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Solidarität

Wer muss das bezahlen?

Das Leben wird immer teurer. Wer kann das noch bezahlen - und wer muss die Rechnung am Ende übernehmen?

ArbeitnehmerInnen, PensionistInnen, Arbeitslose und ihre Familien ächzen bei jedem Einkauf mehr, während die Krisengewinner mit dem Zählen ihrer Profite gar nicht mehr nachkommen. Doch das müsste nicht so sein, sagen die Wirtschaftsexpertinnen Lea Steininger und Miriam Baghdady. Denn der Sozialstaat ist krisenfest – man muss ihn nur seine Aufgabe erfüllen lassen. „Solidarität“ hat die beiden Ökonominnen getroffen und sie um ihre Einschätzung gebeten.

Im Zuge der Coronakrise und der Invasion Russlands in die Ukraine ließen Energiekonzerne die Preise in die Höhe schnellen. Diese Preissteigerung schlagen Unternehmen auf ihre KundInnen ab. Anstatt bei der eigenen Gewinnmarge zu kürzen, schieben sie die Kosten auf die Geldbörsel der Menschen, die auf ihre Produkte angewiesen sind. Unternehmen in fast allen Bereichen nutzen die Gunst der Stunde und treiben die Preise an. Und die Politik legt bisher zum aller-größten Teil die Hände in den Schoß, anstatt die Menschen vor der Preisexplosion zu schützen.

Der Sozialstaat muss Grundbedürfnisse sichern

„Die Teuerung ist kein Naturgesetz“, kritisiert Lea Steininger. Die ehemalige Zentralbankerin forscht derzeit an der Wirtschaftsuniversität Wien zu den Themen Geldpolitik und Geldtheorie. Österreich spürt die Teuerung gerade so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr, räumt ÖGB-Wirtschaftsexpertin Miriam Baghdady ein. Und immer weniger Menschen können es sich richten. Wer kein Vermögen hat, kommt mit kleinen und mittleren Einkommen kaum noch aus. Die Teuerung trifft zwar einkommensschwache Haushalte am empfindlichsten, aber die Preissteigerungen drücken auch mittleren Einkommen schwer auf die Tasche.

Preise runter_Teuerung_Lebensmittel
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Bereits seit Monaten werden die Wocheneinkäufe empfindlich teurer: Die Preise bei Lebensmitteln lagen im April im Schnitt um 8,4 Prozent höher als im Vorjahr. „Auf bestimmte Zeit die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu streichen, wäre eine mögliche Hilfsmaßnahme, die unkompliziert bei allen Menschen ankommt. Im Jahr würde das einem durchschnittlichen Haushalt knapp 500 Euro Entlastung bringen“, erklärt Baghdady.

 

Ein Durchschnittshaushalt blecht auch an der Zapfsäule etwa 500 Euro im Jahr mehr als noch vor der Teuerung. Für PendlerInnen ohne Öffi-Anbindung kommen noch einmal 500 Euro dazu. Für sie, aber auch für PensionistInnen, die für den Arztbesuch auf ihr Auto angewiesen sind, wäre eine Senkung der Mineralölsteuer auf Zeit eine dringend nötige Entlastungs-Maßnahme, führt Baghdady aus.

Ausstieg aus Öl und Gas ist eine soziale Maßnahme

„Klar ist vor allem, dass ein massiver Ausbau der öffentlichen Verkehrs-mittel längst überfällig ist“, betont die ÖGB-Expertin. Das wäre nicht nur mit Blick auf die Zukunft unserer Erde dringend notwendig, sondern auch als soziale Maßnahme zur Absicherung der Bevölkerung vor schwankenden Ölpreisen. „Die Erdölpreise könnten uns relativ egal sein, wenn wir nicht mehr von fossilen Energieträgern abhängig wären“, so Steininger. Hier wurden jahrzehntelang notwendige Investitionen nicht getätigt. Österreich und Europa hätten sich zurückgelehnt und darauf gehofft, dass Private einspringen, setzt Steininger nach. Jetzt rasch in erneuerbare Energien wie Wind- oder Wasserkraft sowie Solar zu investieren, sei langfristig viel günstiger und nicht nur eine Symptombekämpfungsmaßnahme.

Spritpreise im Vergleich
Die Spritpreise stiegen innerhalb einen Jahres enorm. ÖGB

 

Lösungen gäbe es viele, wenn die Politik nur wollte

Wie sehr uns gewisse Teuerungen treffen, hänge vor allem von der Versorgung und der Infrastruktur durch Bund, Länder und Gemeinden ab, so die Wirtschaftswissenschafterin. Mobilität, Gesundheitsversorgung, Bildung, Wohnen – das alles könne die öffentliche Hand billiger oder sogar gratis anbieten. „Wenn die Grundbedürfnisse gedeckt sind, treffen Teuerungen in anderen Segmenten die Menschen nicht so empfindlich“, erklärt Steininger. Vor allem bei der Energie haben die Preissteigerungen massiv zugeschlagen. Die Preise bei bestehenden Verträgen haben sich verdoppelt, bei Neuverträgen fast versiebenfacht.

