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ÖGB-Bildarchiv

Gewerkschaftsgeschichte und der Kuss nach Ladenschluss

„Der schönste Kuss ist nach Ladenschluss“, skandierten im Jahr 1989 die TeilnehmerInnen einer Demonstration gegen die Verlängerung der Öffnungszeiten in Wien. Wann diese Küsse gegeben werden können - dahinter steckt allerdings eine komplizierte Geschichte.  

Das Thema ist seit 1848 heiß umkämpft. Es gab zahlreiche Demonstrationen, blutige Nasen und einmal sogar die Besetzung eines Ministerbüros. Es wurden Gesetze verabschiedet und vom Verfassungsgerichtshof wieder aufgehoben. Es war und ist ein stetiges Tauziehen zwischen UnternehmerInnenwünschen und gewerkschaftlichen Forderungen, wie etwa die jährlich wiederkehrenden Diskussionen über Sonntagsöffnungszeiten.

Das Ladenschlussgesetz 1958 und der Verfassungsgerichtshof

Nach Kriegsende 1945 bestand ein unübersichtlichen Gesetzesgestrüpp: NS-Gesetzgebungen über Ladenschluss und Arbeitszeit, Gewerbeordnung, für einzelne Bundesländer gültige Ladenschlussverordnungen und das Gesetz über Sonn- und Feiertagsruhe.  

Der erste Anstoß für die Verabschiedung eines Ladenschlussgesetzes kam von einer recht ungewöhnlichen Seite, nämlich vom Verfassungsgerichtshof im Jahr 1951. Er hob eine Verordnung aus der NS-Zeit auf. Nun begann die Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) den Kampf um ein für KonsumentInnen und Beschäftigte gleichermaßen gerechtes Ladenschlussgesetz inklusive Schließzeiten an Samstagnachmittagen und Sonntagen.

Demonstration der Sandwichmänner im Februar 1958
Demonstration der Sandwichmänner im Februar 1958

Das Ladenschlussgesetz 1958 und die Gewerkschaft

GewerkschafterInnen beider Parteien (ÖVP und SPÖ) traten im Parlament für die Verabschiedung des Ladenschlussgesetzes ein. Sie brachten Initiativanträge ein, die aber schubladisiert wurden, denn UnternehmerInnen bestanden darauf, dass sie sich bei den Sperrzeiten nicht dreinreden lassen wollen. Es gab keine Verhandlungen. Also griff die GPA in ihre wohl gefüllte Mobilisierungskiste. Handelsangestellte marschierten mit umgehängten Plakaten durch Wiener Geschäftsstraßen, es wurden Resolutionen verabschiedet, Protestnoten an Nationalratsabgeordnete geschickt, Flugzettel verteilt und Plakate aufgeklebt. Die GPA schaltete Zeitungsinserate und zeigte Werbefilme in Kinos. Die Handelsangestellten wollten nicht länger die Stiefkinder des sozialen Fortschritts sein.  

Die Schönheitsfehler im Gesetz

Der Druck machte sich bezahlt und im Jahr 1958 verabschiedete der Nationalrat das Ladenschlussgesetz, das die 18-Uhr-Sperre und prinzipiell den freien Samstagnachmittag für Handelsangestellte brachte. Ein voller gewerkschaftlicher Erfolg, wäre da nicht der kleine Schönheitsfehler gewesen, dass Landeshauptleute innerhalb des gesetzlichen Rahmens eigene Verordnungen erlassen können.  

Dies führte zu unterschiedlichen Öffnungszeiten in den einzelnen Bundesländern. Auf die Verordnungen antworteten die GewerkschafterInnen mit Demonstrationen und Sprechchören. Wieder machte sich der Druck bezahlt: im Jahr 1962 waren zumindest in fünf Bundesländern die sogenannten silbernen und goldenen Sonntage (dritter und vierter Adventsonntag) abgeschafft – die vier Einkaufssamstage vor Weihnachten blieben bestehen.

