Arbeitszeiten
Teilzeit ist kein Luxusproblem, sondern hausgemachte Realität
„Die ständigen Vorwürfe, Menschen würden aus Faulheit lieber Teilzeit als Vollzeit arbeiten, sind eine Frechheit. Die Wahrheit ist: Politik und Unternehmen schaffen seit Jahren die falschen Rahmenbedingungen – und wundern sich dann über die Folgen“, kritisiert Reinhard Stemmer, Landesvorsitzender des ÖGB Vorarlberg, die anhaltende Debatte rund um die Teilzeitquote in Österreich. Die Diskussion würde zudem mit der falschen Grundhaltung geführt. „Es sollte nicht darüber diskutiert werden, wie man Teilzeitarbeit unattraktiver macht, sondern vielmehr darüber, wie Vollzeitarbeit überhaupt ermöglicht werden kann.“
Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmansdorfer, Wirtschaftslandesrat Marco Tittler sowie Vertreter:innen der Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung beklagen regelmäßig, dass zu wenige Menschen Vollzeit arbeiten möchten. Tatsächlich zeigt ein genauerer Blick auf die Zahlen ein anderes Bild: Teilzeit wird meist nicht freiwillig gearbeitet. Über die Hälfte der Frauen in Österreich arbeitet Teilzeit – und rund drei Viertel davon geben familiäre Betreuungspflichten als Grund an. „Wer sich um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern muss, hat oft schlicht keine andere Wahl“, so Stemmer. „Teilzeitbeschäftigte also etwa über höhere Abgaben bestrafen zu wollen, sind schlicht und ergreifend Ideen aus der Mottenkiste!“ Außerdem würden Teilzeitbeschäftigte schon jetzt nicht die gleichen Leistungen wie Pension oder andere Versicherungsleistungen beziehen wie Vollzeitbeschäftigte, da sie vom eingezahlten Beitrag abhängig sind.
Hausgemachtes Problem statt individueller Bequemlichkeit
„Die hohe Teilzeitquote ist keine Frage der Einstellung, sondern ein strukturelles Problem“, stellt Stemmer klar. Über Jahre hinweg hätte die Politik es verabsäumt, ausreichend ganztägige und leistbare Kinderbetreuungseinrichtungen zu schaffen. Auch die Pflege werde weiterhin großteils privat gestemmt – oft zulasten von Frauen. Hinzu komme, dass gerade in großen Branchen wie dem Handel fast jede zweite Stelle nur in Teilzeit ausgeschrieben werde. „Wenn der Arbeitsmarkt keine Vollzeitjobs anbietet, darf man sich nicht wundern, wenn Menschen in Teilzeit landen. Die Wirtschaft sollte sich an die eigene Nase fassen, bevor sie mit dem Finger auf Beschäftigte zeigt“, so Stemmer.
ÖGB fordert echte Wahlfreiheit für Arbeitnehmer:innen
Der ÖGB Vorarlberg fordert ein Umdenken: „Wir brauchen mehr und bessere Kinderbetreuung, einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr, flächendeckende Angebote für Pflegebedürftige, flexible Arbeitszeitmodelle mit Rechtsanspruch auf Arbeitszeiterhöhung und eine ehrliche Debatte über Arbeitszeit und Einkommen“, erklärt Stemmer. Nur so sei echte Wahlfreiheit möglich – und eine gerechte Verteilung von Arbeit und Einkommen.