Arbeitszeiten
Nicht über Feiertage, sondern Teilzeitzwang diskutieren!
„Die Beschäftigten in Vorarlberg arbeiten sicher nicht zu wenig.“ Mit diesen deutlichen Worten reagiert ÖGB-Landesvorsitzender Reinhard Stemmer auf Zahlen von Eurostat und Statistik Austria, die nahelegen, Beschäftigte in Österreich und vor allem in Vorarlberg würden im internationalen Vergleich besonders wenig arbeiten – nämlich unter 30 Stunden in der Woche. Stemmer verweist auf einen gravierenden Denkfehler in der Studie, den die Industriellenvereinigung (IV) dankend aufgenommen hat: Demnach wurde die Arbeitszeit von Vollzeit- und Teilzeitkräften einfach addiert und so der Durchschnitt ausgerechnet. „Wenn man nur die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hernimmt, dann arbeiten die Österreicher:innen und Vorarlberger:innen mehr als 40 Stunden in der Woche!“ Stemmer erinnert zudem an die Millionen unbezahlter Überstunden und das mangelnde Kinderbetreuungsangebot, das Eltern in die Teilzeitarbeit zwingt.
Lebensrealitäten werden ignoriert
Die Industriellenvereinigung Vorarlberg stellte am Wochenende in einem Interview in den Raum, dass gerade die Vorarlberger:innen laut Statistik zu wenig arbeiten würden und bezog sich dabei auf Studien, die jedoch Vollzeit- und Teilzeitarbeit addieret haben. Wie zu erwarten, senkt die hohe Teilzeitquote gerade in Vorarlberg den Durchschnitt der Arbeitszeit massiv. „Das ist jedoch keine Folge aus Faulheit oder zu vielen Feiertagen, wie die IV behauptet“, stellt ÖGB-Landesvorsitzender Reinhard Stemmer klar. „Wer so rechnet, verkennt nicht nur die Lebensrealität der Beschäftigten, sondern ignoriert auch die Ursachen für hohe Teilzeitquoten.“ In Vorarlberg ist der Anteil an Teilzeitbeschäftigten besonders hoch – insbesondere unter Frauen. Der Grund liegt auf der Hand: fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen und mangelnde Unterstützung in der Pflege. „Solange die Politik nicht in ausreichende Betreuungssysteme investiert, wird auch Vollzeitbeschäftigung für viele Menschen schlicht unmöglich bleiben“, sagt Stemmer.
IV will Feiertage streichen – aber wer bezahlt die Überstunden?
Statt über Lösungen nachzudenken, nimmt die Industriellenvereinigung die Studie zum Anlass, um über die Streichung von Feiertagen zu diskutieren. Für Stemmer ein Schlag ins Gesicht aller, die tagtäglich hart arbeiten – oft ohne dafür bezahlt zu werden: „Im vergangenen Jahr wurden in Österreich 42 Millionen Überstunden nicht bezahlt. Das ist systematischer Lohn- und Gehaltsraub!“ Die volkswirtschaftlichen Schäden sind enorm: Durch unbezahlte Überstunden entgehen den Arbeitnehmer:innen jährlich rund 2,3 Milliarden Euro an Bruttoentgelt – das entspricht dem Gegenwert von über 40.000 Vollzeitarbeitsplätzen. Der Staat verliert dadurch zusätzlich 330 Millionen Euro an Sozialabgaben und 960 Millionen Euro an Einkommensteuer. „In Zeiten einer angespannten Budgetlage sind das Summen, die wir uns schlicht nicht leisten können“, betont Stemmer.
Statt Schuldzuweisungen: Kinderbetreuung und Pflege ausbauen
„Wer die Arbeitsleistung der Menschen ernsthaft steigern will, muss Rahmenbedingungen schaffen, die Vollzeitbeschäftigung auch ermöglichen“, fordert Stemmer. „Das heißt: flächendeckende, ganztägige und leistbare bzw. kostenlose Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr sowie umfassende Unterstützung in der Pflege. Alles andere ist zynisch.“ Der ÖGB fordert daher ein Ende der populistischen Debatten über Feiertage oder vermeintliche Faulheit der Arbeitnehmer:innen – und einen politischen Schulterschluss für bessere Arbeitsbedingungen: „Wohlstand entsteht durch faire Bezahlung, ausreichende Betreuungseinrichtungen und eine gerechte Verteilung der Erwerbs- und Familienarbeit – nicht durch Spaltung und Schuldzuweisungen“, so Stemmer abschließend.