
Der blutige Februar und seine Folgen
Am 16. Februar 1934 war es klar: Der Kampf der ArbeiterInnen um Demokratie und Freiheit war verloren. Sofort zeigten die siegreichen Faschisten ihr hässliches Gesicht: Verhängung des Standrechts, Erschießungen und Verhaftungswellen sowie Verbot der freien Gewerkschaften. Dem sozialdemokratischen oder kommunistischen Lager zugerechnete BetriebsrätInnen verloren ihr Mandat und somit die ArbeiterInnen und Angestellten ihr Mitbestimmungsrecht in den Betrieben.
Die Lage schien aussichtslos und die Austrofaschisten übermächtig. Ihre Mittel waren Unterdrückung, Überwachung, Angst, Aussetzung des Rechtsstaates und Massenverhaftungen.
(Das Video mit der Gewerkschaftshistorikerin Brigitte Pellar wurde im Februar 2019, anlässlich "85 Jahre Februarkämpfe", aufgenommen.)
Boykott, Streik, illegale Zeitungen
Die Antwort der nun illegalen freien GewerkschafterInnen war Widerstand. Sie trafen sich heimlich in Wohnungen, in Kellern oder in Hinterzimmern von Kaffeehäusern, gründeten illegale Gewerkschaften und planten Aktionen. Sie griffen zu altbewährten, nun aber verbotenen Mitteln: Boykotts, Streiks und eigenen Zeitungen.
Die ArbeiterInnen boykottierten einige Zeit lang die Mitgliedschaft in der faschistischen Einheitsgewerkschaft. Allerdings nur so lange, bis sie vor die Wahl gestellt wurden: Mitgliedschaft oder Verlust des Arbeitsplatzes. In Zeiten von Wirtschaftskrise, hohen Arbeitslosenzahlen und mangelnder Arbeitslosenversorgung sowie steigenden Preisen ein probates Druckmittel.
Von illegalen Streiks oder Aufbegehren der ArbeiterInnen gegen schlechte Arbeitsbedingungen in einzelnen Betrieben berichteten die offiziellen Zeitungen nichts. Nur in den illegalen Gewerkschaftsblättern stand davon zu lesen.
Heraus mit den geraubten Freiheitsrechten der Arbeiter! Weg mit der faschistischen Schwindelgewerkschaft!

„Freiheit für die eingekerkerten Antifaschisten”
Oft waren es nur einzelne, eng bedruckte Seiten mit hastig auf einer Schreibmaschine getippten Texten oder schlecht gesetzte Heftchen im Format A6. Anonyme RedakteurInnen zeichneten in ihren Artikeln das Bild der Zeit, nämlich die Zerstörung aller gewerkschaftlichen Errungenschaften der Ersten Republik: Aushebelung der Kollektivverträge, des Achtstundentages und der Bezahlung von Feiertagen sowie weiterer Lohnraub und Verschlechterungen bei der Sozialversicherung und Erhöhung der Massensteuern und der Mietzinse.
Die illegalen Zeitungen waren aber auch Kampfmaterial und Transporteur von Forderungen. Es wurden Parolen ausgegeben: „Heraus mit den geraubten Freiheitsrechten der Arbeiter!“, „Weg mit der faschistischen Schwindelgewerkschaft!“ (Anm.: Gemeint ist die faschistische Einheitsgewerkschaft), „Unser Kampf ist ein Kampf um Menschenwürde, Gerechtigkeit und Freiheit!“, „Wiederherstellung der freien Gewerkschaften! Der Presse- und Redefreiheit!“, „Freiheit für die eingekerkerten Antifaschisten.“

Die wichtigste Waffe der verbotenen freien Gewerkschaften ist die illegale Zeitung.
Warnung vor Spitzeln
Eine dieser illegalen Zeitungen war „Der Lebensmittelarbeiter“. Im Jahr 1937 stand darin: „Die wichtigste Waffe der verbotenen freien Gewerkschaften ist die illegale Zeitung.“ Nur waren das Schreiben, Drucken und die Verteilung der Zeitungen gefährlich. Manuskripte, Matrizen und fertige Zeitungen wurden über Grenzen geschmuggelt, versteckt in Kohlenwagons oder unter der Kleidung. Immer bestand die Gefahr, dass die KurierInnen verraten oder auf der Straße von der Polizei kontrolliert werden. Wurden sie erwischt, drohten lange Haftstrafen.
Deshalb warnten die illegalen Zeitungen immer vor Spitzeln, mahnten, bei Gesprächen mit Unbekannten äußerste Vorsicht walten zu lassen und gaben Handlungsanleitungen, wie die Schriften verteilt werden sollten.
Die Zeitungen sollten nur unter größter Vorsicht weitergegeben werden. Niemand sollte eine illegale Zeitung oder ein Flugblatt nach dem Lesen aufheben. Zeitungen könnten etwa in verschlossene Briefkuverts gesteckt, an einen Briefkasten oder eine Tür gelegt werden oder bei der Post aufgeben werden. Denn: „Das Weitergeben der illegalen Zeitung ist eine Form der Unterstützung der illegalen Arbeit.“ Nur so erfuhren die LeserInnen, was die organisierte Arbeit allen Widerständen zum Trotz bereits geschafft hatte.
„Wir wählen keine Nazi!”
Im Jahr 1936 machte sich die illegale Arbeit bezahlt. Seit 1934 hatte es keine Betriebsräte mehr gegeben, sondern Werksgemeinschaften. Auf Druck der illegalen Gewerkschaften gab es zwar keine richtig freien Wahlen zu den Werksgemeinschaften. Aber es waren die einzigen in den Jahren des Faschismus zwischen 1934 und 1945.
Die illegalen Zeitungen positionierten sich in ihrer Wahlwerbung eindeutig: „Wir wählen keine Nazi! Wir wählen keine Heimwehrfaschisten! (…) Wir wählen jene, die ihrer freigewerkschaftlichen Gesinnung treu geblieben sind und ihre Festigkeit bewiesen haben.“
Die Faschisten zeigten, was sie unter Wahlen verstanden: Massenverhaftungen, Razzien in Betrieben, Hausdurchsuchungen und Drohungen. Trotzdem wurden viele ehemalige freigewerkschaftliche Männer und Frauen in die Werksgemeinschaften gewählt. Ausrichten konnten sie freilich nicht viel, musste der Kampf um Freiheit und Demokratie doch nicht nur gegen die Austrofaschisten, sondern auch gegen die stetig erstarkenden Nationalsozialisten geführt werden.
Neuer Widerstand
Für das Jahr 1938 kündigte die faschistische Einheitsgewerkschaft erstmals Wahlen an. Geworden ist daraus nichts, genauso wie aus der von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg annoncierten Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs. Geworden ist es eine erzwungene Abstimmung über den sogenannten „Anschluss“ an Nazi-Deutschland. Nun halfen Parolen, illegale Streiks und Zeitungen nichts mehr gegen Vertreibung, Verfolgung und Ermordung. Trotzdem formierte sich weiterhin Widerstand. Hier weiterlesen: Verfolgt, verhaftet, ermordet
Heute können Gewerkschaftsmitglieder die Nachfolgepublikationen der illegalen Zeitungen von damals, wie zum Beispiel die Solidarität, ohne Gefahr lesen.
Weiterlesen: Der Aufstand der österreichischen Arbeiter von Otto Bauer, erschienen im ÖGB-Verlag, hier bestellen.