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5 nach 12 im Pflegebereich

Als „Zukunftsthema Nummer 1“ bezeichnet Tirols ÖGB-Vorsitzender Philip Wohlgemuth das Thema Pflege. Er betont: „So gut wie jede oder jeder ist im Lauf seines Lebens auf die eine oder andere Weise davon betroffen.“ Aus diesem Grund hat die Gewerkschaft ein umfassendes Forderungspapier erarbeitet, das maßgebliche Verbesserungen für Pflegepersonal, pflegende Angehörige und die zu Pflegenden selbst erreichen soll. Neben der längst überfälligen Umsetzung des Pflegepaktums – gleiches Geld für gleiche Arbeit – und einer Arbeitszeitverkürzung finden sich darin auch Vorschläge für bessere technische Hilfsmittel, regelmäßige kostenlose Supervision und Physiotherapie für die Beschäftigten, der Aufbau eines Personalpools zur Abdeckung von krankheits- oder urlaubsbedingten Ausfällen sowie eine Anstellung von pflegenden Angehörigen beim Land Tirol. Erarbeitet wurde das Papier gemeinsam mit ExpertInnen, Beschäftigten, BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen und den zuständigen Gewerkschaften. Nachdem Wohlgemuth es gestern (Dienstag) dem ÖGB-Landesvorstand vorgelegt hatte, wurde es dort einstimmig beschlossen.

 

Laut Statistik Austria wird die Anzahl der über 80-Jährigen in Tirol bis zum Jahr 2040 um 110,8% zunehmen, bis zum Jahr 2075 sogar um 223,2 %. ExpertInnen gehen von einem österreichweiten Mehrbedarf an Pflege- und Betreuungskräften von rund 76.000 Personen bis zum Jahr 2030 aus. „Es ist daher allerhöchste Zeit, die Weichen für eine gute soziale Infrastruktur zu stellen. Die Drop-Out-Quote im Pflegebereich ist überdurchschnittlich hoch. Immer öfter hören wir aktuell von den Beschäftigten im Bereich der Pflege, dass sie noch bis zum Ende der Pandemie durchhalten wollen, dann aber in eine andere Branche wechseln möchten, weil sie schon lange nicht mehr können“, unterstreicht Wohlgemuth die Notwendigkeit von weitreichenden Maßnahmen.

 

Springerstellen und Betreuungspool

„Für die Pflege braucht es die ‚3-M-Regel‘: mehr Geld, mehr Personal, mehr Freizeit“, so der Tiroler ÖGB-Chef. Mehr Personal brauche es sowohl im Tagdienst als auch besonders im Nachtdienst und auch in der mobilen Pflege, infolge solle der Pflegeminutenschlüssel erhöht werden, um den Beschäftigten den Rahmen zu geben, mehr auf die Bedürfnisse der zu Pflegenden eingehen zu können. Als zentralen Punkt sieht Wohlgemuth den Aufbau einer Personalreserve, die standortübergreifend zum Beispiel Urlaubs- und Krankenstandvertretungen oder bei außerordentlichen Belastungen rasch zusätzliches Personal bereitstellen kann. Da diese „Springerstellen“ mit größeren Anforderungen an die Mobilität verbunden sind, sollen durch eine Anstellung zum Land Tirol abgesicherte und arbeitsrechtlich unbedenkliche Arbeitsverhältnisse gewährleistet sein. Zusätzlich soll der Aufbau eines landesweiten, hochqualitativen Betreuungspools (z.B. für 24h-Betreuung) unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Arbeitsverhältnisse und Ausbildungserfordernisse in Angriff genommen werden. Zudem soll das Angebot in der Pflege um weitere Berufsgruppen wie ErgotherapeutInnen, PsychotherapeutInnen oder PhysiotherapeutInnen bzw. Menschen, die Freizeitbeschäftigungen für zu Pflegende anbieten, ergänzt werden. „Viele Ältere vereinsamen oft. Dabei ist die psychische Gesundheit genauso wichtig wie die physische“, betont Wohlgemuth.

 

Technische und mentale Hilfsmittel

Wesentlich profitieren würden die Beschäftigten von der Einführung einer landesweiten Pflegeakte, regelmäßiger vorbeugender Physiotherapie sowie von technischen Hilfsmitteln wie beispielsweise einem Bettenkran. „Das ständige Heben von den zu Pflegenden übersteigt schnell die eigenen Kräfte. Dazu kommt, dass die Pflege eine frauendominierte Branche ist“, erklärt Wohlgemuth. Auch ein leichterer Zugang zur Schwerarbeiterpension soll daher ermöglicht werden. Zur Minderung der psychischen Belastungen fordert er regelmäßige kostenlose Supervision. Generell erfordere die psychische wie psychische Belastung eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich sowie die leichtere Erreichbarkeit der 6. Urlaubswoche. Verbindliche Dienstpläne sollen zudem mehr Qualität in der Freizeit ermöglichen. Überfällig ist für ihn zudem die vollständige Umsetzung des Pflegepaktums: „Es geht dabei um den Anspruch auf die gleiche Bezahlung für die gleiche Arbeit, unabhängig von der Rechtsform des Trägers. Nach wie vor beträgt der Gehaltsunterschied bis zu 8,3% pro Jahr, das entspricht rund 2.300 Euro brutto!“.

 

„Arbeitsplatz Familie“

Rund 80% der Pflege wird allerdings zu Hause erbracht, dort zum überwiegenden Teil von Frauen. Viele mussten ihren Beruf einschränken oder sogar aufgeben, um die Betreuung der Familienangehörigen gewährleisten zu können. „Eine Anstellung der pflegenden Angehörigen beim Land von der Geringfügigkeitsgrenze bis zur Vollzeitanstellung – je nach Pflegeausmaß – wäre dringend notwendig, um diese Menschen abzusichern. Darüber hinaus setzen wir uns für ein entsprechendes Aus- und Weiterbildungsangebot für pflegende Angehörige ein. In weiterer Folge könnte diese Personengruppe vielleicht für eine Tätigkeit im Pflegebereich gewonnen werden“, so Wohlgemuth. Auch hier solle der Betreuungspool des Landes im Notfall einspringen.

 

„Betreuung Angehöriger ist emotionale Schwerarbeit. Deswegen fordern wir für die Pflegenden den Anspruch auf eine zwei Wochen dauernde Auszeit zum Selbstkostenbeitrag von 50 Euro, wie das bei den Erholungswochen der Caritas bereits angeboten wird. Darüber hinaus braucht es psychosoziale Unterstützungsangebote, möglicherweise auch mittels einer Hotline“, sieht Wohlgemuth auch hier mentale Unterstützung als Gebot der Stunde.

 

Um im Vorfeld gute Unterstützungsangebote erarbeiten zu können, will Wohlgemuth eine Tiroler Pflegeberatung zur Bedarfserhebung, Evaluierung der benötigten Unterstützung und Überblick über bereits bestehende Angebote ins Leben rufen. Darüber hinaus sollen Vorsorge-Gespräche mit SeniorInnen ab 75 Jahren frühzeitig abklären, inwiefern Hilfe benötigt wird und Hilfestellung bei erforderlichen Behördengängen gewährleistet werden.

 

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