Europa
Bessere Jobs mit einer europäischen Weiterbildungsgarantie
Ein Recht auf Weiterbildung schützt Arbeitnehmer:innen in einem dynamischen Arbeitsmarkt
Wettbewerbsfähigkeit, Fachkräftemangel, Twin Transformation – sowohl in Österreich als auch auf EU-Ebene vergeht kein Tag, an dem wir nicht mit diesen Schlagworten konfrontiert sind. In die Pflicht genommen werden dabei meist Arbeitnehmer:innen und Sozialstaat: die Arbeitsmarktbeteiligung soll erhöht werden, die Lohnkosten gesenkt, und Deregulierung gefördert. Ein Faktor, der in Diskussionen zur Standortstärkung allerdings oft zu kurz kommt, ist Weiterbildung. Eine Garantie dafür ist notwendig, um die Transformationen in der Arbeitswelt sozial gerecht zu gestalten. Ohne lebenslanges Lernen schafft Europa weder den Sprung in eine digitale und nachhaltige Welt, noch können wir uns einen starken Platz in der globalen Wirtschaft sichern. Warum ist das Thema so wichtig?
Weiterbildung ist soziales und wirtschaftliches Muss
Umfangreiche Förderung der Weiterbildung ist zentral für Gesellschaft, Wirtschaft und persönliche Entwicklung der Arbeitnehmer:innen. Obwohl in der Wissenschaft lebenslanges Lernen unumstritten zu besseren Arbeitsmarktresultaten führt, wird es in Bildungsstrategien manchmal nur stiefmütterlich behandelt. Dabei befinden wir uns längst nicht mehr in einer Welt, in der wir uns bis zum maximal 24. Lebensjahr in Ausbildung befinden, und anschließend eine ähnliche Tätigkeit bis zur Pension durchführen. Der Arbeitsmarkt wird immer dynamischer, technologischer Fortschritt immer schneller, und die Anforderungen an Arbeitnehmer:innen verändern sich konstant. Trotzdem haben nur etwa 13,3 Prozent der erwachsenen Europäer:innen und 17,6 Prozent der Österreicher:innen in den vergangenen vier Wochen Lernerfahrungen gemacht, wie das Europäische Zentrum für die Entwicklung von Berufsbildung (Cedefop) zeigt. Dazu kommt das Element sozialer Ungleichheit: wie ein neuer OECD-Bericht beweist, ist das Kompetenzlevel ausschlaggebend dafür, ob an Weiterbildungen teilgenommen wird oder nicht. Das bedeutet, je niedriger qualifiziert ein:e Arbeitnehmer:in ist, desto niedriger ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass er/sie sich höher qualifiziert – ein sozial teures Paradoxon.
All diese Faktoren erhöhen den Druck auf Arbeitnehmer:innen. Das ist sichtbar am Arbeitsmarkt: der Anteil von prekären Arbeitsverhältnissen steigt, und es gibt immer noch geringe soziale Mobilität, das belastet den Wirtschafts- und Sozialstandort Europa. Die Stärkung von Weiterbildung bedeutet nicht nur positive Auswirkung auf das Erwerbsleben, sondern fördert auch gesellschaftlichen Zusammenhalt und wirtschaftlichen Fortschritt. Daher braucht es ein breites, integriertes Weiterbildungsangebot für alle Arbeitnehmer:innen, das niemanden zurücklässt. Doch wie wird das derzeit in Europa umgesetzt?
