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Leben ohne Sicherheitsnetz

Für sie gibt es keine Kurzarbeit, kein Arbeitslosengeld, keine Gesundheitsvorsorge und keine Versicherung – sogenannte undokumentiert Arbeitende können in der Corona-Krise auf so gut wie nichts zählen. Für viele ist ihr tägliches Arbeitsleben ein Kampf – aber nicht erst seit der Corona-Pandemie. Ein Kampf, der sie oft vor große Hürden stellt.

Unterstützung für undokumentiert Arbeitende gibt es in der gewerkschaftlichen Anlaufstelle UNDOK. Was die Betroffenen jetzt am dringendsten brauchen, hat oegb.at die UNDOK-Mitarbeiterinnen Radostina Stoyanova, Beraterin und Organizerin, und Vina Yun, zuständig für Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, gefragt. 

Oegb.at: Könnt ihr uns kurz erklären, was UNDOK ist und was ihr tut? 

Yun: „Wir beraten KollegInnen, die ohne Papiere – also undokumentiert bzw. unterdokumentiert – arbeiten. Es sind Menschen ohne regulären Aufenthaltstitel bzw. ohne Arbeitsbewilligung, die in die informelle Beschäftigung gezwungen werden. Das kann selbst MigrantInnen mit Rot-Weiß-Rot-Karte treffen. Aber: Ohne Papiere bedeutet nicht automatisch ohne Rechte. Laut einer EU-Richtlinie gelten Kollektivverträge auch für undokumentierte Arbeit – auch in Österreich.“ 

Stoyanova: „Unser Angebot ist kostenlos, anonym und wir bieten es in verschiedenen Sprachen an. Wir sind vor allem Anlaufstelle für MigrantInnen aus Drittstaaten, bieten Erstberatungen aber auch für andere KollegInnen.“

Oegb.at: Warum haben diese Menschen keine Papiere? 

Yun: „Das ist weder Zufall noch Schicksal. Das ist ein Zustand, der von der Politik geschaffen wird, etwa durch sehr restriktive Asyl-, Migrations- und Arbeitsmarktregelungen. All das greift ineinander. Wir haben zirka 30 Aufenthaltstitel in Österreich und jeder definiert, ob ich Zugang zum Arbeitsmarkt habe oder nicht. Viele Arbeitgeber nutzen es beinhart aus, wenn ArbeiterInnen keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt haben – weil sie glauben, sie brauchen sich dann nicht an Regeln zu halten. “ 

Oegb.at: Wer kommt zu euch und wie viele Beratungen führt ihr jährlich durch? 

Viele Arbeitgeber nutzen es beinhart aus, wenn ArbeiterInnen keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt haben.

Vina Yun, UNDOK-Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit
Vina Yun
Vina Yun Privat

Stoyanova: „Menschen aus allen Branchen: Gastro, Bau, Reinigung, aber auch viele, die in privaten Haushalten arbeiten. Auch viele StudentInnen. Die meisten stammen aus Drittstaaten, aber es gibt auch viele aus EU-Ländern. Unsere KlientInnen kommen von überall her, von Großbritannien bis zur Mongolei. Letztes Jahr waren es rund 120 Personen, die sich an uns gewandt haben.“ 

Oegb.at: Wie hat sich die Corona-Krise auf eure Tätigkeit ausgewirkt bzw. kommen in Zeiten der Pandemie mehr Menschen und suchen Hilfe? 

Stoyanova: „Ja, auf alle Fälle. Wir haben gesehen, dass etwa im ersten Lockdown existentielle Ängste stark um sich gegriffen haben. Da undokumentiert Arbeitende keine öffentliche Unterstützung oder Zugang zum Härtefallfonds haben, waren sie völlig auf sich allein gestellt. „Wo gibt es Essensausgaben?” und „Wie zahle ich meine Miete?“ waren nur zwei von vielen existenziellen Fragen. Sie waren auf private Unterstützung angewiesen, die Communitys unterstützten einander auch gegenseitig.“

Oegb.at: Hat Corona die ohnehin schwere Situation undokumentiert Arbeitender befeuert und wenn ja, wie? 

