Nachruf
ÖGB trauert um Rainer Wimmer
Ehemaliger Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) stirbt mit 69 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit
Rainer Wimmer, erster Bundesvorsitzender der im November 2009 gegründeten Produktionsgewerkschaft (PRO-GE), ist am 23. Juni 2025 im Alter von 69 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit im Kreise seiner Familie verstorben.
Wimmer war zwischen 2009 und 2022 Chefverhandler für die Arbeitnehmer:innen bei den jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen für Metallindustrie und Bergbau.
Mit Aussagen wie "Wir lassen sie nicht mit den Gewinnen abhauen" oder "Da hilft ihnen kein Himmelvater, da werden sie etwas hergeben müssen" brachte er die Gewerkschaftsposition in manchen Lohnrunden auf den Punkt.
„Rainer war im Herzen immer Betriebsrat – mit großem Gespür für die Menschen und bedingungslosem Einsatz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sein kämpferisches Wesen und sein Humor werden uns in Erinnerung bleiben", sagt Reinhold Binder, Bundesvorsitzender der PRO-GE.
Auch ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian zeigt sich tief betroffen und erinnert sich: „Sein Kampfgeist für faire Arbeitsbedingungen war legendär, dieses Engagement und vor allem sein fairer Verhandlungsstil haben ihm auch den Respekt vieler Arbeitgeber eingebracht. Rainer Wimmer war zudem ein verlässlicher Partner im Kampf gegen Rechtsextremismus. Wir verlieren einen Gewerkschafter mit Haltung und Handschlagqualität.“
Der ÖGB und die gesamte Gewerkschaftsbewegung verneigen sich vor einem Leben im Dienst der Solidarität.
In Erinnerung an Rainer Wimmer veröffentlichen wir noch einmal ein Interview aus dem Jahr 2015, das seinen Kampfgeist für gute Arbeitsbedingungen verdeutlicht
Interview mit Rainer Wimmer
„Die Menschen brauchen einen Reallohnzuwachs“
Ein Interview mit dem damaligen PRO-GE-Bundesvorsitzenden Rainer Wimmer, geführt von Marliese Mendel und Peter Liszt im November 2015.
Rainer Wimmers Gewerkschaftslaufbahn beginnt als Mitglied bei den Eisenbahnern, später wird er Vorsitzender des Zentralbetriebsrats der Salinen bei der Gewerkschaft Agrar- Nahrung-Genuss und schließlich übernimmt er im Jahr 2009 den Chefsessel in der neu gegründeten Produktionsgewerkschaft. Dazwischen war bzw. ist er noch Bürgermeister und Nationalratsabgeordneter und war mit seinen Kollegen maßgeblich am Erhalt der Salinen im Salzkammergut beteiligt.
Rainer Wimmer wird am 10. August 1955 geboren und wächst mit seinen drei Geschwistern in Hallstatt auf. Eigentlich wäre er ja lieber Fleischhauer geworden, doch die Familie riet ihm davon ab: Sie fürchtete aufgrund des ständigen Temperaturwechsels zwischen Kühlhaus und Schlachterei um seine Gesundheit. Also erlernte er den Elektrikerberuf in Bad Goisern. Um zu seiner Lehrstelle zu kommen, fuhr er mit dem Schiff täglich über den Hallstätter See und von der wöchentlichen Entschädigung von 116 Schilling kaufte er sich Schiffs- und Zugkarten, Zeitungen und ein Packerl „Dames“.
MM/PL: Wie bist du zur Gewerkschaft gekommen?
RW: Während meiner Lehrzeit als Elektriker in einem Gewerbebetrieb hatte ich kaum Kontakt zur Gewerkschaftsbewegung. Denn der damalige Chef hat das in seinem Betrieb leider verhindert. Aber mit 18 Jahren begann ich bei den ÖBB zu arbeiten und es war für mich selbstverständlich, der Gewerkschaft beizutreten. Als ich ein halbes Jahr später zur Saline wechselte, blieb ich natürlich Mitglied. Im Bergwerksbereich sind Zusammenhalt und Solidarität auch wegen der gefährlichen Arbeit besonders wichtig.
MM/PL: Wieso bist du 1983 Betriebsrat in der Saline geworden?
RW: Ganz einfach. Man fragte mich, ob ich im Betriebsrat mitarbeiten will. Mir war klar, dass Betriebsratsarbeit viel Zeit und Engagement verlangt, ich war damals Ende zwanzig und musste eine Weile überlegen, was das für mein künftiges Leben bedeutet. Schließlich habe ich mich für die Betriebsratsarbeit entschieden und mich sehr für einen besseren Arbeitsschutz eingesetzt. Eine Rolle bei der Entscheidung hat sicher auch der Tod meines Vaters gespielt. Er starb, als ich zehn war, bei einem Grubenunglück.
