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Ohne Sozialpartnerschaft gäbe es weder die Sozialversicherung noch unser Arbeits- und Sozialsystem. hao – stock.adobe.com

Wer die Sozialpartnerschaft schwächt, schwächt uns alle

Faire Löhne und Gehälter, Sicherheit und Stabilität sind kein Zufall, sondern Ergebnis einer starken Sozialpartnerschaft

Kommentar von ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian: 

Selbsternannte „Superdemokraten“ kritisieren wieder einmal „Zwangsmitgliedschaft“ bei den Kammern. Was hat das mit Gewerkschaften zu tun? Ohne Pflichtmitgliedschaft der Unternehmen in der Wirtschaftskammer gäbe es keine Kollektivverträge.

Abgesehen davon schwingt da und dort auch Kritik an der Sozialpartnerschaft mit, sie wäre ein Auslaufmodell, veraltet – komplett verfehlt. Die Sozialpartnerschaft ist gerade in Zeiten komplexer Herausforderungen wie Teuerung oder Digitalisierung dringend notwendig.  Weil es in Krisenzeiten meist die Sozialpartnerschaft ist, die mit ihren Lösungen für Stabilität sorgt – so hat das Corona-Kurzarbeitsmodell 300.000 Arbeitsplätze gesichert.   

Ohne Sozialpartnerschaft gäbe es weder die Sozialversicherung noch unser Arbeits- und Sozialsystem. Der Sozialpartnerschaft verdanken wir, dass Beschäftigte im Betrieb mitbestimmen können und nicht der Willkür von Umsätzen unterlegen sind.  

Aber was hat die Sozialpartnerschaft mit Löhnen und Gehältern zu tun? In Österreich haben wir zumeist Branchen-Kollektivverträge. Ein Branchenkollektivvertrag gilt für alle Betriebe einer Branche und ist damit wesentlich weitreichender als jede betriebliche Regelung. Würde jeder Betrieb seinen Beschäftigten zahlen, was er will, würde der Wettbewerb auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen – wer sie schlecht bezahlt, ist vorne… 

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian CHRISTINA SCHOENSCHOEN FOTOGRAFIERT
Ohne Sozialpartnerschaft gäbe es weder die Sozialversicherung noch unser Arbeits- und Sozialsystem. Der Sozialpartnerschaft verdanken wir, dass Beschäftigte im Betrieb mitbestimmen können und nicht der Willkür von Umsätzen unterlegen sind.
Wolfgang Katzian, ÖGB-Präsident

Alle Betriebe eines Fachverbands der Wirtschaftskammer, der den Kollektivvertrag mit der Gewerkschaft abschließt, müssen die Löhne und Gehälter wie vereinbart zahlen. Überzahlungen sind natürlich möglich. 

Außerdem regeln Kollektivverträge wesentliche Themen wie Arbeitszeit. Auch das Urlaubs- und Weihnachtsgeld ist im Kollektivvertrag verankert. 

Pflichtmitgliedschaft in der Wirtschaftskammer heißt also für Unternehmen, dass sie nicht sagen können: das zahle ich nicht. Sie sind dazu verpflichtet, Kollektivverträge nach Punkt und Beistrich einzuhalten. Verstöße werden geahndet. 

Damit wird schon klar, in welche Richtung Kritiker:innen der Pflichtmitgliedschaft die Debatte treiben wollen: Hier geht es um mehr als um ein abstraktes Rechtsgespräch. 

Wer die Pflichtmitgliedschaft abschaffen möchte, startet einen Frontalangriff auf Millionen von Arbeitnehmer:innen. Die Abschaffung brächte nicht mehr Freiheit, sondern einen Rückfall in ein System, in dem Löhne und Arbeitsbedingungen allein von der Gnade des Arbeitgebers abhängen. Das haben wir in Österreich und in vielen anderen europäischen Ländern längst überwunden. 

Wir sind KV-Weltmeister: 98 Prozent aller Arbeitnehmer:innen in Österreich haben einen Kollektivvertrag, der Mindesteinkommen und Arbeitsbedingungen regelt. Die Gewerkschaften verhandeln jährlich rund 450 Kollektivverträge. 

Das Ergebnis ist umso besser, je stärker die Gewerkschaft in der jeweiligen Branche ist. Mehr Mitglieder = mehr Mobilisierung. 

Diese Verhandlungsbereitschaft und Kompromissfähigkeit nennt man Sozialpartnerschaft. Die beteiligten Organisationen bringen viel Expertise aus den Betrieben und der Wirtschaftswissenschaft mit. Gewerkschaften geht es darum, dass Arbeitnehmer:innen ihren Anteil bekommen und darum, die Kaufkraft zu erhalten. 

Mit viel Verantwortung wird verhandelt, was zumutbar ist (und was nicht). Das soll so bleiben - im Sinne der Wirtschaft, im Sinne der Arbeitnehmer:innen und damit im Sinne einer guten Zukunft.