,85 Milliarden Euro. Insgesamt hätte die Lohnzurückhaltung zu steuerlichen Mindereinnahmen von rund 480 Millionen Euro (Lohnzurückhaltung von einem Prozentpunkt) bzw. von 4,11 Milliarden Euro (Nulllohnrunde) geführt. Die negativen Effekte auf die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts sind hier noch gar nicht einberechnet. Selbst wenn man die Einsparungen durch niedrigere Lohnabschlüsse bei Beamtinnen und Beamten sowie Vertragsbediensteten gegenrechnet, hätte die Lohnzurückhaltung noch 190 Millionen Euro (Lohnzurückhaltung von einem Prozentpunkt) bzw. 1,65 Milliarden Euro (Nulllohnrunde) an zusätzlichem Defizit für den Staat bedeutet.
Die österreichischen Lohnabschlüsse waren in Anbetracht der Teuerung äußerst moderat
Vergleicht man die Entwicklung der inflationsbereinigten Löhne pro unselbständig beschäftigter Person in Österreich mit den anderen Ländern der Eurozone von 2019 (Vorkrisenwert) bis 2024, sieht man, dass die Reallöhne in Österreich vergleichsweise moderat gestiegen sind. Über die gesamten fünf Jahre hinweg stiegen sie um 1,4 Prozent – das sind im Durchschnitt gerade einmal 0,28 Prozent pro Jahr. In der Mehrheit der Eurozonenländer waren die Reallohnsteigerungen (teils weit) höher.
Lohnzurückhaltung bedeutet ein niedrigeres Einkommen – das ganze Leben lang, bis zur Pension
Oft wird ein einmaliger Lohnverzicht als eine Kleinigkeit dargestellt. Arbeitnehmer:innen sollen in einem einzelnen Jahr eine niedrigere Lohnerhöhung akzeptieren – dafür gibt es dann vielleicht sogar eine kleine Einmalzahlung. Was verschwiegen wird: Eine niedrigere Lohnerhöhung in nur einem Jahr wirkt sich über das gesamte restliche Leben aus. Wird der Lohn im heurigen Jahr weniger stark erhöht, ist auch die Basis für die Lohnerhöhung im nächsten Jahr geringer. Dazu kommt, dass sich die Lohnzurückhaltung negativ auf die zukünftige Pension auswirkt – und zwar doppelt. Einerseits individuell, da sich die Höhe der zukünftigen Pension reduziert, indem jedes Jahr ein niedrigerer Pensionsversicherungsbeitrag eingezahlt wird als ohne Lohnzurückhaltung. Andererseits wird die Pensionsgutschrift aller pensionsversicherten Beschäftigten auf ihrem Pensionskonto weniger stark aufgewertet. Denn die Gutschrift wird nicht automatisch an die Teuerung angepasst, sondern ihr Wert steigt (zeitversetzt) im gleichen Ausmaß wie der jährliche Anstieg der gesamten Arbeitseinkommen in Österreich. Dieser Effekt ist – ähnlich wie bei den Lohnerhöhungen – umso größer, je weiter entfernt das Pensionsantrittsdatum ist.
Zwei Beispiele: Bei einer Arbeitnehmerin, die 3.000 Euro brutto im Monat verdient und der noch 25 Jahre bis zur Pension fehlen, summiert sich eine einzige Nulllohnrunde (statt plus 8,5 Prozent wie im Durchschnitt 2024) bis zur Pension auf einen Verlust von 46.000 Euro an Lebenseinkommen aus. Bei einem Arbeitnehmer, der gerade mit einem Einkommen von 2.500 Euro brutto im Monat in den Arbeitsmarkt eingestiegen ist und noch 45 Arbeitsjahre vor sich hat, beträgt allein der Verlust durch eine einmalige Lohnzurückhaltung von nur einem Prozentpunkt mehr als 32.000 Euro. Annahme: Löhne steigen in Zukunft pro Jahr um drei Prozent (Inflationsrate: zwei Prozentpunkte, Produktivitätsgewinn: ein Prozentpunkt; Effekt auf das Pensionseinkommen nicht einberechnet.)