Yun: „Die Situation hat sich insofern verschärft, als die Abhängigkeiten in vielen Fällen größer geworden sind. Angesichts der wirtschaftlichen Ausnahmesituation haben viele noch mehr Angst, ihren Job zu verlieren. Unter dem Druck nehmen viele mehr Risiken in Kauf.“  

Oegb.at: Was sind die größten Sorgen und Ängste der undokumentiert Arbeitenden? 

Undokumentiert Arbeitende brauchen gerade in Corona-Zeiten Zugang zu Impfung, Gesundheitsvorsorge, aber auch allen anderen öffentlichen Unterstützungen. 

Radostina Stoyanova, UNDOK-Beraterin und Organizerin
Radostina Stoyanova
Radostina Stoyanova Privat

Stoyanova: „Existenzfragen. Wie sie ihr Leben finanzieren sollen. Aber auch Angst vor Kontrollen – sei es durch die Finanz- oder Fremdenpolizei. Was viele nicht wissen, ist, dass es der Arbeitgeber ist, der Verantwortung trägt und sich strafbar macht, wenn er sich nicht an Regeln hält. Viele sind auch sehr wütend – denn wie kann es sein, dass sie 14 Stunden am Tag arbeiten, dafür nur ein bis zwei Euro pro Stunde bekommen und trotzdem nicht immer Recht bekommen, wenn sie sich gegen die Ausbeutung wehren?“ 

Oegb.at: Was brauchen diese Menschen jetzt am dringendsten?

Stoyanova: „Sie brauchen ein großes Gesamtpaket, gerade in Corona-Zeiten. Sie brauchen Zugang zu Impfung, Gesundheitsvorsorge, aber auch anderen öffentlichen Unterstützungen. Niemand darf hier durchs Netz fallen. Italien, Portugal aber auch Irland machen es da viel besser als wir.“ 

Yun: „Gerade undokumentiert Arbeitende sind oft in systemrelevanten Berufen beschäftigt. Sie sind also besonderen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Trotzdem gibt es für sie oft nicht einmal Zugang zu Gratistests.“ 

Oegb.at: Kann die Pandemie ein „Neustart“ für den Umgang mit undokumentiert Arbeitenden sein? 

Yun: „Auf alle Fälle. Wir müssen uns bemühen, etwas zu verändern, damit die Leute nicht unsichtbar bleiben und zurückgelassen werden. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt dafür, sich die Arbeitsbedingungen ganz genau anzusehen und die richtigen Weichen zu stellen, damit sich die Situation verbessert.“ 

Oegb.at: Was wünscht ihr euch für die Zukunft? 

Stoyanova: „Ich wünsche mir einen Neustart – ein Pilotprojekt Legalisierung –, als unverbesserliche Optimistin glaube ich auch daran. Ich will, dass Menschen, die in Österreich undokumentiert arbeiten, endlich aus dieser Situation rauskommen.“ 

Yun: „Ich wünsche mir, dass wir eine Migrations- und Arbeitsmarktpolitik haben, die Leute nicht in undokumentierte Arbeit drängt und dass die aktuelle legale Diskriminierung endlich ein Ende findet.“ 

UNDOK ist Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender.

UNDOK informiert KollegInnen über ihre Rechte und bieten Beratung und Unterstützung bei der Durchsetzung arbeits- und sozialrechtlicher Ansprüche.
 
Information oder Beratung via Telefon: +43 (0)1 534 44–39040 oder E‑Mail: office@undok.at

Ab sofort gibt es auch offene Beratung via Skype: jeden Montag 9.00–12.00 Uhr und Mittwoch 15.00–18.00 Uhr.  Auf Skype unter „UNDOK Beratung“.