Kinder und Beruf - ein Widerspruch?
Der ÖGB Tirol hat, unter Federführung der Frauenabteilung, im Herbst 2017 in Summe 238 Frauen und Männer zur Thema „Vereinbarkeit von Familie & Beruf“ befragt. Das Ergebnis zeigt, dass vor allem alleinerziehende Frauen sich von Land und Gemeinden in Punkto Kinderbetreuung nicht ausreichend unterstützt fühlen. So hat die Befragung ergeben, dass 69,75 Prozent die Forderung nach mehr Vollzeitarbeitsplätzen unterstützen, 90,34 Prozent den Rechtsanspruch zur kostenlosen Kinderbetreuung ab dem 1. Lebensjahr des Kindes fordern und sich 92,86 Prozent einen Rechtsanspruch auf eine Freistellung wünschen, um den Familienzeitbonus („Papamonat“) in Anspruch nehmen zu können.
Das Thema Kinder und Beruf ist ein vielfältiges, geprägt von unterschiedlichsten Problematiken. Als Kernpunkt darf mit Sicherheit eine entsprechende Infrastruktur bei der Kinderbetreuung bezeichnet werden. Nach wie vor sind es zum Großteil die Frauen, die Teilzeit arbeiten, um ihre Kinder auch von zuhause aus betreuen zu können. Das geschieht oft bewusst, aber nicht immer freiwillig. Es gilt hier in erster Linie, Eltern eine entsprechende Wahlfreiheit zu ermöglichen.
Das „klassische Familienbild“ herrscht derzeit zum Großteil vor: In Tirol lebten im Jahr 2016 81.100 der unter 15-jährigen Kinder (entspricht 76,1 Prozent) bei Ehepaaren, 15.100 (14,2 Prozent) bei nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften und 10.400 (9,8 Prozent) bei Alleinerziehenden.
ElementarpädagogInnen und LehrerInnen leisten tagtäglich einen wichtigen Beitrag zu unserer Gesellschaft. Sie verdienen entsprechende Rahmenbedingungen, um ihren Beruf bestmöglich ausüben zu können. Diese verdienen es jedoch, eigenständig untersucht zu werden und sind daher nicht Gegenstand des Positionspapiers.
Alle Lösungsvorschläge im Überblick
1. die Einrichtung einer Online-Plattform mit allen Kinderbetreuungsangeboten in ganz Tirol. Sie soll Aufschluss über freie Plätze, Öffnungszeiten, Preise, Fördermöglichkeiten (Kindergeld Plus, Kinderbetreuungszuschuss, Schulstarthilfe, Schulveranstaltungsförderung etc.), pädagogische Ausrichtung und eventuelle Mittagsangebote geben.
2. die Überprüfung der Richtlinien für das Siegel „Familienfreundliche Gemeinde“ und Erweiterung in Hinblick auf Kinderfreundlichkeit.
3. Den flächendeckenden Ausbau von qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungsplätzen. Hier ist ein spezieller Fokus auf regionale Gebiete zu legen. Die Öffnungszeiten müssen auf die Tagesrandzeiten ausgedehnt werden. Dies schafft zugleich Arbeitsplätze.
4. den Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem 1. Lebensjahr. Grundsätzlich soll es dabei um die Gewährleistung einer optimalen Betreuung des Kindes gehen, primär soll auf seine Bedürfnisse eingegangen werden. Die Arbeitssituation der Eltern ist dabei sekundärer Denkansatz.
5. Schrittweise Ausweitung des Kinderbetreuungsangebotes zumindest auf Samstage.
6. Ausweitung des Betreuungsangebots während der Ferienzeiten. Für die von der Bundesregierung geplanten Herbstferien ist ebenfalls ein entsprechendes Betreuungsangebot sicherzustellen. Die finanziellen Mittel hierfür hat der Bund bereitzustellen, keinesfalls dürfen für die Gemeinden neue Kosten entstehen.
