Europäische Union
Sozialer Dialog muss Markenzeichen der EU werden
ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian: „Keine EU-Mitgliedschaft ohne sozialpartnerschaftliche Strukturen”
In ihrer jährlichen Rede zur Lage der Europäischen Union im September des Vorjahres kündigte Ursula von der Leyen nicht nur inhaltliche Schwerpunkte an. Die Kommissionspräsidentin bezog sich in ihrer Rede auch auf die Rolle der Sozialpartner und avisierte ein Treffen mit ihnen, um den sozialen Dialog zu vertiefen. Am 31. Jänner fand dieser Gipfel schließlich statt – gemeinsam mit dem belgischen Ministerpräsident Alexander De Croo, seit Jahresbeginn Vorsitzender der Ratspräsidentschaft, lud Von der Leyen die Spitzen der europäischen Sozialpartner nach Val Duchesse. In dem Schloss nahe Brüssel war 39 Jahre zuvor der Grundstein dafür gelegt worden, die Sozialpartner in die Gestaltung der EU-Politik einzubeziehen.
Österreich ist dank Sozialpartnerschaft KV-Weltmeister
„Ein Ort mit Symbolkraft, die wir hoffentlich nutzen werden. Das Bekenntnis zum sozialen Dialog ist nämlich gerade in Zeiten multipler Krisen wichtig, der soziale Dialog schafft Stabilität“, betonte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, der als Präsident des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) am Gipfel teilnahm.
Das Bekenntnis zum sozialen Dialog ist nämlich gerade in Zeiten multipler Krisen wichtig, der soziale Dialog schafft Stabilität.
Katzian verwies auf die funktionierende Sozialpartnerschaft in Österreich: „Wir suchen als Sozialpartner nicht den Konflikt, sondern wir verhandeln mit Respekt und auf Augenhöhe – mit Erfolg. Mit 98 Prozent gilt so gut wie für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Kollektivvertrag. Damit sind wir KV-Weltmeister, davon können viele Länder nur träumen.“
Der Begriff "sozialer Dialog" in seiner jetzigen Form wurde Mitte der 1980er-Jahre in der EU etabliert. Im Europäischen Sozialen Dialog verhandeln Gewerkschaften und Arbeitgeber-Verbände aus allen Mitgliedstaaten, meistens über gemeinsame Zielsetzungen in der Sozialpolitik. Die EU-Verträge räumen den EU-Sozialpartnern aber noch viel weitreichendere Rechte ein. Im Sozialen Dialog können sogar Entwürfe für Richtlinien ausverhandelt werden, die später in allen EU-Ländern in Gesetze gegossen werden müssen.
Leider scheitert das in letzter Zeit immer wieder an der mangelnden Einigkeit innerhalb der Arbeitgeberseite. Aktuelles Beispiel sind die Verhandlungen für eine Richtlinie über arbeitsrechtliche Mindeststandards bei der Telearbeit, die zum Jahresende 2023 an der mangelnden Einigkeit der Arbeitgeber scheiterten.
Auf Augenhöhe verhandeln, verbindliche Lösungen erreichen
Ob bei Sozialpartnerkonsultationen, bei der Interessensvertretung oder bei eigenständigen Verhandlungen, die Sozialpartner bringen ihre Expertise auch in Europa immer ein. Der Soziale Dialog sei ein mächtiges Instrument, so Katzian, aber das Potenzial könnte stärker genützt werden. „Es geht um mehr als miteinander zu reden. Es geht darum, zu verhandeln, Vereinbarungen zu treffen und dann auch Verbindlichkeit herzustellen“.
„Der soziale Dialog muss als Markenzeichen der EU etabliert werden“, stellte der EGB-Präsident in Val Duchesse klar: „Gerade auch in Anbetracht der Erweiterung, die der EU bevorsteht, müssen wir uns die Frage stellen, was die europäische Wertegemeinschaft konkret ausmacht, welche Anforderungen wir an neue Mitglieder stellen wollen.“
Konkrete Maßnahmen, um Lohn- und Sozialdumping zu bekämpfen
Der Tatsache, dass in keinem der künftigen Mitgliedstaaten ausreichend sozialpartnerschaftliche und gewerkschaftliche Strukturen beziehungsweise Tarifverträge in der Fläche etabliert sind, muss aktiv entgegengewirkt werden, fordert Katzian: „Wir müssen dem Lohn- und Sozialdumping entschieden, mit konkreten Maßnahmen entgegenwirken.“ Dafür brauche es unter anderem mehr Möglichkeiten für die Europäische Arbeitsbehörde ELA, deren Durchsetzungskraft erhöht werden muss, sowie ausreichende Ressourcen, um den sozialen Dialog auch in den künftigen Mitgliedstaaten aufzubauen.
Die EU steht vor großen geopolitischen und wirtschaftlichen Umbrüchen. Wenn es gelingt, mit dem sozialen Dialog das soziale Gleichgewicht zu sichern und Wohlstand zu schaffen, dann kann er auch ein wichtiges Friedenselement sein. „Nur dort, wo Konflikte im Dialog ausgetragen werden, kann das friedliche Miteinander gelebt werden, für das sich die Gewerkschaften in Europa einsetzen“, sagt Katzian: „Ein Grund mehr, mit vereinten Kräften dafür zu sorgen, dass der soziale Dialog in Europa seine volle Stärke entfaltet – wir sind dabei!“