Zum Hauptinhalt wechseln
Hintergrund © Zerbor – stock.adobe.com, H. Schuberth © Elisabeth Mandl

Einsatz für höhere Löhne ist kein Witz, er ist unsere Stärke

Die Benya-Formel ist ein Stabilitätsanker in stürmischen Zeiten. Eine Replik auf Jan Kluge.

 

Dieser Artikel ist unter dem Titel „Einsatz für höhere Löhne ist kein Witz, er ist unsere Stärke“ am 13. Juni 2025 in der Presse erschienen.

Wenn es um gerechte Löhne geht, ist der Spott nicht weit – zumindest dann, wenn sich Arbeitnehmer:innen nicht dem Diktat wirtschaftsliberaler Denkfabriken beugen. Jan Kluge von Agenda Austria nennt in seinem Gastkommentar in der „Presse“ die Benya-Formel einen Fall fürs „Museum“ und meine Verteidigung ebenjener einen Fall für die „Witzspalte“.

Wer die reale Einkommensentwicklung von Millionen Beschäftigten zur Karikatur erklärt, offenbart viel über das eigene Verständnis von wirtschaftlicher Realität – und über das Menschenbild, das dahintersteht.

Für Millionen von Menschen ist es eben kein Witz und kein Fall für die Witzspalte, wenn sie nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen. Es ist kein Witz, wenn sie nicht wissen, wie sie ihren Wocheneinkauf begleichen sollen oder wenn sie an den Energierechnungen verzweifeln.

Dieses Menschenbild offenbart, dass Attacken auf Betroffene und jene, die sich nicht wehren können, oberste Priorität haben. Die Rufe nach Lohnzurückhaltung reihen sich ein in eine lange Liste an Forderungen wie Arbeiten bis 70, Streichung von Feiertagen und ähnliche Grauslichkeiten.

Bleib informiert über deine Arbeitswelt!
Das Wichtigste auf einen Blick

Rendezvous mit den Fakten

Die Benya-Formel hat sich über Jahrzehnte als verlässlicher Orientierungsrahmen in der österreichischen Lohnpolitik erwiesen. Ihre Kopplung der Lohnentwicklung an die vergangene Inflation und das durchschnittliche Produktivitätswachstum der Gesamtwirtschaft sichert nicht nur die Reallöhne der Beschäftigten, sondern trägt auch zur gesamtwirtschaftlichen Stabilität bei. Die Behauptung, diese Regelung sei maßgeblich für die lang andauernde Rezession verantwortlich, ist empirisch nicht belegt.

Tatsächlich hat sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie seit dem Jahr 2023 verschlechtert – aber das nach einem Jahrzehnt kontinuierlicher Verbesserungen. Und gerade in dieser langen Phase war es die Benya-Formel, die mit ihrer Ausrichtung am mittelfristigen Produktivitätszuwachs wesentlich zur preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Industrie beitrug. Die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzte Industrie, deren Produktivität in den vergangenen 15 Jahren etwa dreimal so stark gestiegen ist wie im Rest der Volkswirtschaft, konnte davon erheblich profitieren.

Wer nun in der aktuellen Schwächephase – in der auch die Industrie seit circa zweieinhalb Jahren eine rezessionsbedingt leicht rückläufige Produktivitätsentwicklung zeigt – Reallohnverluste fordert, blendet die Gesamtentwicklung aus. In jenen Jahren mit hohem Produktivitätswachstum gab es hingegen kein lautstarkes Verlangen nach überproportionalen Lohnerhöhungen. Umgekehrt sollen nun aber die Arbeitnehmer:innen die Konjunkturflaute allein schultern?

Vielschichtige Ursachen

Die Benya-Formel ist ein Stabilitätsanker in stürmischen Zeiten. Wer sie infrage stellt, verkennt sowohl ihre ökonomische Funktion als auch ihre soziale Bedeutung. Von einer Denkfabrik erwartet man sich mehr als das Wiederkäuen von längst überholten Weisheiten von vorgestern. Die Ursachen der schwierigen ökonomischen Lage sind vielschichtig und nicht auf einen Indikator zu reduzieren. Die österreichische Industrie kämpft derzeit mit einem Nachfrageeinbruch, ausgelöst durch die restriktive Zinspolitik der EZB und hohe Energiepreise, aber auch mit einer Reihe von strukturellen Problemen. Die schwächelnde Exportnachfrage – besonders aus Deutschland – tut ihr Übriges. Nicht die Löhne, sondern strukturelle und externe Faktoren drücken auf die österreichische Industrie – und eine pauschale Lohnzurückhaltung wäre ökonomisch wie sozial kontraproduktiv.