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„Eine Arbeitszeitverkürzung noch länger aufzuschieben, können wir uns nicht leisten“

Der heimische Arbeitsmarkt ist aktuell so stark unter Druck wie nie zuvor. Die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, muss jetzt oberste Priorität haben. Um Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen, haben jetzt auch WissenschafterInnen eine Arbeitszeitverkürzung gefordert. Einer von ihnen ist der Soziologe Jörg Flecker von der Uni Wien. Im oegb.at-Interview erklärt er die Vorteile einer Arbeitszeitverkürzung, und warum die Panik der Wirtschaft vor diesem Thema ins Leere geht.  

oegb.at: Was sind die Vorteile einer Arbeitszeitverkürzung? 

Flecker: In Zeiten extrem hoher Arbeitslosigkeit, wie wir sie derzeit haben, ist die bessere Verteilung von Erwerbsarbeit der wichtigste Vorteil. Es liegen kaum andere Vorschläge auf dem Tisch, wie die Arbeitslosigkeit in den nächsten Jahren wirksam verringert werden könnte. Zugleich kann Arbeitszeitverkürzung dabei helfen, weitere wichtige gesellschaftliche Ziele zu erreichen: Bessere Gesundheit durch kürzere Arbeitszeit und durch weniger Arbeitslosigkeit - denn Arbeitslosigkeit macht krank.

Arbeitszeitverkürzung führt aber auch zu Geschlechtergerechtigkeit, mehr Zeit für Bildung und zur Verringerung der Umweltbelastung. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt und auch andere Probleme zeigen, dass es sich die Gesellschaft nicht leisten kann, die weitere Arbeitszeitverkürzung noch länger aufzuschieben. 

oegb.at: Wenn von Arbeitszeitverkürzung die Rede ist, heißt es reflexartig von Seiten der Wirtschaft, diese sei entweder „nicht durchführbar” oder „nicht leistbar“. Stimmt das?  

Flecker: Gerade die Schritte der Arbeitszeitverkürzung im 20. Jahrhundert zeigten sehr klar, dass es wirtschaftlich möglich ist. Schon im 19. Jahrhundert haben bei täglichen Arbeitszeiten von 15 Stunden Unternehmer behauptet, dass eine Arbeitszeitverkürzung sie ruinieren würde. Man muss klar sehen, dass die Arbeitszeitverkürzung immer von den Gewerkschaften gegen die Unternehmer und deren Interessenvertretungen durchgesetzt wurde. Da kann man sich keinen Konsens erwarten. 

Die Arbeitszeitverkürzung wurde immer gegen die Unternehmer und deren Interessensvertretungen durchgesetzt.

oegb.at: Gegner der Arbeitszeitverkürzung sagen, man würde damit gleich viel Arbeit in weniger Zeit machen müssen... 

Flecker: Diese Befürchtung ist nicht unberechtigt. Es gibt viele Jobs, in denen es weniger auf die Zeit als auf das Erreichen eines Ziels ankommt und die Arbeitszeit gar nicht wirklich erfasst wird. Die Frage ist: Wie begrenzt man die Arbeitsmenge und wie erreicht man, dass zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden? Das Problem, dass die Begrenzung der Arbeitszeit kaum noch funktioniert, besteht aber nur bei einer kleinen Minderheit der Arbeitsplätze. Bei den meisten ist nach vorliegenden Untersuchungen zu erwarten, dass eine Arbeitszeitverkürzung auch tatsächlich weniger Arbeit bedeutet. 

 Jörg Flecker: "Arbeitszeitverkürzung sorgt auch für bessere Gesundheit, Geschlechtergerechtigkeit, gibt mehr Zeit für Bildung und verringert Umweltbelastung."

oegb.at: Aktuell steht die Wirtschaft unter enormem Druck. Würde eine Arbeitszeitverkürzung in Corona-Zeiten die Unternehmen weiter in Bedrängnis bringen?  

Flecker: Das sollte man differenzierter betrachten. Ein Teil der Unternehmen hat große wirtschaftliche Probleme, andere haben wenig Einbußen, manche profitieren von der Situation. Und gerade diejenigen, die in Schwierigkeiten geraten, könnten durch eine geförderte Arbeitszeitverkürzung ihre qualifizierten und eingearbeiteten Beschäftigten behalten und Kündigungen vermeiden.

Es braucht auch einen Ausgleich zwischen den Unternehmen: Viele Industriebetriebe haben schon derzeit kurze Arbeitszeiten, und die Lohnkosten machen bei ihnen nur einen kleinen Teil ihrer Gesamtkosten aus. Also würden sie eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn kaum bemerken.

Andere sind arbeitsintensiv mit einem hohen Anteil an Lohnkosten. Diese spüren eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn wirtschaftlich sehr. Wichtig wäre es, hier einen Ausgleich zu schaffen, etwa indem man die Sozialversicherungsbeiträge auf eine Wertschöpfungsabgabe umstellt.   

Viele Industriebetriebe würden eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn kaum bemerken.

oegb.at: Gegner führen oft ins Treffen, dass internationale Beispiele einem Praxistest nicht standgehalten hätten, etwa Frankreich. 

Flecker: Frankreich ist für die Gegner ein schlechtes Argument. Dort hat die Arbeitszeitverkürzung durchaus Arbeitsplätze geschaffen. Insgesamt besser wäre es, wenn die Arbeitszeitverkürzung auf europäischer Ebene abgestimmt wird. Länder mit hoher Produktivität, aber auch jene mit vergleichsweise sehr langen Arbeitszeiten wie Österreich, könnten es sich leisten voranzugehen. Das hätte auch für das wirtschaftliche Gleichgewicht im Euroraum Vorteile. 

Länder wie Österreich könnten es sich leisten bei einer Arbeitszeitverkürzung voranzugehen.

oegb.at: Reicht es, die Arbeitszeit quasi nur am Papier zu ändern oder braucht es gezielte Vorkehrungen, damit auch darauf geachtet wird, dass die kürzeren Arbeitszeiten eingehalten werden? 

Flecker: Es wäre sehr wichtig, nicht nur die gesetzliche und kollektivvertragliche Arbeitszeit zu verkürzen, sondern auch die Einhaltung der Arbeitszeitbestimmungen besser durchzusetzen. Das ist schon derzeit nicht garantiert. Die Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeiten ist gerade bei fortgeschrittener Flexibilisierung schwer sicherzustellen. Der Entgrenzung der Arbeitszeit entgegenzuwirken und einen Personalausgleich zu erreichen, ist ebenso wichtig, wie eine kollektivvertragliche oder gesetzliche Verkürzung zu erreichen. 

oegb.at: Danke für das Gespräch. 

Übrigens: Österreich ist in der EU auf Platz zwei eines traurigen Rankings: Im Schnitt werden hierzulande 42,4 Stunden pro Woche gearbeitet. Nur Griechenland erreicht mit 43,9 Stunden einen höheren Wert, der EU-Schnitt liegt bei 40,9 Stunden. 

Auch der ÖGB setzt sich seit jeher für kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohn- und Personalausgleich ein und begrüßt alle Formen der Arbeitszeitverkürzung, etwa die Vier-Tage-Woche, die sechste Urlaubswoche und reduzierte Wochenarbeitszeiten.