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Kampf gegen die Teuerung

Preisexplosion – Kampf gegen die Teuerung rund um den Bodensee

Vor allem in Österreich und Deutschland sind die Preise explodiert. In Liechtenstein und der Schweiz haben die Preise zwar nur moderat angezogen. Aber auch in diesen beiden Ländern dürften die Arbeitnehmer:innen die anstehende Heizperiode finanziell deutlich zu spüren bekommen. Außerdem bestehen Befürchtungen aufgrund möglicher Zinserhöhungen der Schweizer Nationalbank, was viele Eigenheimbesitzer:innen treffen würde. Während in Österreich und Deutschland bereits staatliche Maßnahmen gesetzt wurden, um die Menschen finanziell zu entlasten, heißt es für die Gewerkschafter:innen in der Schweiz und Liechtenstein, wachsam zu sein und die Teuerungsentwicklung genau zu beobachten. Die vier Bodenseeanrainerländer fordern jedenfalls bei den anstehenden Lohn- und Gehaltsverhandlungen einen ordentlichen Reallohnzuwachs.

Die Preise sind explodiert

Im August stieg die Inflation in Österreich auf 9,1 Prozent, in Deutschland nahm sie aufgrund staatlicher Maßnahmen leicht ab, lag aber immer noch bei 7,5 Prozent. In der Schweiz und Liechtenstein, die eine Währungsunion bilden, stieg die Inflation auf 3,5 Prozent – immerhin auf ein Niveau, das letztmals Anfang der 1990er Jahre erreicht wurde. Die Preisexplosion belastet die Menschen vor allem im österreichisch-deutschen Bodenseeraum. Lebensmittel wurden um 13,2 (Ö, Quelle: AMA) bzw. 15 Prozent (D, Quelle: Statistisches Bundesamt) teurer, Energie sogar um 48,8 Prozent (Juli, Quelle Österreichische Energieagentur) bzw. 36 Prozent.

„Viele Menschen kommen jetzt schon kaum mehr über die Runden und jetzt steht auch noch die energieintensivste Zeit des Jahres an. Wir befürchten, dass die Armutsgefährdung weiter zunimmt“, berichtet der Landesvorsitzende des ÖGB-Vorarlberg Reinhard Stemmer. Ähnlich ist die Situation in Deutschland: „Wir müssen dringend darauf schauen, dass sich die Menschen das Leben noch leisten können“, so Bärbel Mauch IGR-Präsidentin vom DGB-Südostwürttemberg.

Bangen in der Schweiz und Liechtenstein

Die Inflation in der Schweiz ist im August im Vergleich zum Vormonat leicht auf 3,5 Prozent gestiegen. Deutlich teurer sind weiterhin vor allem die Importgüter, die im Juli um 8,4 Prozent mehr kosteten als vor einem Jahr, wie das Bundesamt für Statistik (BFS) mitteilt. Unsicherheit bereitet zudem die Zinsentwicklung. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat Mitte Juni überraschend ihren Leitzins um 0,50 Prozentpunkte auf -0,25 Prozent angehoben. Damit zog sie erstmals seit fünfzehn Jahren die Zinsschraube wieder etwas an. „Liechtenstein hat eine sehr hohe Wohneigentumsquote mit entsprechend hoher Verschuldung der Privathaushalte. Steigen die Hypothekarzinsen, werden viele Wohneigentümer an ihre Grenzen stoßen, wenn die Kredite teurer werden“, erklärt Sigi Langenbahn, Vorsitzender des LANV. Mit Sorge blicken die Gewerkschafter auch auf die kommende Heizperiode. „Die Teuerung ist insbesondere an der Tankstelle, beim Einkauf und den Heizkosten zu spüren. Im Winter werden die Auswirkungen sicher noch grösser“, befürchtet Langenbahn. Konkrete Entlastungsschritte seitens der beiden Regierungen sind noch keine geplant.

Österreich und Deutschland mit unterschiedlichen Maßnahmen

Während Deutschland es geschafft hat, mit zielgerichteten Maßnahmen (Spritpreisdeckel) die Inflation zu senken, setzt Österreich vor allem auf Einmalzahlungen. Deutschland nimmt 2022 über 200 Mrd. Euro in die Hand, um Entlastungspakete zu schnüren, die der Bevölkerung zugutekommen. Darunter fallen Maßnahmen wie 100 Euro-Bonus für Kinder und jetzt die Erhöhung des Kindergeldes, höheres Wohngeld, eine Energiepreispauschale von 300 Euro, ein höherer Arbeitnehmerpauschalbeitrag bei der Steuer, Heizkostenzuschüsse, eine niedrigere Kraftstoffsteuer und das 9-Euro-Ticket in den Zügen des Nah- und Regionalverkehrs (Juni-August). „Positiv zu bewerten ist, dass im dritten Entlastungspaket (65 Mrd. Euro) vor allem die Entlastungen für Rentner:innen und Studierende und die so genannte Strompreisbremse,“, hält Mauch fest. „Was fehlt, sind Entlastungen für Normalverdienende.“ Der Vorschlag der Bundesregierung, bis zu 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei an die Beschäftigtee auszuzahlen, geht in die richtige Richtung. Es liegt nun an den Tarifparteien, hier konkrete Zahlungen auszuhandeln.“

