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ÖGB Tirol

Von A wie Arbeitsmarkt bis Z wie Zukunftshoffnung

Seit eineinhalb Jahren dominiert die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen die Schlagzeilen. Das einstige Vorzeige-Bundesland Tirol befand sich nach Ischgl, Rekordarbeitslosigkeit und einem Komplett-Ausfall der Wintersaison am absoluten Tiefpunkt. Viele andere, aber nicht weniger wichtige Themen sind während dieser Zeit in den Hintergrund gerückt. Wir haben den Tiroler ÖGB-Vorsitzenden Philip Wohlgemuth zum Talk gebeten.

 

OEGB.at: Wir haben unsere neueste Podcast-Folge etwas provokant „Sag mir wo die Fachkräfte sind“ genannt. Tatsächlich suchen zahlreiche Firmen wieder händeringend nach gut ausgebildeten MitarbeiterInnen. Hat man da in der Krise etwas verpasst?

Philip Wohlgemuth: Da ist grundsätzlich viel hausgemacht, Stichwort Tourismus. Anstatt unsere jahrelangen Warnungen ernst zu nehmen, ist uns nur unterstellt worden, wir würden die Branche schlecht reden. Jetzt findet man kein Personal mehr und der Jammer ist groß. Hier nehme ich einerseits die Branche und Betriebe in die Pflicht, aber andererseits muss auch die öffentliche Hand für ausreichend Aus- und Weiterbildungsangebote sorgen. Ich habe immer gesagt, in der Krise wäre der perfekte Zeitpunkt, um für Höherqualifikation zu sorgen. Auch wenn hier beispielsweise das AMS und deren Kooperationspartner hervorragende Arbeit leistet, brauchen wir noch mehr Angebote. Schlussendlich profitieren alle davon.

Inwiefern genau?

Wohlgemuth: Gut ausgebildete Fachkräfte arbeiten meist in gut bezahlten und krisenresistenten Jobs, während Menschen mit vergleichsweise niedrigerer Qualifikation viel eher Gefahr laufen, arbeitslos zu werden, das hat uns die Vergangenheit immer wieder gezeigt. Neben dem menschlichen Leid resultieren daraus natürlich Kosten wie Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, etc.!

Heimische Beschäftigte findet man im Tourismus schon lange nicht mehr. 

Zurück zum Tourismus: Warum machen sich die Probleme gerade jetzt bemerkbar?

Wir bemühen uns seit Jahren, die Branche gemeinsam weiterzuentwickeln und wieder fit zu machen und haben immer wieder Vorschläge unterbreitet. Reflexartig wurde alles von den ArbeitgebervertreterInnen abgelehnt: egal, ob die Einführung einer Tourismuskasse, wichtige Verbesserungen bei den Rahmenbedingungen oder die dringend notwendige bessere Bezahlung. Mittlerweile gleichen sich die Löhne in den EU-Staaten immer mehr an. In vielen anderen Staaten verdienen Tourismusbeschäftigte inzwischen gleich viel wie in Österreich. Heimische Beschäftigte findet man in Österreich ja schon lange nicht mehr. Zusätzlich haben der Branche während der langen Schließzeiten in den vergangenen eineinhalb Jahren zahlreiche MitarbeiterInnen den Rücken gekehrt. Wenn wir nicht rasch handeln, droht ein Verlust des Qualitätstourismus – jener Tourismus, für den wir bekannt sind.

Der Minister soll Arbeitslosigkeit bekämpfen, nicht Arbeitslose!

Arbeitsminister Martin Kocher will vermehrt Menschen von der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung bringen, indem er die Zuverdienstmöglichkeit streicht.

Minister Kocher soll Arbeitslosigkeit bekämpfen, nicht Arbeitslose! Wenn ich solche Aussagen höre, bekomme ich einen Grant! Arbeitslose sind nicht faul, sondern finden meist keine passende Beschäftigung. Dazu kommt, dass 9 von 10 Arbeitslosen an der Armutsgrenze leben. Anstatt also die Jagd auf jene zu eröffnen, die ohnehin schon nichts haben, sollte Minister Kocher besser die wirklichen Probleme in der Arbeitswelt angehen.

Die wären?

Wir brauchen endlich Löhne und Gehälter, von denen man auch leben kann. Allein in Tirol gelten rund 29.000 Menschen als „working poor“, also arm trotz Arbeit. Viele Frauen sitzen in der sogenannten Teilzeitfalle, auch da braucht es Konzepte von einem Ausbau der Kinderbetreuungsangebote bis hin zu Qualifizierungsangeboten. Generell muss die Branchenstruktur gerade in Tirol neu aufgestellt werden, die Ansiedelung von High-Tech-Unternehmen sollte dringend forciert und vorangetrieben werden.

Ein langfristiges Ziel der Gewerkschaft ist ja auch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.

Wir müssen endlich anfangen, die Arbeit gerecht zu verteilen. Während Österreich bei der Arbeitszeit im EU-weiten Spitzenfeld liegt, wird gerade in vielen anderen Ländern über die Einführung einer 4-Tage-Woche diskutiert. Solche Konzepte, um länger gesund in der Arbeitswelt bestehen zu können, wären wirklich zukunftsweisend. Da hinken wir deutlich hinterher.

Ich lade alle Beschäftigten ein, uns im Kampf für eine Arbeitszeitverkürzung zu unterstützen.

Wie will die Gewerkschaft das denn erreichen?

Wir haben in der Vergangenheit konsequent bewiesen, dass wir unsere Konzepte für eine bessere Arbeitswelt durchsetzen können. Das von uns entworfene Konzept der Kurzarbeit hat sich mehr als bewährt und hunderttausende Jobs gesichert. Weitere Beispiele sind der Papamonat und die Verlängerung der Sonderbetreuungszeit, zwei wesentliche Schritte für Familien. Grundsätzlich sind wir aber nur so stark wie die Anzahl unserer Mitglieder. Kurz gesagt: Je mehr Mitglieder wir haben, desto besser können wir uns für eine gute Arbeitswelt einsetzen! Daher lade ich alle Beschäftigten, die (noch) nicht Mitglied sind, ein unsere Bewegung zu unterstützen.