Europabüro und EU
Schwieriger Kampf für faire Löhne in Europa
Der ÖGB begrüßt die Initiative der EU für faire Löhne, fordert aber mehr Einbindung der Sozialpartner und eine Stärkung der KV-Systeme
Die rumänische Pflegerin, der ukrainische Bauarbeiter oder die spanische Erntehelferin – sie alle bekommen für ihren Vollzeitjob nur einen Bruchteil des Lohns ihrer KollegInnen in Deutschland oder Österreich. Gleichzeitig stehen auf den Lohnzetteln in Skandinavien oder Luxemburg Summen, für die Beschäftigte im restlichen Europa Überstunden ohne Ende leisten müssten. Für die Lohnungleichheiten in Europa gibt es viele Beispiele, auch die Lohnsysteme sind nicht überall gleich.
Große Unterschiede in Europa
In 22 der 28 Mitgliedstaaten ist der Mindestlohn gesetzlich geregelt, das heißt, die Politik entscheidet darüber, in welchem Ausmaß und auch wie oft die Löhne steigen. In einigen Ländern bezieht ein Großteil der ArbeitnehmerInnen diesen Mindestlohn – jeweils 20 Prozent sind es in Portugal und Rumänien –, in anderen sind nur kleine Minderheiten, wie jeweils rund 5 Prozent in Belgien und Malta, auf diese absolute Lohnuntergrenze angewiesen.
Österreich ist eines der sechs Mitgliedsländer in der EU, in denen die Bezahlung wie auch andere Rahmenbedingungen (beispielsweise die wöchentliche Arbeitszeit) in Kollektivverträgen verankert sind. Österreichs Gewerkschaften verhandeln jährlich rund 500 Kollektivverträge.
98 Prozent der ArbeitnehmerInnen in Österreich durch Kollektivverträge abgesichert – das ist Weltspitze.
Während hierzulande versucht wird, die Abdeckungsrate durch neue Kollektivverträge noch weiter zu verbessern, sank sie in vielen anderen Ländern Europas: Insgesamt wurde in der EU von 2000 bis 2015 ein Rückgang von 68,5 Prozent auf 59,5 Prozent registriert, in süd- und osteuropäischen Staaten war er noch größer. Schlusslicht dieser Statistik ist Zypern, wo mit einer Abdeckung von 45 Prozent nicht einmal jedes zweite Arbeitsverhältnis durch einen KV abgesichert ist.
EU erkennt Handlungsbedarf
Eine Initiative für faire Löhne in Europa hatte Ursula von der Leyen als eines ihrer zentralen Vorhaben in der Rede vor ihrer Wahl formuliert. Jetzt setzte die EU-Kommissionspräsidentin gemeinsam mit EU-Beschäftigungskommissar Nicholas Schmit erste Schritte, wie diese Mammutaufgabe bewältigt werden könnte.
„Viele ArbeitnehmerInnen in der EU haben keine angemessenen Mindestlöhne. Teilweise ist die Abdeckungsrate zu gering, teilweise das Mindestlohnniveau selbst zu niedrig, außerdem ist die Einbindung der Sozialpartner nicht überall ausreichend“, heißt es im jetzt präsentierten Papier der Kommission, das die Lohnungleichheit bestätigt: Jede/r sechste ArbeitnehmerIn in Europa ist bereits im Niedriglohnsektor beschäftigt, jede/r zehnte ist arm trotz Arbeit, Tendenz kontinuierlich steigend.
Gegenmaßnahmen seien notwendig, heißt es in dem Papier, die Kommission lässt aber offen, wie diese aussehen könnten, ob die Löhne mit einer Richtlinie, mit einer Empfehlung oder mit einem Benchmark-System fairer werden sollen.
ÖGB fordert Stärkung der KV-Systeme
ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian ruft in Erinnerung: Die wachsenden Lohnungleichheiten sind nicht nur ein Problem für ArbeitnehmerInnen in jenen Ländern, in denen angemessene Mindestlöhne fehlen. Gerade Mitgliedsstaaten wie Österreich leiden unter dem niedrigen Lohnniveau, das durch Lohndumping und Betrug bei Entsendungen entsteht.
Der ÖGB-Präsident begrüßt den Vorstoß der EU, bemängelt aber, dass der zentralen Bedeutung von Kollektivverträgen und starken KV-Systemen in dem Papier nicht ausreichend Gewicht verliehen wurde:
Gesetzliche Mindestlöhne sind immer nur das zweitbeste Mittel. Primäres Ziel der Initiative muss die Förderung der KV-Verhandlungen sein.
Deshalb müsse jede Initiative zur Verbesserung gesetzlicher Mindestlöhne von Maßnahmen zur Stärkung der Sozialpartner und der KV-Systeme begleitet werden.
Rote Linien der Gewerkschaften
Dementsprechende Zielvorgaben durch die EU seien notwendig, skizziert Katzian weitere rote Linien der Gewerkschaften: „Es muss auch garantiert sein, dass kein Mitgliedsstaat und kein Sozialpartner gegen seinen Willen dazu verpflichtet werden kann, gesetzliche Mindestlöhne einzuführen.“
Außerdem darf es dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht durch die Hintertür ermöglicht werden, in nationale KV-Systeme einzugreifen, wie das unlängst mit einem EuGH-Urteil zum Catering im grenzüberschreitendem Zugsverkehr der Fall war.
Die EU-Erkenntnis, dass die Einbindung der Sozialpartner nicht ausreichend ist, legt eine weitere Schlussfolgerung nahe: „Die EU-Kommission sollte die Initiative für faire Löhne mit einer konkreteren, zweiten Konsultation der Sozialpartner fortsetzen“, sagt Katzian.
Für den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) ist das gemeinsame Ringen um faire Löhne jedenfalls Schwerpunkt der kommenden Wochen. Spätestens Ende Februar muss die abgestimmte Antwort der europäischen Gewerkschaften an die Kommission erfolgen. „Der ÖGB wird seine Expertise einbringen“, kündigt der ÖGB-Präsident an: „Wir wollen ein gutes Leben für alle ArbeitnehmerInnen in Europa.“