Der „Omnibus“ ist falsch abgebogen
Datenschutz. Eine Expertin schilderte, wie die EU-Kommission Datenschutz und KI reformieren will. Ein Einspruch.
Dieser Artikel ist unter dem Titel „Der ‚Omnibus‘ ist falsch abgebogen “ am 1. Dezember 2025 in der Presse erschienen.
Von Sebastian KlockerWien. In der aktuellen Diskussion über den „Digitalen Omnibus“ wird Kritik als überzogen oder gar polemisch als Verschwörungstheorie abgetan (Univ.-Prof. Christiane Wendehorst im „Rechtspanorama“ vom 24.November). Dabei kommt die Kritik aus der Mitte der Gesellschaft und wird von NGOs, Zivilgesellschaft und Gewerkschaften aus ganz Europa getragen. Der ÖGB ist Mitunterzeichner des Appells von 127 Organisationen an die EU-Kommission, die Einschränkung von digitalen Rechten umgehend einzustellen.
Demokratiepolitisch fatal
Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind keine „technischen Vereinfachungen“, sie ändern die gesellschaftspolitischen Weichenstellungen der europäischen Digitalpolitik. Die geplanten Reformen greifen die Grundarchitektur des EU-Datenschutzes an. Sie sind gravierend – umso bedenklicher, dass im Vorfeld die Folgen für Grundrechte nicht eingehend bewertet wurden. Das Regieren per Omnibus ist auch demokratiepolitisch ein fatales Signal. Die Maßnahmen wirken sich unmittelbar negativ auf 200 Millionen Beschäftigte in der EU aus.
Durch die Einengung der Definition personenbezogener Daten können Unternehmen künftig selbst entscheiden, ob Daten „personenbezogen“ sind, und sie somit verarbeiten, ohne dass Betroffene ihre Schutzrechte geltend machen können. In Zeiten von Big Data, in denen aus scheinbar harmlosen Informationen Rückschlüsse auf Gesundheit, Herkunft oder politische Haltung möglich sind, würde diese Verschiebung zu erheblichen Schutzlücken führen. Wenn ausgerechnet die EU-Kommission diesen Schritt als bloße juristische Präzisierung darstellt, verkennt sie die Tragweite. Die Änderungen an den Definitionen haben eine nicht absehbare Auswirkung auf den Grundrechtsschutz.
Mit der Einschränkung des Auskunftsrechts auf „Datenschutzzwecke“ wird Beschäftigten darüber hinaus die praktische Kontrolle über ihre Daten weitgehend entzogen. Gerade am Arbeitsplatz ist das Auskunftsrecht ein zentrales Instrument, um Machtasymmetrien auszugleichen. Wenn Beschäftigte etwa geleistete Arbeitsstunden einsehen oder algorithmische Bewertungssysteme nachvollziehen wollen, ist dieses Recht unerlässlich. Wird seine Nutzung auf enge Zwecke beschränkt, könnten Anfragen unter fadenscheinigen Gründen mit dem Hinweis zurückgewiesen werden, sie würden „nicht dem Datenschutz dienen“.
Dazu kommt, dass der Digitale Omnibus Unternehmen weitreichende Spielräume eröffnet, personenbezogene und sogar besonders sensible Daten für das Training von KI-Modellen zu nutzen – auch zu kommerziellen Zwecken. Dies wird politisch gern als Beitrag zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit dargestellt – stärkt aber unmittelbar die großen US-Konzerne. Das Argument, Europa würde durch Regulierung gebremst, ist ein bequemer Allgemeinplatz, der verschleiert, dass die EU vor allem strukturelle Versäumnisse aufzuholen hat. Dazu zählen mangelnde Investitionen, massive Abhängigkeiten von US-Konzernen, unzureichende Recheninfrastrukturen und eine zersplitterte Forschungslandschaft. Die Abschwächung der Grundrechte ersetzt keine verpassten Industriepolitiken.
Währenddessen schreitet der Einsatz algorithmischer Systeme im Arbeitsalltag rasant voran. Laut einer Auswertung des EU-Parlaments auf Basis der EWCs 2025 sind 42,3 Prozent der Beschäftigten in der EU von algorithmischem Management betroffen. Kontinuierliche Überwachung am Arbeitsplatz, automatisierte Leistungsbewertungen und Kontrollverlust der Mitarbeitenden erhöhen Stress und Unsicherheit und bergen gesundheitliche Risiken. Wenn zudem sowohl Transparenz als auch Kontrollrechte eingeschränkt werden, entsteht eine gefährliche Mischung aus mehr digitaler Überwachung und weniger Kontrolle.
Menschliche Aufsicht muss sein
Umso wichtiger ist daher die neue Gesetzesinitiative des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des EU-Parlaments über den Einsatz algorithmischer Managementsysteme am Arbeitsplatz. Diese Systeme sammeln riesige Mengen personenbezogener Daten über Verhalten, Standort, Leistung und sogar den emotionalen Zustand von Beschäftigten. Sie treffen Entscheidungen über Einstellung, Kündigung oder Entlohnung. Beschäftigte müssen erfahren, welche Daten gesammelt werden, wie die Systeme funktionieren und welche Auswirkungen sie haben. Es braucht garantierte, menschliche Aufsicht und Letztentscheidung in allen personalrelevanten Prozessen.
Der Digitale Omnibus ist falsch abgebogen. Europa braucht keine geringere, sondern eine bessere Regulierung. Dazu gehören klare Grenzen für den Einsatz algorithmischer Systeme und starke Rechte für diejenigen, die täglich von ihnen überwacht werden. Eine demokratische, menschenzentrierte Digitalisierung braucht die aktive Einbindung der Beschäftigten, Kontrollmöglichkeiten und eine starke betriebliche Mitbestimmung.