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Streik der Bundesbeamt:innen, 1925 VGA

Gewerkschaftsgeschichte

Wie protestierende Frauen die Arbeitswelt veränderten 

Eine historische Spurensuche nach den "rebellischen Fräuleins", die für kürzere Arbeitszeiten, faire Löhne und Anerkennung kämpften 

Das Wichtigste in Kürze 

  • Schon im 19. Jahrhundert kämpften Frauen für faire Löhne, kürzere Arbeitszeiten und bessere Bedingungen 
  • Junge Arbeiterinnen wie Amelie Ryba oder Cäcilie Lippa wurden zu Pionierinnen der Gewerkschaftsbewegung 
  • Frauenstreiks legten den Grundstein für den freien Samstag und die Abschaffung der Frauenlohngruppen 
  • Der Kampf für gleiche Bezahlung und Anerkennung ist noch nicht vorbei – heute geht er in der Pflege, Bildung oder den Sozialberufen weiter 

Die 17-jährige Amelie Ryba stieg Anfang Mai 1893 auf einen Tisch und hielt in der Fabrikhalle eine Rede. Das war noch nie da gewesen: Eine junge Frau, die öffentlich das Wort ergriff. Sie forderte ihre Kolleginnen auf, der Gewerkschaft beizutreten, um so gemeinsam die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Der Chef hörte mit und reagierte prompt: Er entließ sie.

Das empörte Rybas Kolleginnen. Sie forderten nicht nur ihre Wiedereinstellung, sondern auch einen höheren Lohn und eine Arbeitszeitverkürzung von 13 auf zehn Stunden täglich. Der Chef lehnte ab. Daraufhin traten die Frauen in den Streik. Ihnen schlossen sich Kolleginnen aus benachbarten Firmen an – rund 600 Frauen. Eine Sensation!  

Streiks, Demonstrationen und Proteste wurden schon lange von Männern und Frauen getragen. Aber ab dem 19. Jahrhundert traten Frauen auch eigenständig in Erscheinung: Sie streikten gezielt für ihre Anliegen: Lohnerhöhungen, die Einführung des freien Samstags und die Abschaffung der diskriminierenden Frauenlohngruppen in den Kollektivverträgen. Manchmal erhielten sie dabei männliche Unterstützung, oft kämpften sie aber allein.  

 

Der erste Frauenstreik Österreichs  

 

Der Frauenstreik von 1893 dauerte drei Wochen lang. Die Reaktionen waren gemischt: Die Gewerbeinspektoren überprüften die Arbeitsbedingungen in den bestreikten Unternehmen. Die berittene Polizei griff bei Demonstrationen ein, was zu Tumulten und Verhaftungen führte. Während die Presse von „aufgehetzten Frauen“ schrieb, spendete die Wiener Bevölkerung für die Streikenden.

Die Frauen waren erfolgreich: Sie erreichten den Zehn-Stunden-Arbeitstag, eine Überstundenvergütung und kürzere Arbeitszeiten an Feiertagen. 

Die Frauenstreiks brachten nicht nur gewerkschaftliche Erfolge, sondern machte die Arbeiter:innen und ihre prekäre Lage in der Gesellschaft sichtbar. Dafür ernteten sie jedoch auch viel Kritik und Beschimpfungen – vor allem von Männern. Viele verloren oft ihren Arbeitsplatz – so wie Amelie. Doch ihr Weg war damit nicht zu Ende: Sie wurde Gewerkschafterin, Mitbegründerin der Konsumgenossenschaften und schließlich sogar Nationalrätin.  

Die ersten weiblichen Nationalratsabgeordneten 1919, darunter war auch Amalie Seidel VGA

Nicht alle Frauenstreiks waren gleich erfolgreich, aber mit jedem Kampf verbesserten die Gewerkschafterinnen und Arbeiterinnen ihre Vorgehensweise und lernten aus ihren Fehlern. Statt spontaner Aktionen organisierten sie zunehmend gemeinsam mit den Gewerkschaften geordnete Streiks – so auch beim Streik der Kleidermacherinnen im Jahr 1907.  

 

Streik der Kleidermacherinnen, 1907 Kronen-Zeitung, 19.03.1907, Titelseite

Der Streik der „rebellischen Fräuleins“  

 

Die „Schneidermädchen“ waren unsichtbare Arbeiterinnen in schlecht belüfteten Räumen, die wegen langer Arbeitszeiten ohnmächtig von den Sesseln kippten und bei Krankheit einfach entlassen wurden.   

Als die Arbeitgeber im Jahr 1907 anboten, nur die Mindestlöhne der Männer anzuheben, wurden die Schneidermädchen rebellisch. Sie traten in Streik. Am 18. März 1907 schritten rund 6.000 Frauen mit „ernstem Selbstbewusstsein“ über die Wiener Ringstraße.   

