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Nähkurs in der Fortbildungsschule für Hausgehilfinnen, 1929 Erschienen im Adelheid-Popp-Buch

Gewerkschaftsgeschichte

Das außergewöhnliche Leben der Gisela Laferl 

Eine Hommage auf die fast vergessene Gewerkschafterin, Politikerin und Pensionsbesitzerin Gisela Laferl 

Die Geschichte der Gewerkschafterin, Politikerin und Pensionsbesitzerin Gisela Laferl begann am 7. September 1884 in der Steiermark. Geboren als eines von sechs Geschwistern, ging Laferl 1907 als Zimmermädchen in die Schweiz, wurde Köchin und schließlich von 1911 - 1915 Haushälterin Friedrich Adlers, dem Sohn des „Einers der Sozialdemokratie“ Victor Adler, und begann ihre gewerkschaftliche Karriere als Einerin der Dienstbotinnen.   

Die Gewerkschafterin und Politikerin Gisela Laferl in jungen Jahren
Die Gewerkschafterin und Politikerin Gisela Laferl in jungen Jahren Erschienen im Adelheid-Popp-Buch

 

Von der Köchin zur Kämpferin  

Nicht nur Gisela kannte die miserablen Arbeitsbedingungen aus eigener Erfahrung. Spätestens seit den ersten Versammlungen der Dienstbotinnen im Jahr 1893 waren sie auch der Öffentlichkeit bekannt. Gemeinsam mit den Grandes Dames der Frauenrechtsbewegung gründete Laferl im Mai 1911 den „Einigkeit – Verband der Hausgehilfinnen, Erzieherinnen, Heim- und Hausarbeiterinnen Österreichs“ und wurde „Obmann“. Bald zählte der Verein 520 Mitglieder, gemeinsam versuchten sie die Arbeitsbedingungen der „weißen Sklavinnen“ zu verbessern.   

 

Schon die Mitgliedschaft brachte den Dienstbotinnen viele Vorteile. Sie hatten Anspruch auf Rechtsschutz und Krankenversicherung sowie auf Teilnahme an geselligen Zusammenkünften und aufklärenden Vorträgen. Der Verein gab eine Verbandszeitung heraus und richtete auch eine Arbeitsvermittlung ein.   

Aufruf zu einer großen Dienstmädchenversammlung in der Arbeiter-Zeitung, 1911
Aufruf zu einer großen Dienstmädchenversammlung in der Arbeiter-Zeitung, 1911 Arbeiter-Zeitung

 

Dienstbotinnen! Organisiert Euch!  

Gisela reiste durch Österreich, um Ortsgruppen zu organisieren oder bei Dienstmädchenversammlungen zu sprechen. Sie referierte über die Ausbeutung der Dienstbotinnen, deren sexuellen Missbrauch durch die Hausherren, überlange Arbeitszeiten und menschenunwürdige Schlafgelegenheiten. „Darum müssen sich auch die Dienstbotinnen organisieren!“ wurde sie nicht müde zu wiederholen.   

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Gisela und ihre Mitkämpferinnen setzten sich für geregelte Arbeitszeiten, Kranken-, Alters-, Invaliditäts- und Unfallversicherung für das Hauspersonal ein. Noch galt die 1810 verabschiedete „vergilbte und mittelalterliche“ Dienstbotenordnung, die „sklavische Paragraphen“ enthielt wie das Züchtigungsrecht.   

Es dauerte bis 1920, bis das moderne Hausgehilfengesetz verabschiedet wurde. Im Jahr 1921 trat der von Gisela verfasste erste Kollektivvertrag für Hausgehilfinnen in Kraft. Da saß sie schon im Wiener Gemeinderat.   

Wahlwerbung der Sozialdemokrat:innen im Jahr 1919 für Dienstbotinnen
Wahlwerbung der Sozialdemokrat:innen im Jahr 1919 für Dienstbotinnen VGA - Verein für Geschichte der Arbeiter:innenbewegung

Dienstmädchen-Wahlversammlungen 

Erstmals sprachen die Frauenrechtskämpferinnen 1918/19 auf zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen nicht für ihre sozialdemokratischen Genossen, sondern für sich selbst. Denn seit Dezember 1918 durften auch Frauen wählen und gewählt werden. Der Verein veranstaltete auch für „Dienstmädchen“ Wahlversammlungen, in denen sie aufgefordert wurden „nicht ihre christlich-sozialen Herren zu wählen“, sondern die Vertreter:innen der Arbeiter:innenschaft.   

 

Gisela wurde als eine der 22 ersten Frauen in den Wiener Gemeinderat und Landtag gewählt. Sie setzte sich weiter für den Ausbau der Rechte der Dienstbotinnen ein.  

Neues Mitglied im Wiener Gemeinderat: Gisela Laferl, 1919
Neues Mitglied im Wiener Gemeinderat: Gisela Laferl, 1919 erschienen in "Das interessante Blatt" 1919

   

Von der Gemeinderätin zur Pensionsbesitzerin  

Gisela Laferl heiratete im März 1920 den Sozialdemokraten Isidor Wozniczak und legte drei Jahre später ihr Mandat im Wiener Gemeinderat nieder, blieb aber der Arbeiter:innen-Presse treu und schrieb weiterhin Artikel für die Frauenzeitung „Die Unzufriedene.“ 

Das Ehepaar pachtete die Waldpension in Gars am Kamp, die das bevorzugte Reiseziel von freien Gewerkschafter:innen und Sozialdemokrat:innen wurde. Nach dem Verbot der sozialdemokratischen Partei und der freien Gewerkschaften durch die Austrofaschisten verlor die Arbeiter:innenbewegung ihre Vertretung und Isidor seine politischen Ämter. Die Woziniczaks verloren aber nicht ihre antifaschistische Haltung.   

 

Erhobenen Hauptes gegen die Faschisten  

Trotz des vorherrschenden Antisemitismus beherbergten Gisela und ihr Mann jüdische Gäste genauso wie die in der Illegalität agierenden Gewerkschafter:innen, Sozialdemokrat:innen und Kommunist:innen. Mehrmals wurde die Waldpension von den Austrofaschisten durchsucht. Auch der Kartoffelkeller wurde ausgeschaufelt. Vermuteten die Austrofaschisten dort doch ein Waffenlager der Revolutionären Sozialisten. Sie fanden jedoch nichts. 

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 endete die Sommersaison in Gars, die Pension wurde von da an von Nationalsozialisten genutzt. Isidor wurde von den Nationalsozialisten mehrmals verhaftet und wieder freigelassen. Am 24. April 1945 wurde er wieder festgenommen, am 2. Mai 1945 in einem im Wald bei Mödring ermordet und notdürftig in der Erde verscharrt.   

 

Die Ermordung von Isidor Wozniczak  

Gisela gab nie auf, die Leiche ihres Mannes zu suchen. Sie inserierte sogar in Zeitungen. Im September 1946 führte sie schließlich der zu 14 Jahren Kerker verurteilte Mörder ihres Mannes hin. Kurz darauf fand das Begräbnis unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt.   Im Mai 1961 kehrte auch der ehemalige Urlaubsgast Rosa Jochmann wieder nach Gars am Kamp zurück, sie enthüllte einen Gedenkstein für Isidor, an jener Stelle, an der seine Leiche gefunden worden war.  

Zwischen 1950 und 1955 vertrat Gisela die Sozialdemokrat:innen im Garser Gemeinderat. Ab 1949 war die Pension wieder im vollen Betrieb. Nach Giselas Tod im Jahr 1968 übernahm ihre Tochter Mathilde den Betrieb und 1995 deren Tochter Barbara.