MM/PL: Zwischen 1984 und 2009 warst du Zentralbetriebsrat der Salinen Austria und in den 1990er-Jahren drohte die Schließung der Saline.
RW: Ja, mit dem EU-Betritt 1995 fiel das Salzmonopol und einige behaupteten, den Betrieb brauche es nicht mehr. Die Region ist wunderschön, mit den Seen und den Bergen, aber die Menschen können sich nichts von den Steinen „runterbeißen“. Deshalb war die Erhaltung der Industriearbeitsplätze so wichtig. Wir haben enormen öffentlichen Druck erzeugt: In den Wochen vor der Entscheidung haben wir auf großflächigen Plakatständern die Tage bis zur Entscheidung heruntergezählt. Wir trafen auch den damaligen ÖIAG-Genraldirektor. Der konnte sich nicht erklären, dass wir so einen Rückhalt in der Region hatten und was wir überhaupt da hinter den Bergen so aufführten. Schließlich konnten wir den Industriestandort nicht nur erhalten, sondern auch für 400 Kolleg:innen absichern. Ein riesiger Erfolg.
MM/PL: Wie hast du die Fusionen zur Gewerkschaft Metall-Textil-Nahrung (GMTN) erlebt?
RW: Es war nach dem Zweiten Weltkrieg eine Entscheidung unserer Vorgänger, sich in der Gewerkschaft der Lebens- und Genussmittelarbeiter (LUGA) - und später in der Gewerkschaft Agrar-Nahrung-Genuss (ANG) - zu organisieren. Sie argumentierten, Salz ist ein Lebensmittel. So konnten sie viele richtungsweisende Entscheidungen mitbestimmen. Erst durch den EU-Beitritt 1995 kam es zu einem Strukturproblem in der ANG: Tausende Arbeitsplätze und damit Mitglieder gingen in den folgenden Jahren wegen der vielen Unternehmensverlagerungen verloren. Die Existenz der ANG war bedroht. Durch die Fusion mit der GMT im Jahr 2006 konnten wir sicherstellen, dass unsere Mitglieder weiterhin bestmöglich vertreten waren.
MM/PL: Mitten in die Fusionsverhandlungen platzte die BAWAG-Bombe.
RW: Bei Sitzungen und Veranstaltungen sprach man nur mehr von der BAWAG. Heute wissen wir, dass damals große Fehler passiert sind. Einige Banker haben ihr eigenes Süppchen gekocht, sich bedient, Regelwerke verändert ohne Informationsweitergabe oder ohne jemals den Aufsichtsrat davon zu informieren. Der ÖGB hat trotzdem Verantwortung gezeigt, auch wenn das Image der Gewerkschaftsbewegung sehr gelitten hat und viele Mitglieder ausgetreten sind. Hinzu kam dann auch noch ein politisch motivierter Angriff von ÖVP und FPÖ, mit dem Ziel, den ÖGB nachhaltig zu schädigen. Dies ist ihnen aber nicht gelungen.
MM/PL: Du bist 2009 als „Nichtmetaller“ zum Vorsitzenden der neu entstandenen Produktionsgewerkschaft gewählt worden.
RW: Es war ein demokratischer Prozess, und bei der Wahl haben sich die Kolleg:innen für mich ausgesprochen. Zudem bin ich Bergmann und daher - wenn man so will - eigentlich ein „Ur-Metaller“. Historisch gesehen waren die Bergleute ja schon immer gut organisiert und zum Beispiel über die Bruderlade sozialversichert. Sie waren also Vorreiter für Leistungen, die die Gewerkschaftsbewegung übernommen hat.
MM/PL: Es erwarteten und erwarten dich große Herausforderungen wie „Industrie 4.0“.
RW: Schon immer hat es technische Neuerungen gegeben, von der Erfindung der Dampfmaschine bis hin zur Elektrifizierung und Automatisierung. Ebenso haben die Gewerkschafte:innen immer mit großem Einsatz für gute Rahmenbedingungen für die Arbeiter:innen gekämpft, egal welche neuen Herausforderungen es gab.
