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Europabüro und EU

1.800.000.000.000 Euro

Was das größte EU-Finanzpaket der Geschichte bringt – und was nicht

Es war nicht nur, was die Dauer der Verhandlungen anbelangt, eine rekordverdächtige Sitzung: Mehr als 90 Stunden rangen die Staats- und Regierungschefs um die Einigung auf ein EU-Finanzpaket, das den Mitgliedsländern helfen soll, die Folgen von Corona zu bewältigen. Am 21. Juli um 5.30 Uhr verkündete Ratspräsident Charles Michel schließlich das Ergebnis – ein unvorstellbare 1,8 Billionen Euro schweres Finanzpaket, das größte in der Geschichte der Europäischen Union.

Das Positivste am Ergebnis des EU-Gipfels ist sein Zustandekommen nach tagelangen, teils aussichtslos wirkenden Verhandlungen, sagt ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian: „Mit dieser Einigung gibt es erstmals einen Einstieg in eine solidarische Finanzierung. Die Folgen der Corona-Pandemie sollen in einer gemeinsamen europäischen Anstrengung bekämpft werden. Ein wichtiges Zeichen der Solidarität!“ 

Plastiksteuer und CO2-Abgaben fürs EU-Budget

Insgesamt beurteilt der ÖGB-Präsident das Hilfspaket aber mit gemischten Gefühlen. Erfreulich ist, dass der Einstieg in die EU-Eigenmittel früher als ursprünglich vorgesehen angegangen wird. „Schon im kommenden Jahr soll eine Steuer auf Einweg-Plastik eingeführt werden. In weiterer Zukunft sind CO2-Ausgleichsabgaben und eine Digitalsteuer, das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung“, so Katzian.

Das kann man von anderen Budgetposten nicht behaupten, die auf Betreiben der „sparsamen Fünf“ beschlossenen Kürzungen der Zuschüsse gehen nämlich auch zulasten wichtiger Initiativen des EU-Haushalts.

Falsches Signal

Die Einigung sieht beispielsweise für den Just Transition Fund, der den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft ermöglichen soll, eine Halbierung von 37,5 Milliarden Euro auf 17,5 Milliarden vor. Das Gesundheitsprogramm EU4Health soll von den ursprünglich geplanten 9,4 Milliarden Euro auf 1,67 Milliarden gekürzt werden. „Das ist ein falsches Signal, weil es ausgerechnet jene Mittel sind, die den notwendigen massiven Strukturwandel sozial verträglich abfedern können. Das Ergebnis geht also auch auf Kosten der Zukunftsperspektiven von ArbeitnehmerInnen und Regionen, es könnte die soziale Stabilität in Europa weiter gefährden“, befürchtet Katzian. 

Ähnlich auch die Reaktion des EGB (Europäischer Gewerkschaftsbund). Generalsekretär Luca Visentini bedankte sich für diese Einigung bei den schwierigsten EU-Verhandlungen aller Zeiten. Die gekürzten Mittel für Klima und Gesundheit bezeichnet er aber als inakzeptabel: „Der EU-Gesamthaushalt ist nicht groß genug, um eine grüne und digitale Transformation und angemessene Mittel für den Zusammenhalt und die sozialen Prioritäten bereitzustellen.”

Vager Rechtsstaatenmechanismus als vertane Chance

Der ÖGB-Präsident kritisiert außerdem, dass es beim „Rechtsstaatenmechanismus“, der finanzielle Sanktionen für Länder bedeuten sollte, in denen immer wieder Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit registriert werden, bei Ankündigungen geblieben ist. „Die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit als Bedingung für EU-Gelder wäre eine Möglichkeit gewesen, jene Regierungen, aus denen auch immer wieder Angriffe auf Sozialpartner und auf Gewerkschaften gemeldet werden, in die Schranken zu weisen. Manche Regierungen sind ja nicht einmal davor zurückgeschreckt, die Corona-Krise dafür zu nutzen, demokratische Institutionen weiter einzuschränken. Das ist inakzeptabel, die Gewerkschaften in Europa bleiben wachsam!“

EU-Parlament verweigert vorerst Zustimmung

Nachverhandlungen wird es auf jeden Fall geben: Das EU-Parlament hat nämlich am 23. Juli Widerstand gegen die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs angekündigt. Die Abgeordneten lehnten den beim EU-Gipfel erzielten Kompromiss „in seiner derzeitigen Fassung" mit breiter Mehrheit von 465 Ja-Stimmen (gegen 150 Nein-Stimmen und 67 Enthaltungen) ab. Die Volksvertretung werde ihre Zustimmung „verweigern, bis eine zufriedenstellende Einigung erzielt wird", heißt es in einer Entschließung des Parlaments.

Den Corona-Fonds begrüßten die Abgeordneten grundsätzlich. Beim Budget habe es aber „massive Kürzungen" gegeben. Diese Einschnitte bei Gesundheits-, Forschungs- und Bildungsprogrammen, beim Klimaschutz und der Digitalisierung sowie in der Außen- und Migrationspolitik liefen den gemeinschaftlichen Interessen zuwider, so der Grund für die verweigerte Zustimmung.