7. Zweites verpflichtendes, kostenloses Kindergartenjahr für alle Kinder und gleichzeitig eine entsprechende Aufstockung der Personalressourcen.
8. Fortsetzung der Kostenbeteiligung des Bundes für den Ausbau der Kinderbetreuungs- und Kinderbildungseinrichtungen.
9. Angleichung der Kosten für Kinderbetreuung (gleiche Kosten, unabhängig vom Wohnort) bzw. die Kostenübernahme durch die jeweilige Heimatgemeinde, auch wenn das Kind berechtigterweise einen Betreuungsplatz außerhalb in Anspruch nimmt. Verpflichtende Ausgleichszahlungen von Gemeinden, die kein entsprechendes Kinderbetreuungsangebot zur Verfügung stellen (können), gegenüber jenen Gemeinden, die in Folge das Betreuungsangebot für das jeweilige Kind gewährleisten. Dies gilt insbesondere auch für Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Auf lange Sicht ist eine kostenlose Nachmittagsbetreuung anzustreben!
10. eine landesweit einheitliche Bedarfserhebung in Bezug auf Tagesöffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen, Ferienbetreuung und Wochenend-Betreuung und rasche Umsetzung der daraus abgeleiteten Maßnahmen.
11. stärkere Verpflichtung der Gemeinden zum Ausbau des Betreuungsangebotes von Seiten des Landes Tirol, zum Beispiel durch eine geänderte Vergabe der Bedarfszuweisungen.
12. rechtzeitige Bekanntgabe von Förderhöhe und Auszahlungsterminen für private Kinderbetreuungseinrichtung von Seiten des Landes Tirol. Andernfalls gestaltet sich die Sicherstellung der Finanzierung für private Träger äußerst schwierig.
13. Abkehr von den halbwertigen Stunden für Lehrpersonen bei der schulischen Tagesbetreuung.
14. einen garantierten Mindestverdienst für Tageseltern und zwar unabhängig von den tatsächlich geleisteten Stunden und der Anzahl der betreuten Kinder. Die entsprechende Finanzierung muss durch das Land Tirol erfolgen.
15. die gesetzliche Verpflichtung, Beschäftigungsverhältnisse von Tageseltern in Form einer Vollversicherung beim zuständigen Sozialversicherungsträger zu melden.
16. Steuerliche Anreize für Unternehmen, die betriebliche Kinderbetreuung anbieten. Dies kann auch betriebsübergreifend stattfinden, beispielsweise in Gewerbegebieten.
17. Evaluierung und Ausbau von Konzepten zu Kindertagesstätten in Betrieben mit Tagemüttern/vätern am Beispiel der bereits vorhandenen Initiativen von Tageselternvereinen in Tirol.
18. Die Errichtung einer Plattform für interessierte Betriebe und Unternehmen zur Vernetzung, integriert in die Online-Plattform mit der Auflistung der Kinderbetreuungseinrichtungen
19. Die Initiierung des flächendeckenden „Notfall-Eltern“-Angebots sowie die Positionierung der Sozialsprengel als zentrale Anlaufstelle.
20. Die erneute gesetzliche Verankerung des Anspruchs auf Familienhilfe.
21. volle Anrechnung der Karenzzeiten, auch bei dienstzeitabhängigen Ansprüchen wie Gehaltsvorrückung und Abfertigung bzw. betriebliche Vorsorgekassen sowie bei der Anrechnung von Vordienstzeiten.
22. Berechnung des Kinderbetreuungsgeldes auf Basis der gemeinsamen Einkommen, um auch für den besser verdienenden Elternteil Anreize zu schaffen, in Karenz zu gehen.
23. schrittweise Anhebung des kollektivvertraglichen Mindestlohns auf 1.700 Euro brutto.
24. Informationspflicht des Unternehmens an karenzierte MitarbeiterInnen (Bildungsangebote, Änderungen im Unternehmen, Einschulungen …) und Möglichkeit zur Wahrnehmung des Angebots.