Klar ist, mit „Industrie 4.0“ werden in der Produktion weitere Arbeitsplätze wegfallen. Noch weniger Menschen werden weit mehr produzieren können. Auf uns kommt also ein großer Verteilungskampf zu, wir brauchen auch einen Anteil von den künftigen Produktivitätssteigerungen und Profiten, um den Sozialstaat abzusichern. Dafür werden wir kämpfen müssen, denn freiwillig werden die Unternehmer nicht bereit sein, ein Stück vom Kuchen herzugeben.
Die Herausforderungen betreffen aber auch das Thema Bildung und Arbeitszeit. Jeder industrielle Fortschritt brachte neue berufliche Qualifikationsanforderungen für die Kolleg:innen und ging etwas verzögert mit einer Verkürzung der Arbeitszeit einher. Auch damit werden wir uns intensiv befassen müssen. Darum finde ich den Begriff Arbeit 4.0 eigentlich passender.
MM/PL: Sind einige Kollektivverträge zu gut und kommt es daher zur Kollektivvertragsflucht?
RW: Nein, es ist einfach gesagt „die Gier“. Unternehmer-:innen fliehen aus Kollektivverträgen, obwohl sie Rekordergebnisse einfahren. Bis in die 1990er-Jahre haben die Arbeitgeber die Menschen mitgenommen und mehr geteilt. Jetzt wird die Wirtschaftswelt immer anonymer - die Manager kennen die Belegschaft nicht, die Eigentümer:innen sind weltweit verstreute Aktionär:innen. Der Fokus liegt auf den Dividenden und Ausschüttungen. Die müssen steigen und die Löhne sollen sinken.
MM/PL: Wie wirkt sich das auf die Kollektivvertragsverhandlungen aus?
RW: In Österreich sind wir in der glücklichen Lage, dass die Arbeitgeber mit uns reden müssen - in anderen Ländern müssen die ArbeitnehmerInnen schon darum kämpfen, um überhaupt Verhandlungen aufnehmen zu können.
Ich bin zwar Realist, trotzdem verstehe ich nicht ganz, dass die Unternehmen nicht von sich aus die Beschäftigten am Erfolg teilhaben lassen. Vor allem, weil es ja die Leistungen der Arbeiter:innen sind, die diesen Erfolg möglich machen. So müssen wir diesen Anteil immer wieder einfordern, freiwillig geben uns die Arbeitgeber keine Lohnerhöhungen. Und in Zeiten mit geringem Wachstum und negativen Wirtschaftsdaten stellen uns Kollektivvertragsverhandlungen ständig vor große Herausforderungen. Denn es genügt bei weitem nicht, nur die Inflationsrate abzudecken. Die Menschen brauchen einen Reallohnzuwachs, sie müssen ordentlich was im Geldbörsel spüren.
MM/PL: Nach vielen Jahren ohne Ergebnis hat die PRO- GE 2015 bei den Kollektivvertragsverhandlungen in der Metallindustrie ein neues Arbeitszeitmodell verhandelt. Warum?
RW: Die Frage war, wie kann man Auftragsschwankungen durch innovative Arbeitszeitmodelle abfedern, ohne dabei die Arbeiter:innen zu belasten und sie gleichzeitig vor Kündigungen in sehr konjunkturschwachen Zeiten schützen. Denn bis jetzt haben viele Arbeitgeber auf Auftragseinbrüche mit Kündigungen reagiert oder haben auf betrieblicher Ebene Arbeitszeitmodelle durchgesetzt, die mit bestehenden kollektivvertraglichen Regelungen nicht vereinbar waren. Das war ein Problem, dass sich seit Jahren aufgebaut hat. Wenn sich still und heimlich niemand mehr an den Kollektivvertrag hält, dann ist dieser nur noch ein fesches Büchlein. Wichtig ist auch, dass wir die Chance genützt haben und im neuen zusätzlichen Modell starke
Pfeiler für die Mitbestimmung der Beschäftigten eingeschlagen haben. So zum Beispiel geht eine Umsetzung nur über Betriebsvereinbarung und mit Zustimmung des Betriebsrates. Und über die erworbenen Zeitzuschläge können erstmals die Beschäftigten selbst bestimmen.

MM/PL: Warum braucht man heute noch Gewerkschaften?
RW: Arbeiterkammer und Gewerkschaften müsste man erfinden, wenn es sie noch nicht gäbe. Gewerkschaft und Betriebsrät:innen bieten Arbeitnehmer:innen persönliche Beratung und konkrete Hilfe bei Problemen im täglichen Arbeitsleben. Sie sind der gemeinsame Schutzschild und die solidarische Kampforganisation für unsere Rechte. Ohne sie wären wir auch heute als Tagelöhner den Unternehmern:innen ausgeliefert.