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Florian Waitzbauer

Thomas Meyer ist Geschäftsführer im Büro für Interaktion. Die 32-Stunden-Woche hat er mit der ersten Mitarbeiterin eingeführt.

Arbeitszeit

„Arbeit ist nicht alles im Leben“

Firmenchef Thomas Meyer setzt auf 32-Stunden-Woche bei vollem Lohn - und es funktioniert

Bei den aktuellen Kollektivvertragsverhandlungen im Sozialbereich haben die ArbeitnehmerInnen eine einzige Forderung: Eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Was dort gefordert wird und für viele andere noch in weiter Ferne scheint, ist im Büro für Interaktion seit Beginn an Realität. 32 Stunden in der Woche wird dort gearbeitet. Welchen Mehrwert dieses Konzept hat und wie es funktioniert, erklärt Geschäftsführer Thomas Meyer im Interview mit oegb.at.

oegb.at: Seit wann arbeiten die MitarbeiterInnen in Ihrer Agentur „nur“ 32 Stunden pro Woche bei vollem Gehalt. Wie geht sich das aus? Fehlt da nicht am Ende die Zeit?

Thomas Meyer: Ich habe das Unternehmen im Sommer 2018 gegründet und das 32-Stunden-Modell ab der ersten Mitarbeiterin eingeführt. Heute sind wir zu acht und es gilt für alle. Wie es sich ausgeht? Ich würde sagen, es ist alles eine Frage des richtigen Mindsets und der richtigen Organisation. Als Firma haben wir uns als Social Media Agentur mit hohem Qualitätsanspruch positioniert. Das heißt, für mich war eines von Anfang an klar:

Wir müssen viel Energie in die optimale Ausgestaltung der verfügbaren Zeit investieren - damit die Qualität unserer Arbeit nicht leidet und wir aber auch nicht in Stress geraten - und das haben wir geschafft.

Viele Unternehmer sagen, sie könnten sich das nicht leisten. Warum Sie schon?

Das meinte ich mit Mindset. Ich habe in einigen Interviews bereits betont, dass ich diese Firma nicht zur persönlichen Bereicherung gegründet habe. Ja, ich möchte davon leben – gerne auch gut. Aber wichtiger ist mir, dafür zu kämpfen, dass ich fortschrittliche, angenehme und erfüllende Arbeitsplätze schaffe. Wachstum ist wichtig. Definitiv. Aber wichtiger ist zu zeigen, dass Arbeit nicht alles im Leben ist. Sondern das Gegenteil der Fall ist: Es ist die Zeit, die wir mit unseren Freunden, PartnerInnen, unserer Familie und nicht zu vergessen, mit uns selbst verbringen, die wirklich wertvoll ist.

Unser Arbeitsalltag sieht aus wie in jeder anderen Firma. Mit Kaffeepausen, mit Klatsch und Tratsch

Was sagen Kritiker?

Kritiker entgegnen oft, dass sie Spaß an ihrer Arbeit haben und deswegen 50, 60 Stunden im Büro verbringen. Ich sage: Gut für euch, aber das ist einfach nicht die Realität. Glück ja. Realität nein. Arbeit ist und bleibt für ein Gros ein Mittel zum Zweck. Und genau da setze ich an: Machen wir das Mittel so angenehm und schön wie möglich, um dem wahren Zweck des Lebens nachzugehen.

Wichtig ist mir, dafür zu kämpfen, dass ich fortschrittliche, angenehme und erfüllende Arbeitsplätze schaffe. 

Und rentiert sich das auch?

Um auf ihre Frage des “sich leisten Könnens” zurückzukommen: Ja, es ist schwerer. Definitiv. Wir haben de facto weniger Zeit, die wir als Dienstleister verrechnen können. Das macht die Kalkulation schwieriger. Aber nicht unmöglich. Unsere Stundensätze sind nicht höher als die unserer Mitbewerber – wir haben einfach viel Energie in unsere Zeitoptimierung investiert. Spielräume werden kleiner, aber das nehme ich als unternehmerisches Risiko in Kauf und sehe es in meiner Verantwortung, diese Kalkulation zu stemmen.

Wie sind Sie überhaupt auf die Idee einer Arbeitszeitverkürzung gekommen?