Österreich hat ein Antiteuerungspaket im Umfang von 28 Mrd. Euro geschnürt. Viele Maßnahmen darin beschränken sich jedoch auf Einmalzahlungen, wie etwa einen Teuerungs- und Klimabonus in Höhe von 500 Euro, Einmalzahlung für Pensionist:innen und Teuerungsabsetzbetrag von bis zu 500 Euro. Immerhin sollen Sozialleistungen wie Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag, Kinderbetreuungsgeld, Studienbeihilfe und Reha-, Kranken- und Umschulungsgeld sollen ab sofort laufend an den Verbraucherpreisindex angepasst werden. „Das sind jedoch Maßnahmen, die bereits seit Jahren überfällig sind“, kritisiert Stemmer. Ähnlich verhält es sich mit der geplanten Abschaffung der „kalten Progression“ im kommenden Jahr.

„Was wir jetzt dringend brauchen, sind Maßnahmen, damit die Preise sinken!“ So werden etwa neben einem Preisdeckel auf Strom und Wärmeenergie auch eine befristete Senkung der Steuern auf Treibstoffe und verstärkte Kontrollen der Lebensmittelpreise gefordert, „damit sich niemand auf unsere Kosten die Taschen vollstopft“. Positiv bewertet Stemmer die Einführung einer Kommission zur Kontrolle der Spritpreise. Außerdem brauche es aber auch strukturelle und existenzsichernde Maßnahmen wie die Anhebung von Kilometergeld, Ausgleichszulage und Sozialhilfe, als auch eine Erhöhung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe.

Übergewinne abschöpfen

Sowohl Stemmer als auch Mauch begrüßen die von der EU geplanten Schritte zur Abschöpfung von Übergewinnen von Energieversorgern. Die Einnahmen von Unternehmen, die Strom aus anderen Quellen als Gas produzieren, sollen nach dem Willen der EU-Kommission künftig ab 180 Euro je Megawattstunde eingezogen und an belastete Verbraucher umverteilt werden. „Das ist eine sozialgerechte Maßnahme, um die Entlastung der Bevölkerung zu finanzieren“, so Stemmer. „Energiekonzerne machen Milliardengewinne ohne Mehraufwand oder zusätzliche Leistung. Dieses Geld gehört den Steuerzahler:innen und nicht den Unternehmen.“ Der DGB schlägt ebenfalls eine Entlastung der Verbraucher:innen vor. „Ein Energiepreisdeckel gibt den Menschen Sicherheit für ihren Grundbedarf. Die Differenz zwischen tatsächlichen Kosten der Energieversorger und den Einnahmen muss aus öffentlichen Mitteln erfolgen. Die Abschöpfung der Übergewinne kann wiederum zur Entlastung der öffentlichen Haushalte führen.“ so Mauch.

Teuerungsabgeltung in der Schweiz

Der SGB fordert, dass alle Rentner spätestens per 1. Januar 2023 den vollen Teuerungsausgleich erhalten sollen. Danach soll es regelmäßig weitere Anpassungen der Rentenhöhe geben, sofern die Teuerung die Grenze von 2 Prozent übersteigt. Der Bundesrat soll dem Parlament dazu bis Anfang 2023 ein Konzept vorlegen. Die zweite Forderung setzt bei den Krankenkassen an. Demnach soll der Bund seinen Beitrag an der individuellen Prämienverbilligung für das Jahr 2023 um 30 Prozent erhöhen. Die Maßnahme ist an die Bedingung geknüpft, dass die Kantone ihren Beitrag nicht gleichzeitig senken. Die Kantone haben mit den zusätzlichen Bundesgeldern die Möglichkeit, die Bezieher:innen stärker als bislang zu entlasten. Oder aber sie erweitern den Kreis der Bezugsberechtigten. Die Forderung erfolgt vor dem Hintergrund, dass 2023 ein größerer Prämienschub droht.

