Europa
Gemeinsam für das Europäische Sozialmodell
Warum die Gewerkschaften eine zentrale Rolle in der EU-Erweiterung spielen müssen
Die Zukunft der EU wird nicht nur in Brüssel entschieden – auch in Städten wie Tirana, Sarajevo oder Belgrad wird über das Europa von morgen verhandelt. So auch beim Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB), der soeben seine Mid Term Konferenz in der serbischen Hauptstadt abgehalten hat. Dabei herrschte Einigkeit zwischen den europäischen Gewerkschaften und internationalen Gästen wie den Arbeitsminister:innen Yolanda Diaz (Spanien) und Korinna Schumann (Österreich) oder dem britischen Justin Madders: Die geplante Erweiterung um die Westbalkan-Staaten ist mehr als ein geopolitisches Projekt - sie ist ein Testfall dafür, ob die EU ihre sozialen Versprechen erneuern kann.
Soziale Gerechtigkeit: Grundlage für Demokratie und Sicherheit
Länder wie Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien oder Serbien befinden sich seit Jahren in einem tiefgreifenden Reformprozess. Doch trotz politischer Fortschritte bleiben demokratische Strukturen schwach, Arbeitsmärkte prekär und die soziale Lage angespannt. Besonders die hohe Jugendarbeitslosigkeit, informelle Beschäftigung und schwache Arbeitsschutzsysteme verschärfen die Probleme. Viele junge Menschen kehren ihrer Heimat den Rücken – nicht selten landen sie in unsicheren Jobs im EU-Ausland. Der dadurch entstehende Braindrain schwächt die sozialen Strukturen in den Herkunftsländern und schafft auch soziale Spannungen in den Aufnahmestaaten – ein Nährboden für autoritäre Kräfte.
Soziale Sicherheit ist der Schlüssel für politische Stabilität. Wo Armut und Ausgrenzung herrschen, verlieren Menschen das Vertrauen in Politik – autoritäre Kräfte füllen das Vakuum. Deshalb müssen Beitrittsperspektiven mit messbaren sozialen Verbesserungen verknüpft sein: gute Arbeitsplätze, funktionierende öffentliche Dienste, Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung sowie soziale Teilhabe. Nur so wird europäische Integration greifbar und glaubwürdig.
Die Gewerkschaftsbewegung als Partnerin des sozialen Aufbruchs
In vielen Westbalkan-Staaten wurden Gewerkschaften systematisch geschwächt. Trotzdem wächst dort neuer sozialer Protest – oft getragen von jungen Menschen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Die Beschäftigten in den Erweiterungsländern sind keine Konkurrenz, sondern Partner:innen in einem gemeinsamen Kampf für soziale Rechte: Die Erweiterung darf sich nicht nur an wirtschaftlichen Kriterien orientieren, sondern muss soziale Mindeststandards verbindlich machen. Notwendig sind klare soziale Mindeststandards: Tarifbindung, Koalitionsfreiheit, sozialer Dialog. EU-Programme wie das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) sollten gezielt Gewerkschaften und soziale Akteur:innen stärken.
Und auch innerhalb der EU braucht es ein Umdenken: Strukturreformen dürfen nicht länger -quasi- automatisch Sozialabbau bedeuten. Statt Privatisierungen braucht es Investitionen in öffentliche Infrastruktur und soziale Sicherung.
Europas Gewerkschaften haben sich in ihrer Belgrad-Konferenz einmal mehr für ein soziales Europa ausgesprochen, das seine vielbesungenen Werte ernst nimmt und grenzüberschreitende Solidarität lebt.
Was der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) konkret von der EU fordert:
- Soziale Rechte als Beitrittsvoraussetzung: Beitrittskandidaten müssen Tarifbindung, Koalitionsfreiheit, Mindestlöhne und sozialen Dialog vollständig übernehmen.
- Stärkung des sozialen Dialogs: Der Soziale Dialog muss auch in den Beitrittsstaaten strukturell verankert und gesetzlich wie finanziell abgesichert sein – mit Gewerkschaften als gleichberechtigten Partnerinnen.
- Verankerung von Gewerkschaftsrechten: Grundrechte wie Vereinigungsfreiheit, Tarifverhandlungen und Streikrecht müssen uneingeschränkt gelten.
- Soziale Auflagen bei EU-Geldern: Fördermittel sollen nur vergeben werden, wenn Tarifverträge, Mitbestimmung und sozialer Dialog gewährleistet sind.
- Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit: Klare Regeln gegen Sozialdumping und Ausweitung der Tarifbindung auf alle Mitgliedstaaten.
- Faire Löhne und Arbeitsbedingungen: EU-weite Umsetzung der Mindestlohnrichtlinie, Stärkung sektoraler KV-Regelungen.
- Starke öffentliche Dienste und Sozialschutz: Ausbau von Institutionen wie Arbeitsaufsicht, Steuerbehörden und Justiz gegen Korruption und Sozialdumping.
- Soziale EU-Reformen statt Vetos: Institutionelle Reformen für soziale Integration, faire Mobilität und den Schutz mobiler Beschäftigter.
- Sozial gerechter Green Deal: Beitrittsländer sollen beim Übergang zur klimaneutralen Wirtschaft sozial abgesichert und regional gefördert werden.
- Demokratische Mitbestimmung stärken: Erweiterungsprozesse sollen mit aktiver Beteiligung von Arbeitnehmer:innen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft aufgesetzt werden – für eine breite gesellschaftliche Akzeptanz.