Arbeitszeit
Mehr Freizeit, mehr Mensch sein
Arbeitszeitverkürzung werden hart erkämpft
Das Wichtigste in Kürze:
- 1958 wurde ein Generalkollektivvertrag abgeschlossen, der die Wochenarbeitszeit von 48 auf 45 Stunden bei vollem Lohnausgleich senkte. Ab 1959 arbeiteten 1,6 Millionen Menschen weniger Stunden bei vollem Lohn
- Die 40-Stunden-Woche wurde schrittweise von 1970 bis 1975 eingeführt und ist seitdem die gesetzliche Normalarbeitszeit in Österreich
- Die Gewerkschaften haben die Einführung der 40-Stunden-Woche intensiv mit einem Volksbegehren (fast 890.000 Unterschriften) und Verhandlungen mit Arbeitgebern erkämpft
Umsetzungen von Arbeitszeitverkürzungen dauerten schon immer lange. Am 1. Mai 1890 forderten rund 100.000 Demonstrant:innen in Wien die Einführung des 8-Stunden-Tages. Erst 29 Jahre später beschloss der Nationalrat das Achtstundentagsgesetz, die 48-Stunden-Woche. Das nächste Ziel war die 40-Stunden-Woche. Erstmals beim Kongress der Freien Gewerkschaften im Jahr 1931 gefordert, dauerte es ereignisreiche 44 Jahre bis zur Umsetzung.
Im Zweiten Weltkrieg zurück zur 60-Stunden-Woche
Die Austrofaschisten hoben das Achtstundentagsgesetz zwar nicht auf, aber es bestand defacto nur mehr am Papier und die Nationalsozialisten führten die 60-Stunden-Woche ein. Im Nachkriegsösterreich waren sich der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof nicht einig, ob nun das Achtstundentagsgesetz gilt oder die NS-Regelung. Die Gewerkschaften waren sich aber im Jahr 1948 sicher, dass es dringend eine gesetzliche Neuordnung des Arbeitszeitrechts braucht. Die Politik ließ sich Zeit. Vier zwischen 1950 und 1958 eingebrachten Entwürfe wurden abgelehnt.
Gewerkschaften nehmen die Arbeitszeitverkürzung selbst in die Hand
Seit Beginn der 1950er Jahre wurden in Kollektivverträgen die 48-Stunden-Wochen vereinbart. Beim dritten ÖGB-Kongress im Jahr 1955 beschlossen die Delegierten unter anderem die schrittweise Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 48 auf 40 Stunden – natürlich bei vollem Lohnausgleich. Wieder gelang es in einigen Kollektivverträgen die Wochenarbeitszeit von 48 auf 45 Stunden zu verkürzen – auch wenn es dazu den einen oder anderen Streik dazu brauchte.
Keinen Streik, aber viel Sitzfleisch brauchte es, bis im Dezember 1958 der Generalkollektivvertrag zur Arbeitszeitverkürzung von 48 auf 45 Stunden - bei vollem Lohnausgleich – zwischen ÖGB und Bundeswirtschaftskammer unterzeichnet wurde. Ab 1. Februar 1959 arbeiteten 1,6 Millionen Menschen weniger und erhielten teilweise sogar noch zusätzliche Lohnerhöhungen.
Schrittweise Einführung der 40-Stunden-Woche
Die Gewerkschaften feierten zwar den erfolgreichen Abschluss, forderten aber gleichzeitig ein modernes Arbeitszeitgesetz. Schließlich können Kollektivverträge einfach gekündigt werden. Die Wirtschaft fürchtete aber den „Ruin der österreichischen Industrie und den Verlust der internationalen Konkurrenzfähigkeit“. Der Wirtschaftsbeirat widersprach ihnen und führte an, dass die Einführung der 40-Stunden-Woche bis Mitte der 1970er-Jahre wirtschaftlich durchaus möglich sei.
Während der ÖVP-Alleinregierung startete im Mai 1969 die SPÖ ein Volksbegehren zur Einführung der 40-Stunden-Woche und fast 890.000 Menschen unterschrieben es. Im September einigten sich die Sozialpartner auf eine etappenweise Verkürzung der Arbeitszeit bis 1975. Am 31. Dezember 1969 verabschiedete der Nationalrat das Arbeitszeitgesetz.
Schon kurz darauf, im Jahr 1983, wurde beim 10. ÖGB-Bundeskongress der Antrag „Zur Einführung der 35-Stunden-Woche“ beschlossen. Wieder wurden in Kollektivverträgen kürzere Arbeitszeiten festgelegt, meist 38,5 Wochenstunden, aber in einigen auch 35.
Arbeitszeitflexibilisierung
Im ÖVP-FPÖ-Koalitionspapier stand im Jahr 2017 neben anderen Verschlechterungen für Arbeitnehmer:innen auch die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit, um „auf Auftragsschwankungen besser reagieren zu können“. Bei den Gewerkschaften läuteten die Alarmglocken.
Während des 19. ÖGB-Bundeskongresses eskalierte die Situation. Der Leitantrag bündelte die ÖGB-Forderungen: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, leichtere Erreichbarkeit der 6. Urlaubswoche, volle Anrechnung der Elternkarenz auf dienstzeitabhängige Ansprüche wie Kündigungsfristen oder Vorrückungen im Gehaltsschema.
Dann platzte die Bombe.
Die türkis-blaue Regierung brachte am letzten Tag des Kongresses im Parlament den Initiativantrag zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes ein. Kerninhalt war die Anhebung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden täglich.
Gewerkschafter:innen machten mobil
Die Antwort der Gewerkschaften war klar: Nicht mit uns. Österreichweit fanden Betriebsrät:innen-Konferenzen statt, vor dem Bundeskanzleramt ein Flashmob, während der Sondersitzung im Parlament eine Protestaktion, am 30. Juni 2018 eine Großdemonstration. 100.000 Teilnehmer:innen sagten Nein zur Arbeitszeitverlängerung.
Die Regierung war den Protesten gegenüber taub. Das Gesetz trat am 1. September 2018 in Kraft. Aber der Widerstand war nicht umsonst.
Die Schönheit der Kollektivverträge
Mit Betriebsversammlungen, Kundgebungen und Streiks setzten die Gewerkschaften sich mit einem „Gegenpaket“ zur Wehr. Sie erreichten bei Kollektivvertragsverhandlungen neben Lohn- und Gehaltserhöhungen über der Inflation auch, dass für die elfte und zwölfte Stunde hohe Zuschläge zu zahlen sind.
Seither sind in den Kollektivverträgen weitere Arbeitszeitverkürzungen verankert worden, wie etwa:
- Zusätzliche Erholungstage oder Sonderurlaubstage
- Freizeitoption (statt Erhöhung des Ist-Lohns Freizeit)
- Bezahlte Mittagspausen
- Zusätzliche Urlaubstage ab dem fünften Jahr Betriebszugehörigkeit
- Sechste Urlaubswoche nach dem 40. Geburtstag oder nach 18 Jahren Betriebszugehörigkeit
- Mehr freie Sonntage in der Gastronomie
- Der 24. und 31. Dezember sind arbeitsfrei und bezahlt
- Umziehzeit gilt als Arbeitszeit
- Jubiläumsgeld oder Dienstalterszulagen können in Freizeit umgewandelt werden
Bis zur nächsten gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung lohnt sich ein Blick in den Kollektivvertrag. Der Betriebsrat hilft gerne bei den Details weiter.