Europäische Strategien zur Förderung von Weiterbildung
Weiterbildung ist Teil vieler europäischer Initiativen, trotzdem fehlt noch einiges, um aktuelle arbeitsmarktpolitische Entwicklungen sozial fair gestalten zu können. Die Europäische Säule Sozialer Rechte beispielsweise inkludiert das Recht auf Aus- und Weiterbildung – muss allerdings in der Praxis noch umgesetzt werden. Beim Sozialforum in Porto 2021 wurde in einem Aktionsplan das Ziel festgelegt, dass sich bis 2030 bereits 60 Prozent der Erwachsenen im letzten Jahr in Weiterbildungsmaßnahmen befunden haben sollen. Österreich zielte 2022 sogar auf 62 Prozent ab. Bisher ist der Fortschritt aber gering, und um die Ziele zu erreichen, braucht es mehr Verbindlichkeit. Im Jahr 2023 wurde von der Europäischen Kommission das „Europäische Jahr für Kompetenzen“ ausgerufen, das dieses Ziel gemeinsam mit der Europäischen Kompetenzagenda vorantreiben sollte. Die „Union of Skills“ ist außerdem ein Plan der Kommission, durch regelmäßige Weiterbildung dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Dänemark, ein Vorreiter in Berufs- und Weiterbildung, welcher derzeit die europäische Ratspräsidentschaft inne hat, bekennt sich auch zur Bedeutung von Bildungsmaßnahmen, was erst kürzlich in der „Herning Declaration“ wieder bestätigt wurde. Die Verringerung des Mangels an Qualifikationen ist daher klar auf der Agenda – konkrete Maßnahmen, die auf die Herausforderungen der Arbeitnehmer:innen eingehen, fehlen aber.
Ein Recht auf bezahlte Weiterbildung
Die derzeitigen Diskussionen in EU-Institutionen haben zwei Dinge gemeinsam: es gibt wenig konkrete Maßnahmen, und es werden eindeutig die Interessen der Arbeitgeber:innen hervorgehoben, das Schlagwort lautet Wettbewerbsfähigkeit. Kompetenzentwicklung und Weiterbildung sind Instrumente, welche dem Standort dienen können. Dieser Rahmen birgt allerdings Gefahren und kann sich schädlich auf sozialen Zusammenhalt und die Leben der europäischen Arbeitnehmer:innen auswirken. Soziale Verträglichkeit der Maßnahmen muss daher garantiert werden, wie auch der Europäische Gewerkschaftsbund sagt. Darum braucht es ein universelles Angebot an Weiterbildung in der Form einer Garantie. Jede Arbeitnehmer:in muss die Möglichkeit haben, sich während und zwischen Arbeitsverhältnissen Kompetenzen anzueignen. Niedrigverdienende, Niedrigqualifizierte, Personen mit Betreuungspflichten und Personen mit Behinderungen werden zurückgelassen, wenn die strukturellen Barrieren nicht adressiert werden.
Zwei Akteure sind hier gefragt, die dieses Recht umsetzen und Weiterbildung finanzieren müssen. Einerseits sind das die Betriebe: entweder soll Weiterbildung in den Arbeitsalltag integriert werden, oder, wenn das nicht möglich ist, werden Weiterbildungsfonds geschaffen, die durch Unternehmensbeiträge finanziert werden. Diese können beispielsweise branchen- oder regionsübergreifend organisiert werden. Unternehmen brauchen Fachkräfte, und Unternehmen wissen genau, welche Skills bei ihnen angefordert sind. Daher liegt die Pflicht deren Förderung bei ihnen, trotzdem ziehen sich viele Arbeitgeber:innen oft aus dieser Verantwortung.
Auf der anderen Seite braucht es aber auch eine starke öffentliche Hand, die all jenen zur Seite steht, die sich in prekären Arbeitsverhältnissen oder außerhalb des Arbeitsmarkts befinden. Der Staat hat hier eine entscheidende Lenkungsfunktion, und muss daher auch früh auf Trends am Arbeits- und Skillmarkt reagieren. Der digitale und grüne Wandel verändert das Aufgabenprofil vieler Arbeitnehmer:innen fundamental, und das kann als Chance gesehen werden, ein Weiterbildungsrecht umzusetzen.
Im Dezember präsentiert die Europäische Kommission mit der Quality Jobs Roadmap einen „Fahrplan“ für hochwertige Arbeit – dieser muss bezahlte Weiterbildung als Merkmal für einen hochwertigen Arbeitsplatz beinhalten, und ein Recht darauf. Außerdem braucht es schnellstmöglich einen verbindlichen Rechtsakt zum Fahrplan, um die Umsetzung zu garantieren. Vor allem aber müssen Sozialpartner auf nationaler und europäischer Ebene in die Gestaltung und Umsetzung der Maßnahmen involviert sein. Nur so kann sichergestellt werden, dass auf einem sich ständig verändernden Arbeitsmarkt niemand zurückgelassen wird.