„Lösungen gäbe es viele, wenn die Politik nur wollte“, ist sich Baghdady sicher. So könnte die Bundesregierung etwa eine Sondersteuer auf die Gewinne der Unternehmen einführen, die von den gestiegenen Preisen profitieren, ohne dass ihre Produktionskosten gestiegen sind. Eine weitere Möglichkeit wäre schlicht, einen Preisdeckel einzuziehen. Länder wie Spanien, Italien, Frankreich oder Rumänien zeigen, dass staatliche Preiskontrollen möglich sind. „Österreich könnte das auch machen“, ist sich Steininger sicher.

Wirtschaftsexpertin Miriam Baghdady im Gespräch. Foto: Elisabeth Mandl
„Lösungen gäbe es viele, wenn die Politik nur wollte,“ sagt ÖGB-Wirtschaftsexpertin Miriam Baghdady. Elisabeth Mandl

Die „Miet-Preis-Spirale“ gibt es wirklich

Geht es nach Ökonomin Steininger, ist die Diskussion um die Inflation aber vor allem eine verschobene. Denn bereits seit Jahr-zehnten gibt es beispielsweise stark ansteigende Wohnkosten, die sich aber in der Inflationsstatistik – dem Maß für Preisstabilität – nicht entsprechend niederschlagen. ÖGB-Wirtschaftsexpertin Baghdady sieht das größte Problem beim Thema Mieten in der Regelung zu den Richtwerten. Denn ab einer Inflation von fünf Prozent kommt es zu einer „automatischen“ Mieterhöhung – was wiederum die Inflation für alle anheizt. Im Gegensatz zum Märchen der sogenannten „Lohn-Preis-Spirale“ gibt es die „Miet-Preis-Spirale“ wirklich. Als ersten Schritt müssen die Mieterhöhungen des Jahres 2022 rückwirkend zurückgenommen werden. Weiters muss es gesetzliche Obergrenzen für Mieten in Häusern, die älter als 30 Jahre sind, geben.

„Uns reicht’s!” sagte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian am Wiener Karlsplatz vor 20.000 Menschen. Österreichweit gingen mehr als 32.600 DemonstrantInnen auf die Straße, um den explodierenden Kosten und der Untätigkeit der Politik den Kampf anzusagen.

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Beihilfen sind immer weniger wert

„Wie schlimm Teuerungen für den oder die Einzelnen sind, hängt auch davon ab, was bei den Leuten auf der Einnahmenseite hereinkommt. Der Staat kann über sozialstaatliche Maßnahmen entlasten“, erklärt Steiniger. Als ersten wichtigen Schritt nennt ÖGB-Expertin Miriam Baghdady die Inflationsanpassung von Sozialleistungen. So wurden zum Beispiel Pflegegeld, Studien- oder die Familienbeihilfe seit der Jahrtausendwende nicht mehr ausreichend an die Teuerung angepasst. Auch das Arbeitslosengeld und das Schulstartgeld haben dringenden Aufholbedarf. Dass Richtwertmieten automatisch ab einer Inflation von fünf Prozent an die Teuerung angepasst werden, wichtige Beihilfen aber nicht, können die Wirtschaftsexpertinnen nicht verstehen.

Lea Steininger
„Der Staat kann über sozialstaatliche Maßnahmen entlasten", sagt Wirtschaftswissenschafterin Lea Steininger. Nurith Wagner-Strauss

Der Sozialstaat ist krisenfest

„Unser soziales Netz hat alle Voraussetzungen, die Menschen jetzt und langfristig zu schützen“, versichert Miriam Baghdady. 600.000 Erwachsene in Österreich werden derzeit durch Sozialleistungen vor einem Abrutschen unter die Armutsschwelle bewahrt, zeigen Momentum-Berechnungen. Auch Steininger ist sich sicher: Der Sozialstaat habe die besten Voraussetzungen, um die BürgerInnen gut durch die Krisen der Zeit zu bringen – man müsse ihn nur entsprechend aufstocken.

Steueraufkommen: Wer zahlt in Österreich Steuern?
Bei der Frage, wer die Kosten der Krise stemmen muss, gibt es eine einfache Antwort: Die Reichen. Denn Vermögen leisten nicht einmal ein Zehntel des gesamten Steueraufkommens, Arbeitseinkommen hingegen mehr als ein Drittel. Das ist eine Schieflage, die schleunigst begradigt gehört. ÖGB

Das notwendige Geld ist da, ist sich Lea Steininger sicher. Bei der Bankenrettung habe man gesehen, dass es nie am Geld scheitere, sondern am politischen Willen. Miriam Baghdady setzt hinzu: „Bei der Frage nach der Bezahlung gibt es eine einfache Antwort. Vermögen leisten nicht einmal ein Zehntel des gesamten Steueraufkommens, Arbeitseinkommen hingegen mehr als ein Drittel. Das ist eine Schieflage, die schleunigst begradigt gehört.“

 

 

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In der Printausgabe der aktuellen Solidarität (996, Juni 2022) ist uns ein Fehler unterlaufen. Die Preissteigerung bei Butter beträgt 25,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und nicht wie fälschlich in der Grafik angegeben 8,5 Prozent. Wir bitten, das zu entschuldigen.

 

 

 

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