Arbeitnehmer:innen sollen sich in Lohnzurückhaltung üben – aber die Gewinne dürfen weiter sprudeln?
Dieselben Wirtschaftsforscher, die nun nach Lohnzurückhaltung rufen, haben stets ihre „schützende Hand“ über die Unternehmen gehalten, wenn diese Unterstützung bei Argumenten gegen eine höhere Besteuerung ihrer Gewinne benötigten. „Nicht zielführend“, oder „problematisch“ hieß es da sofort, obwohl Energieunternehmen und Banken einen zufallsbedingten Rekordgewinn nach dem anderen einfuhren, ohne diese Gewinne in irgendeiner Art und Weise durch bessere Produkte oder Dienstleistungen zu rechtfertigen.
Generell scheinen es viele Wirtschaftsforscher:innen nicht für notwendig zu halten, sich mit der Gewinnentwicklung zu beschäftigen. Sonst hätte es bereits auffallen müssen, dass im Jahr 2024 – dem zweiten Jahr in Folge mit negativer Wirtschaftsentwicklung – zumindest die Gewinne der Kapitalgesellschaften weiterhin hoch sind. Denn die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer (Steuer auf Unternehmensgewinne) waren 2024 beinahe gleich hoch wie im Rekordjahr 2023 – und das trotz Senkung des Steuersatzes von 24 auf 23 Prozent. Auch dass die großen börsennotierten Konzerne letztes Jahr Dividenden – also die Gewinne des Vorjahres – in Rekordhöhe ausschütteten, störte niemanden.
Die hohen Ausschüttungen spiegeln sich (neben den starken Kursgewinnen am Aktienmarkt) auch in den historisch hohen Einnahmen aus der Kapitalertragsteuer wider. Unternehmerische Weitsicht angesichts des negativen Wirtschaftsausblicks sieht anders aus. Eine Rücknahme der Körperschaftsteuersenkung von 23 auf (die bis zum Jahr 2022 geltenden) 25 Prozent ist das Mindeste, was Unternehmen zur Budgetsanierung beitragen sollten. Die Steuer wird ohnehin nur für Unternehmen, die Gewinne machen, fällig – angesichts der guten Ertragslage dürfte das trotz Krise für viele kein Problem sein.
Steigende Lohnquote ist kein Problem – Unternehmen investieren unabhängig von aktuellen Gewinnen
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist die Summe aller produzierten Güter und Dienstleistungen – diese erzielte Wertschöpfung ist gleichzeitig auch das Einkommen, das in Form von Löhnen oder Gewinnen an Haushalte und Unternehmen verteilt wird. Der Anteil der Löhne am BIP ist die Lohnquote. Hier wird kritisiert, dass diese in den letzten Jahren – trotz Krisen – gestiegen ist, also dass die Arbeitnehmer:innen einen höheren Anteil der Wertschöpfung als zuvor erhalten. Den Unternehmen bleibt so angeblich weniger Gewinn, den sie investieren können. Der langfristige Vergleich zeigt aber, dass die Investitionen noch nie so niedrig waren, wie rund um die Finanzkrise, als die Gewinnquote ihren Höhepunkt erreicht hatte – ein positiver Zusammenhang zwischen Gewinnen und Investitionen zeigt sich also nicht. Zudem kommen die Rufe nach Lohnzurückhaltung nur in Zeiten steigender Lohnquoten – in den 30 Jahren ab Ende der 1970er-Jahre, in denen die Lohnquote gesunken ist, muss man die Rufe von Wirtschaftsforscher:innen nach höheren Lohnabschlüssen, um das Sinken der Lohnquote zu verhindern, wohl mit der Lupe suchen.