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Europas Gewerkschaften machen Druck für Mindestlohn-Richtlinie

Standards schaffen, damit alle ArbeitnehmerInnen in Europa in Würde von ihrer Arbeit leben können - das war eines der zentralen Vorhaben von Ursula von der Leyen bei ihrem Amtsantritt als Präsidentin der Europäischen Kommission 2019. Der erste Entwurf wurde 2020 präsentiert, jetzt könnte die EU-Richtlinie für Mindestlöhne endlich konkrete Form annehmen. Frankreich, das mit Jahresbeginn den Ratsvorsitz übernommen hat, kündigte an, Bewegung in die Sache bringen zu wollen. Der französische Gewerkschaftsbund CFDT appelliert aus diesem Anlass vor dem Rat der Sozialminister am 15. und 16. Februar in Bordeaux an die Verantwortlichen, den Worten Taten folgen zu lassen. Der ÖGB, vehementer Befürworter des europäischen Mindestlohns, unterstützt diese Initiative wie sechs weitere Gewerkschaftsbünde in Europa.

Alle ArbeitnehmerInnen in Europa sollen in Würde leben können

„Diese Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten mit gesetzlichen Mindestlöhnen verpflichten, menschenwürdige Standards festzulegen, damit alle Arbeitnehmer in Europa in Würde von ihrer Arbeit leben können. Unter Beibehaltung der bewährten nationalen Praktiken in einigen Mitgliedstaaten, die die Autonomie der Sozialpartner garantieren, muss die Richtlinie die Mitgliedstaaten auch dazu verpflichten, zusammen mit den Sozialpartnern selbst die Maßnahmen festzulegen, die notwendig sind, um Tarifverhandlungen in allen europäischen Ländern innerhalb eines klaren Rahmens zu entwickeln und zu stärken“, heißt es in einem Offenen Brief der acht Gewerkschaften an die europäische Ratspräsidentschaft.

Große Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten

Der Handlungsbedarf liegt auf der Hand: In 22 der 27 Mitgliedstaaten ist der Mindestlohn gesetzlich geregelt, das heißt, die Politik entscheidet darüber, in welchem Ausmaß und auch wie oft die Löhne steigen. In einigen Ländern bezieht ein bedeutender Teil der ArbeitnehmerInnen diesen Mindestlohn – jeweils 20 Prozent sind es in Portugal und Rumänien –, in anderen sind nur kleine Minderheiten, wie jeweils rund 5 Prozent in Belgien und Malta, auf diese absolute Lohnuntergrenze angewiesen.

Österreich ist eines der sechs Mitgliedsländer in der EU, in denen die Bezahlung wie auch andere Rahmenbedingungen (beispielsweise die wöchentliche Arbeitszeit) in Kollektivverträgen verankert sind. Österreichs Gewerkschaften verhandeln jährlich rund 500 Kollektivverträge. 98 Prozent der ArbeitnehmerInnen in Österreich sind durch Kollektivverträge abgesichert – das ist Weltspitze.

Österreich ist Hotspot für Arbeitskräftemobilität 

Aus Österreich kommt bis jetzt nur gewerkschaftliche Zustimmung zur Richtlinie, Arbeitsminister Martin Kocher hatte zuerst dagegen gestimmt und sich zuletzt enthalten, was er mit Unklarheiten im Umgang mit den Kollektivverträgen argumentierte. Die Richtlinie sieht aber gar nicht vor, durch Eingriffe in Kollektivverträge einen einheitlichen Mindestlohn zu schaffen. „Es geht vielmehr darum, Kollektivverhandlungen zu fördern und Löhne und Gehälter zu verbessern, ohne in bestehende Strukturen und Verträge einzugreifen“, erklärt ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian.Erst wenn die KV-Abdeckung in einem Land nicht mehr gewährleistet ist und unter die Schwelle von 70 Prozent fällt (das EU-Parlament fordert sogar 80 Prozent), soll die Richtlinie wirksam werden. Dann sollen nationale Umsetzungspläne und (vorübergehend) gesetzliche Mindestlöhne eingeführt werden. 

„Österreich wäre als KV-Weltmeisterland also gar nicht unmittelbar betroffen“, erklärt der ÖGB-Präsident: „Aufgrund der geografischen Lage würden wir aber natürlich von höheren Mindestlöhnen in der EU profitieren. Österreich ist ein Hotspot für Arbeitskräftemobilität mit vielen PendlerInnen aus angrenzenden Nachbarländern.“

Eine echte Chance für Europa

An diese Solidarität appellieren auch die Unterzeichner des Offenen Briefs, darunter auch Laurent Berger, Präsident des Französischen Gewerkschaftsbundes CFDT und des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), wie es abschließend in dem Schreiben heißt: „Diese Richtlinie stellt eine echte Chance für Europa dar: Sie bietet die Gelegenheit, seine Bürger wieder mit dem europäischen Projekt zu versöhnen, indem Gesetze erlassen werden, die spürbare Veränderungen und positive Auswirkungen auf den Alltag bewirken.
Die französische Ratspräsidentschaft hat sie zu einer ihrer Prioritäten gemacht. Sie sollte in den nächsten Wochen zum Abschluss gebracht werden. Wir rufen daher die europäischen Institutionen und Regierungen zu einer Einigung auf, die den Erwartungen der Arbeitnehmer und im weiteren Sinne der europäischen Bürger gerecht wird.“

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