Tag des Ehrenamts
Engagement, weit über Paragrafen hinaus
Betriebsrätinnen und Betriebsräte überwinden täglich viele Hürden, um die Arbeitswelt für ihre Kolleginnen und Kollegen sozialer zu machen
Wer auch nur eine Minute mit Ilse Kalb spricht, dem ist sofort klar: Ihr ist die Arbeit als Betriebsrätin auf den Leib geschneidert. Sie ist taff, sozial, rechtlich sattelfest und so locker, dass man einfach gerne mit ihr redet. Seit 2002 ist sie Betriebsrätin im Hanusch-Krankenhaus in Wien, und sagt über diese Tätigkeit: „Das war das, was ich immer schon machen wollte (…). Ich wollte nie nur mitreden, sondern auch mitgestalten.“ Und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: “Ich war schon immer ein bisschen ein Revoluzzer.“
Auf der Suche nach Orientierung
Der Anfang als Betriebsrätin war aber auch für Ilse Kalb nicht leicht. Sie sah vieles, was nicht passte, konnte es rechtlich aber zunächst nicht einordnen. In ihre Rolle als Betriebsrätin musste sie erst hineinwachsen. Deshalb besuchte sie Betriebsratskurse der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer.
So wie ihr geht es vielen der zehntausenden Belegschaftsvertreter:innen in Österreich. Die Anforderungen an Betriebsräte sind enorm und vor allem am Anfang fehlt oft die Orientierung. Sie brauchen Rechtswissen, Verhandlungsgeschick, Einfühlungsvermögen im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen sowie Organisationstalent – etwa beim Planen von Festen oder beim Mobilisieren der Beschäftigten. Auch wenn viele bereits engagierte Persönlichkeiten sind, braucht es trotzdem Weiterbildung, den Austausch mit anderen Betriebsrätinnen und Betriebsräten und viel Erfahrung, um die Rechte der Beschäftigten mit der nötigen Selbstsicherheit einzufordern.
Viel Arbeit in der Freizeit
Um das alles zu schaffen, zeigen Betriebsrätinnen und Betriebsräte enormes Engagement. Die Tätigkeit des Betriebsrats ist ein Ehrenamt. Es muss neben der normalen Arbeit erledigt werden. Gerade für nicht freigestellte Betriebsrätinnen und Betriebsräte ist das eine große Herausforderung. Die meisten opfern dafür ihre Freizeit. In manchen Branchen ist es während der Arbeit kaum möglich, sich ausreichend um diese Aufgaben zu kümmern. Auch für Kalb war dias in den ersten Jahren ohne Freistellung so: „Meine betriebsrätliche Arbeit konnte ich ausschließlich in der Freizeit machen.“
Anliegen der Belegschaft kennen
Das Engagement von Betriebsrätinnen und Betriebsräten zeigt sich aber nicht nur an der Bereitschaft für zusätzlichen Arbeit, sondern auch am Umgang mit den Mitarbeiter:innen. Reden und Zuhören sind die wichtigsten Werkzeuge, um die Anliegen der Beschäftigten zu verstehen – und sie anschließend gut vertreten zu können. Der langgediente Konzernbetriebsratvorsitzende der VOEST, Hans Karl Schaller, formulierte es so: „Wesentlich ist, dass der Betriebsrat immer das Ohr draußen bei den Kolleginnen und Kollegen hat, dass er genau weiß, was ihre Anliegen sind, wo der Schuh drückt.“
Die Probleme, die Betriebsrätinnen und Betriebsräte zu hören bekommen, gehen dabei weit über den Betrieb hinaus, wirken sich aber oft auf die Arbeitssituation aus. „Das fängt beim Wohnen an, geht über Scheidung, geht über Kredite“, zählt Schaller auf.
Albtraum „Stellenabbau“
Besonders tragisch zeigt sich das Zusammenspiel von Privatem und Beruflichem dann, wenn Betriebe insolvent und Stellen abgebaut werden. Für viele Beschäftigte ist das ein Schock – besonders, wenn sie unverschuldet ihren Job verlieren und eine Familie zu versorgen haben.
Betriebsrätinnen und Betriebsräte sind in diesen Situationen extrem gefordert. Sie sorgen dafür, dass die Veränderungen ruhig und im bestmöglichen Interesse der Belegschaft ablaufen. Sie verhandeln Sozialpläne, überwachen Umstrukturierungen, prüfen Kündigungen, informieren und beraten betroffene Kolleginnen und Kollegen.
Silvia Scharf, Betriebsrätin eines mittelständischen Industrieunternehmens, erinnert sich an eine ihrer schwersten Zeiten: „Alle zwei Wochen landeten Kündigungslisten auf meinem Schreibtisch. Ich musste der Kündigung von Menschen zustimmen, die nicht nur meine Kolleginnen und Kollegen, sondern oft auch Nachbarn waren. Deren persönliche Schicksale berührten mich sehr.“
Wenn das Gegenüber keinen Betriebsrat will
Manchmal gibt es Situationen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Obwohl das Recht auf Mitbestimmung gesetzlich gesichert ist, gibt es immer noch Arbeitgeber, die Beschäftigte als Leibeigene und Betriebsrätinnen und Betriebsräte als Feinde sehen.
Sie versuchen, sie mit unfairen oder sogar illegalen Mitteln unter Druck zu setzen – etwa durch Versetzungen, Einschüchterungen, versuchte Kündigungen, die Gründung arbeitgeberfreundlicher „gelber“ Betriebsräte oder manchmal auch durch Bestechung, wie manche Betriebsrätinnen und Betriebsräte berichten. Trotzdem gibt es viele Betriebsrätinnen und Betriebsräte, die sich diesem Druck widersetzen und entschlossen für Mitbestimmung kämpfen. Wie etwa Karola Haidinger, der man nach der Betriebsratsgründung einen Posten als Führungskraft anbieten wollte, um ihre Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft zu verhindern.
Für all das verdienen Betriebsrätinnen und Betriebsräte unseren größten Respekt. Tag für Tag leisten sie im Sinne der Beschäftigten einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Arbeitswelt menschlicher und gerechter wird.