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Arbeit- und Sozialministerin Korinna Schumann im Klartext Stefan Joham

„Gerechtigkeit ist kein Luxus“

Arbeit- und Sozialministerin Korinna Schumann im Klartext

Von der Personalvertretung bis ins Ministeramt – der Weg von Korinna Schumann war immer geprägt vom Einsatz für andere. Im großen Interview spricht die neue Sozialministerin ehrlich und verständlich über ihre Ziele, wie faire Arbeit und starke Pflege, und erklärt warum Arbeitnehmer:innen nicht allein gelassen werden.  

Frau Ministerin, Sie waren viele Jahre Personalvertreterin, dann Bundesfrauenvorsitzende und Vizepräsidentin des ÖGB. Was hat Sie ursprünglich dazu bewegt, sich für die Rechte der Arbeitnehmer:innen starkzumachen? 

Solidarität, Zusammenhalt und der Wille, gemeinsam für soziale Gerechtigkeit einzutreten – wenn dich dieses Feuer einmal erwischt, lässt es dich nicht mehr los. In der Gewerkschaftsbewegung wird genau das gelebt. Mir war immer wichtig, dass niemand zurückgelassen wird und jemand auf der Seite der Arbeitnehmer:innen steht – auch und gerade für jene, die oft keine starke Stimme haben. 

Aus der Gewerkschaftsbewegung kommend – wie prägt das Ihre Herangehensweise an das Amt der Sozialministerin? 

Diese Herkunft ist für mich kein Etikett, sondern eine Haltung. In den allen den Jahren als Gewerkschafterin habe ich so vieles gesehen, unter welchen Bedingungen Menschen arbeiten, sie ausgebeutet werden, wenn Löhne oder Gehälter nicht reichen oder wenn ältere Arbeitnehmer:innen plötzlich als „zu teuer“ abgestempelt werden. Das prägt mein Verständnis von Politik: sozial, bodenständig und lösungsorientiert. Die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet sein, dass Arbeit fair, gesund und wertgeschätzt ist. 

Was hat Sie in den ersten Tagen als Sozialministerin am meisten überrascht – im Positiven wie im Herausfordernden? 

Was mich wieder beeindruckt hat, war das enorme Engagement und die fachliche Kompetenz der Mitarbeiter:innen im Haus – viele von ihnen kenne ich ja noch aus meiner Zeit als Personalvertreterin. Was ich schon jetzt sagen kann: Herausfordernd wird natürlich der Spagat zwischen den Erwartungen an rasche Lösungen und dem Wissen, dass das Budget so ist, wie es ist. Man darf nicht vergessen, dass wir ein sehr großes Budgetloch haben und trotzdem investieren müssen – zum Beispiel am Arbeitsmarkt, wo es gilt, arbeitssuchende Menschen durch Unterstützung und Förderung wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren.  

Welche wichtigsten Ziele haben Sie sich für Ihr erstes Jahr gesetzt? 

Ein zentrales Ziel ist, Menschen – vor allem ältere – wieder in Beschäftigung zu bringen bzw. in Beschäftigung zu halten. Programme wie die Aktion 55Plus zeigen, wie wichtig es ist, dass niemand aufgrund seines Alters aufs Abstellgleis kommt. Ein weiteres Anliegen ist mir die Pflege – hier müssen wir nicht nur die Arbeitsbedingungen verbessern, sondern auch pflegende Angehörige besser unterstützen. Und drittens: die Stärkung des Sozialstaates, gerade in einer Zeit, in der viele Menschen durch steigende Lebenshaltungskosten unter Druck stehen. 

Sie verantworten auch den wichtigen Bereich Pflege. Die Pflegekrise beschäftigt viele Menschen – sowohl Betroffene als auch Angehörige. Was planen Sie zur Stärkung der Pflegeberufe und zur Entlastung pflegender Angehöriger? 

Die Pflege ist eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre. Wir müssen Pflege als gesellschaftliche Aufgabe begreifen – und das heißt: bessere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen und bessere Ausbildungsmöglichkeiten. Gleichzeitig dürfen wir jene nicht vergessen, die zu Hause Angehörige pflegen. Deshalb arbeiten wir an einem Ausbau der Unterstützungsleistungen – etwa bei der mobilen Pflege oder bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. 

Die Bundesregierung hat Pflege als Schwerarbeit eingestuft. Was bedeutet das für die Beschäftigten? 

Das ist ein großer Schritt in Richtung Anerkennung. Pflege ist nicht nur körperlich fordernd, sondern auch emotional belastend. Die Anerkennung als Schwerarbeit bedeutet, dass Pflegekräfte künftig früher in Pension gehen können – ein Zeichen des Respekts und der Wertschätzung. 

Welche Maßnahmen sind geplant, um die Arbeitsbedingungen im Pflege- und Gesundheitsbereich zu verbessern? 

Wir wollen die Personalschlüssel anpassen, mehr Zeit für Pflege schaffen und die Bürokratie reduzieren. Dazu gehören auch gezielte Ausbildungsförderungen und ein erleichterter Einstieg in den Beruf – etwa über Stipendien oder berufsbegleitende Modelle. Wichtig ist auch der Ausbau psychosozialer Unterstützung für Pflegekräfte, um Burnout vorzubeugen. 

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Das Wichtigste auf einen Blick

Welche konkreten Maßnahmen planen Sie gegen lange Wartezeiten bei Ärzten oder Facharztterminen? 