Meine Intention war, zu zeigen, dass es auch anders geht und wir in einer Zeit angekommen sind, in der man sich ruhigen Blutes von klassischen Ökonomie-Theorien verabschieden kann. Gerade die Digitalisierung hat uns Instrumente in die Hand gegeben, die es ermöglichen, Arbeitsprozesse teils zu automatisieren und so “Zeit zu sparen”. Hier entzieht es sich meiner Vorstellungskraft, wie man an mehr statt an weniger menschliche Arbeit denken kann.

Wir haben einfach viel Energie in unsere Zeitoptimierung investiert.

Wir stehen global gesehen vor wichtigen Entwicklungen. Die durch die Digitalisierung hervorgerufenen Automatisierungen dürfen nicht zu einer Arbeitsplatzreduktion führen, sondern zu einer Arbeitszeitverringerung. Und das muss möglich sein. Wie sonst können wir uns global steigende Gewinne bei gleichzeitig sinkenden Reallöhnen erklären. Da stimmt doch was nicht.

Wie haben Ihre MitarbeiterInnen diese Entscheidung aufgenommen?

Ich denke, die entscheidende Variable ist, dass wir nicht nur die 32-Stunden-Woche anbieten, sondern diese auch auf Basis einer Vollzeitanstellung vergüten. Meine MitarbeiterInnen liegen im Schnitt bei 50 Prozent mehr als das Vollzeit-Kollektivgehalt. Genau das macht den Job meines Erachtens attraktiv.

Steigt durch weniger Zeit für die gleiche Arbeit nicht der Arbeitsdruck der MitarbeiterInnen?

Nein. Beziehungsweise versuchen wir alles, damit es nicht dazu kommt. Wie ich bereits erwähnte, habe ich viele Jahre in meinen Ruf innerhalb der Social Media Marketing Branche investiert und kann bzw. möchte es mir nicht leisten, diesen zu riskieren. Unser Arbeitsalltag sieht aus wie in jeder anderen Firma. Mit Kaffeepausen, mit Klatsch und Tratsch (lacht) und mit Social Media Updates checken. Nur wird die Netto-Arbeitszeit vermutlich besser genützt wie in anderen Betrieben.

Arbeit ist nicht alles. Es ist die Zeit, die wir mit unseren Freunden, PartnerInnen, unserer Familie und nicht zu vergessen, mit uns selbst verbringen, die wirklich wertvoll ist.

Was raten Sie Unternehmern, die an einer Arbeitszeitverkürzung interessiert sind, aber vor einer Umsetzung doch noch Zweifel haben?

Sie können gerne mit mir reden. Ich habe in den letzten Monaten viel Erfahrung gesammelt und stehe offen für alle Fragen. Egal wie. Per Mail oder per Social Media. Und wer nicht mit mir schreiben möchte, hier die wichtigsten Fakten: kurze Zahlungsziele (Cashflow ist hier noch wichtiger), ein/e ProjektmanagerIn, “unnötige” Meetings vermeiden, laufendes Controlling der Prozesse und absolute Offenheit der MitarbeiterInnen gegenüber.

Werfen wir noch einen Blick in die Glaskugel: In den letzten Jahrzehnten ging der Trend europaweit in Richtung Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Wie glauben Sie, wird sich die wöchentliche Arbeitszeit 2040 in Österreich darstellen?

Ich denke, dass wir auf vorausschauende PolitikerInnen hoffen müssen. Und auf den Diskurs zwischen den Interessenvertretungen. Das System kann langfristig nur für alle Branchen funktionieren, wenn es zum Gesetz wird. Freiwilligkeit mündet in verschobenen Wettbewerb. Das ist das große Problem. Mein Blick in die Glaskugel: Der Mensch hat sich nicht immer als vernünftiges Wesen bewiesen, doch überrascht er immer wieder mal positiv. Wir haben unsere Welt ganz schön runtergerockt – und die Auswirkungen sind fatal.

Das System kann langfristig nur für alle Branchen funktionieren, wenn es zum Gesetz wird.

Ich denke, der Blick bis 2040 ist zu weit. Bis 2030 müssen wir mal dafür sorgen, dass ein Überleben überhaupt möglich ist -und danach müssen wir dafür sorgen, dass das niemals wieder passiert. Das heißt: Es kann sein, dass wir noch mal ordentlich “in die Hände spucken” müssen, um uns selbst aus der Schlinge zu ziehen, um danach wieder an wohlstandsfördernden Maßnahmen arbeiten zu können. Wenn wir‘s überleben, bin ich optimistisch (grinst).