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European Union, 2018

Europabüro und EU

„Epochaler Schritt für Europa"

Europäische Sozialcharta: Die Wegbereiterin für soziale Rechte in Europa wird 50

„Die Europäische Sozialcharta war die Eisbrecherin für soziale Rechte in Europa und ist die zweite Säule neben der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten“, sagt der Büroleiter des ÖGB-Europabüros, Oliver Röpke. Die Charta war eine der ersten verbindlichen Regelungen im Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte und die Konvention schützt seit November 1950 die bürgerlichen und politischen Grundrechte und -freiheiten der EuropäerInnen. 

Beide wurden während des Kalten Krieges vom Europarat unterzeichnet. Der internationalen Organisation, gegründet am 5. Mai 1949 mit zehn Staaten, gehören heute 47 Staaten mit 820 Millionen BürgerInnen an. Somit auch viele Länder, die nicht in der EU sind, wie die Türkei, die Republik Moldau, die Ukraine, Aserbaidschan und Montenegro.

Epochaler Schritt mit Wermutstropfen

Die Unterzeichnung der Charta von 13 Europarat-Mitgliedsstaaten am 18. Oktober 1961 in Turin, bezeichnet Röpke als einen epochalen Schritt für europäische ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften. Allerdings mit einigen Wermutstropfen: Die Charta muss, anders als andere völkerrechtliche Verträge, nicht in ihrer Gesamtheit ratifiziert werden, auch Teilratifikationen sind möglich. Die Entscheidungen des Regierungsausschusses des Europarats können außerdem nur als Empfehlun-gen an die jeweiligen Staaten ausgesprochen werden, und nur Kollektive – wie Gewerkschaften – können den Ausschuss um Entscheidungen in Arbeitsrechtsfragen anrufen.

Der ehemalige Sozialminister und jetzige Leitende Sekretär für Sozialpolitik in der PRO-GE, Alois Stöger, bricht trotzdem die Lanze für die Charta. „Sie ist die Wegbereiterin für die Europäische Säule sozialer Rechte. Mit der Unterzeichnung der Sozialcharta im Nachkriegseuropa begann ein wichtiger Prozess. Die Staaten verpflichteten sich, soziale Pflichten für ihre BürgerInnen zu übernehmen. Das war in einigen Staaten neu. Das multilaterale Übereinkommen hatte damals einen großen politischen Wert.“ Einen Wert, den Österreich aber erst erkennen musste.

Zögerndes Österreich

Nachdem fünf Staaten die Charta ratifiziert hatten, trat sie am 26. Februar 1965 in Kraft. Österreich hatte die Sozialcharta zwar im Jahr 1963 unterschrieben, aber nicht ratifiziert. Erst am 10. Juli 1969 wurde im Nationalrat darüber abgestimmt – nachdem der Europarat „mit Bedauern“ festgestellt hatte, dass „Österreich auf sozialem Gebiet nur sehr zögernd oder gar nicht ratifiziert.“ 

Es gab ein wortreiches Ping-Pong-Spiel zwischen den Abgeordneten der ÖVP und der SPÖ. Die ÖVP beanstandete, dass laut der Charta das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen und gerechtes Arbeitsentgelt nur für unselbstständige ArbeitnehmerInnen galt, nicht aber für LandwirtInnen oder für Selbstständige im Gewerbe. Die SPÖ kritisierte hingegen, dass nur ein Teil der Charta und nicht die gesamte ratifiziert werden sollte – wichtige Punkte wie die Arbeitszeitregelung, die Kündigungsfristen und das Streikrecht blieben ausgenommen.

Schließlich standen aber doch alle Nationalratsabgeordneten auf und gaben so der Teilratifizierung der Europäischen Sozialcharta ihre Zustimmung. Sie trat am 28. November 1969 in Kraft – also vor 50 Jahren.