Das ist ein Problem, das wir nicht wegdiskutieren können. Wir setzen hier auf drei Säulen: Erstens den Ausbau der Kassenstellen, zweitens eine bessere Steuerung über Primärversorgungseinheiten und drittens eine gezielte Entlastung durch digitale Angebote – wie telemedizinische Erstabklärungen. Klar ist: Gesundheitsversorgung darf nicht vom Geldbörsel oder vom Wohnort abhängen. 

Immer wieder werden Stimmen laut, die eine Anhebung des Pensionsantrittsalters fordern. Wie lautet Ihre Antwort auf solche und ähnliche Forderungen? 

Ein höheres Pensionsalter bringt nichts, wenn die Menschen gar nicht so lange arbeiten können – sei es aus gesundheitlichen oder strukturellen Gründen. Viel wichtiger ist, dass wir das faktische Pensionsalter an das gesetzliche heranführen. Dazu braucht es Chancen, Sicherheit und passende Modelle wie die Teilpension. 

Menschen sollen also länger in Beschäftigung bleiben. Wie soll das funktionieren, wenn viele das gar nicht schaffen – oder wollen? 

Wir müssen ehrlich sein: Die Arbeitssituation ist in vielen Branchen schlicht zu belastend. Daher setzen wir auf flexible Übergänge – etwa mit Teilpension und verbesserter Altersteilzeit. Es geht nicht darum, Menschen zu zwingen, sondern ihnen die Möglichkeit zu geben, freiwillig länger aktiv zu bleiben – wenn sie wollen und können. Und ich weiß, dass sie das wollen. Das bedeutet auch: mehr Gesundheitsförderung im Job und bessere Arbeitsbedingungen. 

In Kindergärten und Krippen herrscht Personalmangel, die Bedingungen sind belastend. Gibt es konkrete Pläne zur Aufwertung dieses Berufsfelds? 

Ja, das ist ein drängendes Thema. Elementarpädagogik ist keine Kinderbetreuung, sondern Bildungsarbeit. Das muss sich auch in der Bezahlung und Anerkennung widerspiegeln. Wir brauchen bundesweite Standards, bessere Ausbildungsbedingungen und mehr Unterstützung im Alltag – etwa durch multiprofessionelle Teams. 

Was tun Sie gegen Kinder- und Altersarmut in Österreich? 

Armut im Alter und bei Kindern darf nicht sein – Punkt. Wir setzen gezielt auf Maßnahmen wie die Erhöhung von Sozialleistungen für armutsgefährdete Gruppen, den Ausbau der Schulstartpakete und leistbares Wohnen. Gleichzeitig brauchen wir eine armutsfeste Pension – besonders für Frauen, die oft in Teilzeit gearbeitet haben. 

Trotz hoher Arbeitslosigkeit fordern Arbeitgeber Erleichterungen beim Import von Arbeitskräften aus Drittstaaten. Wie soll das finanzierbar sein? 

Wir müssen beides im Blick behalten: Einerseits die Integration der Menschen, die schon hier sind und arbeitslos gemeldet sind, und andererseits den gezielten Zuzug in Mangelberufen. Wichtig ist, dass Zuwanderung fair, qualifiziert und menschenwürdig gestaltet wird – und, dass sie kein Lohndumping bedeutet. Dafür braucht es klare Regeln und Kontrolle. 

Essenszusteller:innen wie bei Lieferando arbeiten oft nur noch als freie Dienstnehmer:innen. Orten Sie hier keine Marktverzerrung? Was plant die Regierung? 

Doch, das ist ein echtes Problem. Solche Geschäftsmodelle untergraben faire Arbeitsverhältnisse und vor allem Kollektivverträge. Die Ironie dabei ist, dass jene, die jetzt den Job verloren haben, künftig wieder mit einem freien Dienstvertrag beim vorigen Arbeitgeber beginnen. Die Regierung wird hier genau hinschauen. Unser Ziel ist, Fairness in der Arbeitswelt sicherzustellen, Missbrauch zu verhindern und Beschäftigte zu schützen – etwa durch Mindeststandards bei Entlohnung, Versicherung und Arbeitszeit. Das soll im ersten Schritt durch die Möglichkeit der Erfassung von freien Dienstnehmer:innen von Kollektivverträgen erfolgen – eine lang überfällige Gesetzesnovelle, die schon bald auf den Weg gebracht wird. 

Welche arbeitsrechtlichen Verbesserungen für Beschäftigte werden als erstes angegangen?

Wir werden uns mit dem Thema Arbeitszeitflexibilität im Sinne der Arbeitnehmer:innen beschäftigen – mit Fokus auf Gesundheit, Freizeit und Familienfreundlichkeit. 

Wie gelingt es Ihnen, bei dem vollen Terminkalender auch mal abzuschalten? 

Ehrlich gesagt: Es ist nicht immer einfach. Aber ich versuche, mir bewusst kleine Auszeiten zu nehmen – sei es ein Spaziergang, ein gutes Buch oder Zeit mit meiner Familie. Die Verbindung zu meinen Wurzeln und der Austausch mit den Menschen geben mir Kraft. 

Was möchten Sie den Arbeitnehmer:innen in Österreich mitgeben – gerade in Zeiten von Unsicherheit und Veränderung? 

Ich möchte sagen: Ihr seid nicht allein. Die Herausforderungen sind groß, aber mit Zusammenhalt, Mut und einem starken Sozialstaat schaffen wir das.