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In Georgien wünschen sich viele Menschen einen EU-Beitritt und damit Arbeitsbedingungen. Marius Karp – stock.adobe.com

„Wir sind wie ein Elefant auf den Beinen eines Storchs“

Gewerkschaftschefs von Georgien und Moldawien über ihren Kampf für mehr Arbeitnehmer:innenrechte

„Wir kämpfen für die Stärkung der Demokratie, für sozialen Dialog und für freie Gewerkschaften“, sagt Igor Zubcu, Präsident des moldauischen Gewerkschaftsbundes CNSM (Confederația Națională a Sindicatelor din Moldova). Warum das so wichtig ist, machen folgende Zahlen klar: Der Mindestlohn im EU-Beitrittskandidatenland mit rund 2,5 Millionen Einwohner:innen beträgt 280 Euro, mit 40 Prozent ist nicht einmal die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse abgedeckt durch einen Kollektivvertrag, die Schwarzarbeit blüht. „Offiziellen Statistiken zufolge arbeiten 25 Prozent illegal“, sagt Zubcu, „wir wissen aber, dass es rund die Hälfte aller Beschäftigten trifft, in manchen Branchen wie am Bau sind es bis zu 75 Prozent.“ 

Es muss mehr passieren

Enorme Herausforderungen für Gewerkschaften also, und es bewegt sich auch etwas, erzählt Zubcu im Rahmen eines Arbeitsbesuchs in Wien, aber der Kampf für mehr Fairness in der Arbeitswelt müsse mehr an Tempo aufnehmen. Zwar gebe es monatliche trilaterale Treffen zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften, „aber wir brauchen diese Auseinandersetzung auch in den Regionen und den Betrieben“, fordert Zubcu, seit dem Vorjahr auch Präsident von PERC (Pan-Europäischer Regionalrat). 

Irakli Petriashvili (rechts) und Igor Zubcu trafen in Wien auch ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. ÖGB - Harun Çelik

Daran arbeiten die Gewerkschaften in Moldawien, das Interesse der Menschen für die Gewerkschaftsarbeit ist groß. An einem nationalen Forum der Gewerkschaften im vergangenen März nahmen 3.500 Menschen teil, das Treffen fand wegen des regen Interesses in einem Fußballstadion statt. „Momentan ist der soziale Dialog so etwas wie ein Elefant auf den Beinen eines Storchs“, veranschaulicht es der Präsident, „deswegen setzen wir alles daran, unsere Rolle zu stärken.“ Von Alibi-Treffen und Halblösungen profitieren die Beschäftigten nicht, meint Zubcu, der einen Satz aus dem Gespräch mit ÖGB-Präsident Katzian mitgenommen hat, weil dieser die Situation perfekt auf den Punkt bringe: „Auch wir sind nicht der Escort-Service unserer Regierung.“ 

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„Rückschritte beflügeln Kampfgeist“

Irakli Petriashvili, Präsident des georgischen Gewerkschaftsbunds GTUC (Georgian Trade Union Confederation), berichtet von ähnlichen Herausforderungen, in Georgien bemühe sich die Regierung aber nicht sehr, den Anschein von Interesse an Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften zu geben. Erst unlängst sei beispielsweise ein gutes Gesetz für Staatsbedienstete zurückgenommen worden, ohne dass zuvor ein Gespräch mit Gewerkschaften oder Betroffenen stattgefunden hatte. „Ein Rückschritt, der unseren Kampfgeist beflügelt“, wie Petriashvili es bezeichnet. 

Gewerkschaften organisieren auch Protest-Veranstaltungen, bei den großen Demonstrationen in Georgien, über die seit Monaten auch immer wieder international berichtet wird, spielen Arbeitsrechte aber keine Rolle. „Die politischen Kräfte, die das  anzetteln, unterstützen uns nicht, sie haben eine andere politische Agenda“, berichtet Petriashvili, der Vorgänger Zubcus als PERC-Präsident war. „Hier geht es der Opposition darum, den anti-europäischen Kurs der Regierung zu bremsen.“ Für die Gewerkschaften eine doppelt schwierige Situation. Petriashvili schließt nämlich grundsätzlich nicht aus, dass die Regierung fairen Arbeitsgesetzen grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstehen würde, die politischen Machtinhaber seien aber mit anderen Schwerpunkten und mit der politischen Gegenwehr offenbar zu sehr beschäftigt. 

Mehr Werbung für Werte der EU

Es brauche mehr Informationskampagnen über die Vorteile der EU, sind sich beide Spitzengewerkschafter einig. Das Referendum für einen Beitritt Moldawiens sei nur deswegen 50 zu 50 ausgegangen, weil ein Großteil der Befürworter:innen in der EU lebende Moldawier:innen waren, die wüssten, dass sie von den europäischen Werten profitieren. „Vor allem die jungen Menschen sind für die EU zu begeistern“, glaubt Petriashvili, viele wüssten von der EU-Mindestlohnrichtlinie oder vom Kampf gegen den Gender Pay Gap – beides auch in Georgien große Herausforderungen. 

Beide Gewerkschaftsbünde, die CNSM und die GTUC, setzen auf die Zusammenarbeit mit dem ÖGB. Aus der engen Vernetzung sind einige konkrete Projekte entstanden wie beispielsweise aktuell ein Programm für den Sozialschutz. In Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium in Moldawien geht es darum, eine im zweitärmsten Land Europas geplante Reform des Sozialschutzsystems umzusetzen. Im Kampf gegen Schwarzarbeit gibt es viel Austausch mit dem EGB auf Expert:innenebene, den ÖGB bezeichnen sowohl Zubcu als auch Petriashvili als starken Verbündeten im Kampf für die Rechte von Arbeitnehmer:innen. In Moldawien und in Georgien gibt es schließlich auch erfolgreiche Gewerkschaftsschulen nach österreichischem Vorbild. „Wir lernen von unseren Freunden“, sagt Zubcu.