Hohe Erwartungen an Lohn- und Gehaltsverhandlungen

Zur Abfederung der Teuerung werden in allen vier Bodenseeanrainerländern große Erwartungen an die anstehenden Lohn- und Gehaltsverhandlungen gestellt. Feststeht für die Gewerkschafter:innen, dass die Inflation abgegolten werden muss plus einer Draufgabe für die positive wirtschaftliche Entwicklung. Mit ordentlichen Lohn- und Gehaltszuwächsen soll auch dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch einen noch stärkeren Konkurrenzkampf zwischen den Ländern und für Vorarlberg, Bayern und Baden-Württemberg ein noch höheres Abwanderungsrisiko von Arbeitskräften ins Ausland. 

In Österreich fordern die Gewerkschaften die Abgeltung der rollierenden Inflation von 6,3 Prozent, „hinzuzurechnen sind die zum Teil horrenden Gewinne der Unternehmen vor allem im produzierenden Bereich“, hält Reinhard Stemmer fest. Die Gewerkschaften PRO-GE und GPA gehen von einem Plus beim BIP von 4,3 Prozent aus. Demnach legten die „Metaller“-Gewerkschafter:innen, die traditionell den Auftakt in die Herbstlohnrunde bilden, der Arbeitgeber:innenseite eine Forderung nach einem Plus bei Löhnen und Gehältern von 10,6 Prozent auf den Tisch. Zudem wird ein Mindestlohn in Höhe von 2.000 Euro brutto gefordert. „Man muss von seiner Arbeit auch leben können. Grundlöhne unter der Armutsgefährdungsschwelle sind eine Schande für ein reiches Land wie Österreich!“

Die IG Metall in Deutschland fordert 8 Prozent mehr Geld. „Ein steuer- und abgabenfreier Betrag von 3000 Euro ist bisher nur ein politisches Angebot. Die Durch- und Umsetzung muss von den Tarifparteien erst noch erkämpft werden. Denn es sind nicht nur Einmalzahlungen möglich, sondern auch tariflich zusätzlich vereinbarte Entgelterhöhungen. Hier fehlt eine Klarstellung durch die Bundesregierung“, so Bärbel Mauch.

Die SGB-Verbände fordern Lohnerhöhungen von 4 bis 5 Prozent. Diese Lohnforderung setzt sich aus drei Teilen zusammen. Erstens braucht es den Ausgleich der Teuerung von 3 bis 3.5 Prozent. Zweitens müssen die Reallöhne gemäß dem Wachstum der Arbeitsproduktivität von rund einem Prozent pro Jahr erhöht werden. Drittens gibt es einen Nachholbedarf aufgrund der ungenügenden Lohnentwicklung in den letzten Jahren. „Wenn man angesichts solcher Zahlen die Löhne nicht an die Realität der gestiegenen Lebenshaltungskosten anpasst, wann dann“, betont Lukas Auer.

Die liechtensteinischen Gewerkschafter fordern Lohnerhöhungen zwischen 3 und 5 Prozent. „Das hängt neben branchenspezifischen Problemen (Energie- und Rohstoffkosten, Lieferengpässe etc.) auch von den Ergebnissen der vergangenen Jahre ab“, betont Sigi Langenbahn. „Die Kaufkraft muss gesteigert werden. Wir gehen aber davon aus, dass die Arbeitgeber:innen die Teuerung, die hohen Energiepreise und Lieferengpässe vorschieben, und versuchen, so die Lohnsteigerungen zu drücken. In gewissen Branchen ist das natürlich nachvollziehbar, weshalb wir genau differenzieren müssen.“

Über den IGR Bodensee

Der Interregionale Gewerkschaftsrat Bodensee ist der Zusammenschluss der DGB-Bezirke Baden-Württemberg und Bayern, der ÖGB-Landesorganisation Vorarlberg, der kantonalen Gewerkschaftsbünde St. Gallen, Thurgau, Schaffhausen, Zürich, Appenzell AR, Glarus und Graubünden im SGB, Travail.Suisse St. Gallen und Thurgau sowie des Liechtensteinischen Arbeitnehmer:innenverbands (LANV). Die genannten Bünde sind durch ihre nationalen Organisationen Mitglieder im Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und bekennen sich ohne Vorbehalt zu den Grundsätzen des freien und demokratischen Gewerkschaftswesens. Amtierende Präsidentin ist Bärbel Mauch, vom DGB- Südostwürttemberg – die erste Frau in diesem Amt.

Ziel des Zusammenschlusses ist, die wirtschaftlichen, arbeitsmarktpolitischen, sozialen, ökologischen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer/innen auf der Ebene der Europa-Region Bodensee im allgemeinen und insbesondere im Rahmen der Regionalpolitik der Europäischen Union zu vertreten und zu fördern.

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