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Gruppenpraxen: Die Zukunft der medizinischen Versorgung?

Primärversorgungseinheiten und Gruppenpraxen versprechen mehr Versorgungsmöglichkeiten, längere Öffnungszeiten und breitere Angebote für Versicherte. Was steckt dahinter?

Als Wolfgang Mückstein als neuer Gesundheitsminister vorgestellt wurde, rückte auch seine berufliche Vergangenheit in den Fokus: Dort war er Gesellschafter im ersten Primärversorgungszentrum Österreichs – also einer allgemeinmedizinischen Gruppenpraxis mit besonderem Versorgungsangebot (siehe Kasten). In solch einer Praxis hat man als Versicherte/r an einem Ort Zugang zu verschiedenen ÄrztInnen und Behandlungen. Neue Initiativen im niedergelassenen Bereich in Richtung eines flächendeckenden Netzes von Primärversorgungseinheiten sollen jetzt kommen. Sie sollen eine bessere, näher am Wohnort gelegene medizinische Versorgung der Bevölkerung ermöglichen und so die Spitalsambulanzen entlasten. Was das für die Zukunft bedeutet, welche Herausforderungen damit einhergehen und ob Gruppenpraxen wirklich das halten, was sie versprechen, erklärt ÖGB-Gesundheitsexpertin Claudia Neumayer-Stickler

Welche Vorteile hat es, Gruppenpraxen auszuweiten? 

Generell bieten Gruppenpraxen viele Vorteile – sie haben längere Öffnungszeiten, zumeist auch an den Tagesrandzeiten, und über das Jahr hinweg fast immer offen. Daneben ist ein verschränktes Arbeiten von mehreren Ärztinnen und Ärzten und anderem Gesundheitspersonal möglich. Das ermöglicht auch eine bessere Abstimmung und die Bündelung von verschiedenen Kompetenzen und Behandlungsmöglichkeiten. 

Wann wäre ein Ausbau realistisch umsetzbar?  

In den meisten Bundesländern gibt es bereits zahlreiche Gruppenpraxen in verschiedenen Fachgruppen, vor allem im Bereich Röntgen, Labor und bei anderen FachärztInnen, aber auch in der Allgemeinmedizin. Es sind auch bereits einige Primärversorgungseinheiten verankert und langsam kommt die eine oder andere Einheit dazu. Es muss aber klar gesagt werden, dass das vor ein paar Jahren gewünschte Ziel von 75 Primärversorgungseinheiten im Jahr 2021 nicht erfüllt wird. Davon ist man noch sehr weit entfernt.  

Nun versprechen diese Praxen weniger Wartezeiten, mehr Behandlungen an Ort und Stelle und bessere Versorgungsmöglichkeiten. Kann denn das alles so funktionieren? 

Im Vordergrund steht eine umfassende Versorgung auf der sogenannten ersten Behandlungsebene. Eine Primärversorgungseinheit soll die erste Anlaufstelle für alle Menschen bei Fragen und Anliegen rund um die eigene Gesundheit sein. Dabei sollen nicht nur Krankheiten behandelt werden, sondern vor allem auch der Erhalt der Gesundheit gefördert werden. Durch ein breites Team von ÄrztInnen, Gesundheits- und KrankenpflegerInnen und teilweise auch SozialarbeiterInnen ist eine gute, strukturierte Zusammenarbeit möglich. Bei einem Primärversorgungszentrum stehen also viele Angebote unter einem Dach zur Verfügung. Wird die Einheit als Netzwerk betrieben, gibt es einen strukturierten Austausch der einbezogenen Ordinationen und Therapieeinheiten inklusive übergreifender Öffnungszeiten. 

Wo siehst du Herausforderungen?  

Eine Herausforderung dürfte darin liegen, dass genug Ärztinnen und Ärzte gefunden werden, die gemeinsam eine Primärversorgungseinheit betreiben wollen – sei es als Zentrum oder als Netzwerk. 

Wäre das Modell der Primärversorgung in allen Bundesländern sinnvoll?  

Das muss ganz klar bejaht werden. In vielen Gebieten Österreichs bringt die Etablierung eines Primärversorgungszentrums mit den unterschiedlichen Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten unter einem Dach sicherlich einen Vorteil. In manchen Gebieten wird ein Netzwerk, also der Zusammenschluss von mehreren Ordinationen mit gemeinsamen Angeboten und abgestimmten Öffnungszeiten vielleicht sinnvoller sein. 

Wie würde das aus Versichertenperspektive aussehen? Ist man dann an einem Tag bei mehreren Ärztinnen und Ärzten gleichzeitig gemeldet?  

In einer Primärversorgungseinheit arbeiten zwar mehrere Ärztinnen und Ärzte, dennoch haben aber alle PatientInnen die Möglichkeit, sich ihre Ärztin oder ihren Arzt des Vertrauens auszusuchen. Dies wird entweder bei der Terminvereinbarung berücksichtigt oder ist durch die bekannten Anwesenheiten der ÄrztInnen im Zentrum gewährleistet. Leidet aber eine PatientIn an akuten Beschwerden, die eine rasche Untersuchung oder Behandlung erfordern, kann er oder sie die Ordination auch dann aufsuchen und wird auch dann rasch behandelt, wenn der Arzt oder die Ärztin des Vertrauens nicht anwesend. 

Wie beurteilst du die Zukunft von Gruppenpraxen vor dem Hintergrund unseres Gesundheitssystems?  

Ich glaube, dass sich immer mehr ÄrztInnen zu Gruppenpraxen oder auch gemeinsam mit anderen Gesundheitsberufen zu multidisziplinären Einheiten zusammenschließen werden. Viele wollen in einem Team arbeiten, ihre Kompetenzen gemeinsam nutzen und durch die Zusammenarbeit auch für eine bessere Work-Life-Balance sorgen. Auch aus gesundheitspolitischer Sicht ist das zu begrüßen. Vor allem mit einem breiten Angebot von Primärversorgungseinheiten wird allen Menschen in Österreich ein einfacher Zugang zur umfassenden Gesundheitsversorgung geboten, bei der auch die Prävention und die Stärkung der eigenen Gesundheitskompetenz eine wichtige Rolle spielt. 

Wetere Informationen zu Primärversorgungseinheiten

In einer Primärversorgung sind zum ersten Mal in institutionalisierter Form ÄrztInnen und weitere Gesundheits- und Sozialberufe unter einem Dach oder in einem Netzwerk vereint. Im Kernteam der Primärversorgungseinheit (PVE) arbeiten mindestens drei ÄrztInnen der Allgemeinmedizin mit Angehörigen der Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege zusammen. Dies wird ergänzt durch OrdinationsassistentInnen, sowie allenfalls einer Fachärztin bzw. eines Facharztes für Kinder- und Jugendheilkunde.

Orts- und bedarfsabhängig können weitere Gesundheitsberufe verbindlich und strukturiert hinzugezogen werden, im Sinne eines „erweiterten Teams“. Diese Berufsgruppen können u.a. umfassen: Hebammenhilfe, klinische Psychologie, Psychotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Diätologie sowie Sozialarbeit.