Flugblattverteilung GPA 1971
Flugblattverteilung GPA 1971

Arbeitszeitverkürzung und der Öffnungszeiten-Kollektivvertrag

Nun setzte sich die Gewerkschaft neue Ziele: die Fünftagewoche und Arbeitszeitverkürzung. Die Fünftagewoche kam mit dem Kollektivvertrag im Jahr 1968. Die Arbeitszeitverkürzung zuerst mit Generalkollektivvertrag im Jahr 1959 auf 45 Wochenstunden, und 1969 mit dem Arbeitszeitgesetz und der schrittweisen Einführung der 40-Stunden-Woche .1989 wurde schließlich auf Kollektivvertragsbasis die 38,5-Stunden-Woche geregelt.

Der schönste Kuss ist nach Ladenschluss  

Kaum schien alles geregelt, kippte der Verfassungsgerichtshof am 21. Juni 1989 das Ladenschlussgesetz abermals. Die Abendsperre um 18.00 Uhr wurde mit 30. November 1989 aufgehoben. Es drohte eine gesetzesfreie Zeit. Die GPA handelte sofort: Unterschriftaktionen und Demonstrationen, bei denen TeilnehmerInnen Plakate hochhielten, auf denen zu lesen stand: „Der schönste Kuss ist nach Ladenschluss“ und „Gegen eine Versklavung der Handelsangestellten“.

Es wurde dann schnell ein Gesetz verabschiedet, das aber wieder aufgehoben wurde und nun war die Frist der 30. Juni 1991. Es drohte wieder ein gesetzloser Zustand.

Johanna Dohnal bei der Besetzung des Ministerbüros 1991
Johanna Dohnal bei der Besetzung des Ministerbüros 1991

Die Besetzung des Ministerbüros

Der Wirtschaftsbund nahm die Position ein, das Gesetz einfach auslaufen zu lassen, das konnte die GPA natürlich nicht akzeptieren. Die Verhandlungen stockten. Also griff die GPA einerseits mit der AKTION HANDELN zu bewährten Kampfmitteln, aber auch zu einer recht außergewöhnlichen Maßnahme: 100 BetriebsrätInnen besetzen am 12. Juni 1991 das Büro des damaligen Wirtschaftsministers Wolfgang Schüssel. Er war nicht da, aber während der nächsten 24 Stunden kamen ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch und die GPA-Vorsitzende Lore Hostasch auf Solidaritätsbesuch. Die ÖGB-Frauenvorsitzende Irmgard Schmidleithner blieb die ganze Nacht und wurde am nächsten Tag von der Frauenministerin Johanna Dohnal unterstützt. Die Aktion war erfolgreich, es kam zu Verhandlungen, einem Gesetz und auch einem verbesserten Öffnungszeiten-Kollektivvertrag.

Schwarz-blaue Regierung und die Öffnungszeiten

Die nächste große Änderung geschah während der schwarz-blauen Regierung – unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Ohne Einbeziehung der Sozialpartner beschloss sie im Jahr 2003 das Öffnungszeitengesetz, das die Geschäftsöffnungszeiten unter der Woche wesentlich erweiterte. Und unter der Regierung Gusenbauer wurde das Öffnungszeitengesetz im Jahr 2007 geändert: von nun an dürfen Geschäfte statt bisher 66 Stunden pro Woche 72 Stunden offenhalten und es das Gesetz brachte auch eine weitere Liberalisierung der Öffnungszeiten in der Früh und am Abend. Darauf antwortete die GPA wieder mit Verbesserungen im Öffnungszeiten-Kollektivvertrag.  

Seither gab es immer wieder Vorstöße, die Öffnungszeiten weiter zu liberalisieren oder die Sonntagsöffnungszeiten wie Richard Lugner - durchzusetzen. Letztens schlug WKÖ-Präsident Harald Mahrer zwei offene Sonntage vor Weihnachten vor, damit die Geschäfte die Verluste durch den coronabedingten Lockdown aufholen können. Er holte sich eine herbe Abfuhr ein.  

Denn schließlich will niemand sehr lange auf den Ladenschluss warten, um einen Kuss zu bekommen.