25. Durchführung eines verpflichtenden Gesprächs vor Antritt der Karenzzeit mit dem Ziel des „Karenzmanagements“ (zeitgerechte Planung), die Initiative dazu hat von der Unternehmensleitung auszugehen. Sofern im Unternehmen ein Betriebsrat installiert ist, hat dies unter Einbindung des Betriebsrates zu erfolgen.
26. Durchführung eines verpflichtenden Gesprächs vier Wochen vor dem Wiedereinstieg über die gegenseitigen Vorstellungen. Der/die „Karenzrückkehrer/in“ sollte das Recht haben, auf Wunsch den Betriebsrat zum Gespräch hinzuzuziehen, sofern im Unternehmen eine entsprechende Vertretung installiert ist.
27. auf ausgeschriebene Stellen sollen sich auch karenzierte Personen bewerben können.
28. den Ausbau des Beratungsangebots für Eltern, um sie über ihre Rechte und Möglichkeiten zur Karenz zu informieren. Dabei sollen eigene Strategien entwickelt werden, um Männer zu erreichen. Bis zur Umsetzung bietet der ÖGB Tirol eine entsprechende Anlaufstelle und wird in weiterer Folge Vorträge organisieren.
29. Rechtsanspruch auf eine Freistellung, um den Familienzeitbonus („Papamonat“) in Anspruch nehmen zu können – es empfiehlt sich das Recht auf einen „einseitigen Karenzantritt“
30. Initiativen zur gezielten Höherqualifizierung von Teilzeitkräften. Trotz zahlreicher Fördermöglichkeiten (Bsp.: Bildungsgeld update oder Ausbildungshilfe, beide Land Tirol, oder Fachkräftestipendium des AMS) werden derzeit Aus- und Weiterbildungsangebote nur zögerlich in Anspruch genommen. Für viele Teilzeitkräfte stellt sich auch die Zeitfrage. Aufgrund zahlreicher familiärer Verpflichtungen haben sie oft nicht die Möglichkeit, entsprechende Kurse zu besuchen. Es braucht daher zum einen die Absicherung, ein Nettoeinkommen in der Höhe von 80 Prozent des Letztbezuges erzielen zu können und zum anderen familienfreundliche Kurszeiten.
31. Ausbildungstopf für Teilzeitkräfte analog zur Arbeitskräfteüberlassung.
32. Bekenntnis der Bundesregierung zur schrittweisen Annäherung an die allgemeine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.
33. Forcierung von familienfreundlichen Arbeitsmodellen.
34. Anstatt der im § 19d Abs 2a AZG beschriebenen Informationspflicht sollten im jeweiligen Unternehmen arbeitende Teilzeitkräfte aktiv auf entsprechende Stellenausschreibungen für Positionen mit höherem Stundenausmaß aufmerksam gemacht werden.
35. Gleichstellung mit dem öffentlichen Dienst: Wenn das Kindergeld ausläuft, soll eine Versicherung über den Arbeitgeber möglich sein (die derzeitige Regelung sieht vor, dass gerade AlleinerzieherInnen, die sich eben nicht über einen Partner/Partnerin mitversichern lassen können, zum Teil aus der Krankenversicherung fallen).
36. Ausdehnung des Anspruchs auf bezahlten Pflegeurlaub auf eine Woche pro Kind bzw. eine zweite Woche, wenn das Kind weniger als zwölf Jahre alt ist.
37. Ausdehnung des Anspruches auf Pflegekarenz bzw. Pflegeteilzeit, wenn Kindern länger erkranken.
38. das Bekenntnis des Landes Tirol, Schulbusdienste der Gemeinden weiter zu fördern.
39. Fördermittel zum Ausbau von sogenannten „Dorftaxis“, wie sie z.B. in Thaur, Stams oder Telfs bestehen, allenfalls in Kombination mit den Schulbusdiensten.
40. den weiteren Ausbau des öffentlichen Verkehrs im regionalen Bereich, unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Beschäftigten in Tirol.