Aus den Fenstern schauten jene Damen zu, für die sie sonst zu Hungerlöhnen in langen Arbeitstagen kunstvolle Roben herstellten. Jetzt waren die Schneidermädchen sichtbar. Am 27. März 1907 stimmten die Arbeitgeber den Forderungen zu: Lohnerhöhungen auch für die Arbeiterinnen, Überstundenzuschlag und Arbeitszeitverkürzung.  

 

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Das Wichtigste auf einen Blick
Von der Gewerkschafterin Cäcilie Lippa erstmals erkämpft, streikten die Handelsangestellten für den freien Samstagnachmittag (1952). Makart

Der Kampf um den freien Samstagnachmittag  

 

Wie Amelie Ryba war auch Cäcilie Lippa eine mutige Frau. Mit 17 Jahren setzte sie sich in den Kopf, „etwas zu werden“. Kein leichtes Vorhaben für eine junge Weißnäherin, die zum Haushaltsbudget der zwölfköpfigen Familie beitragen musste. Ähnlich wie Amelie tat sie etwas Unerhörtes: Sie ergriff bei einer Veranstaltung das Wort und wurde danach zu einer gesuchten Rednerin. Und: Sie gründete die Gewerkschaft der Wäscher-, Krawatten- und Miedererzeuger, führte Kollektivvertragsverhandlungen und Streiks an – wie den der Wiener Wäschearbeiterinnen 1910.  

Drei Wochen lang streikten die Frauen im Februar und März für den Frühschluss am Samstag. Statt bis abends wollten sie „nur mehr“ bis 14:30 Uhr arbeiten. Die Begründung mag heute seltsam erscheinen, war damals aber zentral: Die Arbeiterinnen sollten die über die Woche liegengebliebene Hausarbeit am Samstagnachmittag erledigen können, um so einen wirklich freien Sonntag genießen zu können.  

Die Frauen setzten sich durch und legten so den Grundstein für den freien Samstag.  

 

Arbeiterin in einem Metallbetrieb Kammler/ÖGB-Archiv

Glänzende Arbeitsbedingungen?  

 

Die Behauptung der Firmenleitung – „die Arbeitsbedingungen sind glänzend“ – führte im September 1925 zu einem Teilstreik bei Siemens & Halske. Die Arbeiterinnen fühlten sich verhöhnt: Schwangere wurden entlassen, Akkordlöhne willkürlich gekürzt, Lohn für Ausschussware abgezogen und der Arbeitsschutz wegen des hohen Arbeitsdrucks vernachlässigt.  

Der Arbeitgeber entließ die wenigen Streikenden, woraufhin 1.200 Frauen in den Streik traten – unterstützt von den Kollegen. Bei einer Versammlung versuchte der Vertreter des Metallarbeiterverbands die Frauen zu überzeugen, eine geringe Lohnerhöhung anzunehmen. Sie hätten damit einen „moralischen“ Sieg errungen. Dies löste bei den Streikenden „stürmische Entrüstung“ aus, und sie entschieden, den Streik weiterzuführen. Die Frauen setzten fünf Prozent Lohnerhöhung durch; ob sich die Arbeitsbedingungen verbesserten, ist nicht überliefert.   

 

ÖGB-Präsident Antion Benya, hier beim Bundesfrauenkongress 1975 Czerny

Abschaffung der Frauenlöhne in Kollektivverträgen  

 

Ganz anders als der Vertreter des Metallarbeiterverbandes im Jahr 1925 reagierte der damalige Vorsitzende-Stellvertreter der Gewerkschaft der Metall- und Bergarbeiter, Anton Benya. Er empörte sich im Frühjahr 1962 über die Frauenlohngruppen in den Kollektivverträgen der Metallindustrie. Frauen verdienten bis zu 24 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, obwohl sie die gleiche Arbeit verrichteten.  

Die Gewerkschaft widerlegte die gängigen Vorurteile, dass die körperliche Kraft der Männer wichtiger sei als die Geschicklichkeit der Frauen und dass Männer als Alleinerhalter von Familien mehr verdienen müssten.  

Nachdem alle Gespräche gescheitert waren, traten am 9. Mai 1962 rund 200.000 Arbeiterinnen und Arbeiter in Streik. Am 13. Mai kam der Erfolg: Es durfte im Jahr 1962 keine Frauenlohngruppen mehr im Metaller-Kollektivvertrag geben. Sie wurden abgeschafft – bis in die 1990er-Jahre verschwanden sie schließlich aus allen Kollektivverträgen.  

 

Elementarpädagoginnen bei der öffentlichen Betriebsversammlung 2023 Julia Berndl/ÖGB

Kämpferische Frauen  

 

Zwei Probleme blieben jedoch bestehen: Der Gender Pay Gap und die niedrige Entlohnung in frauendominierten Berufen.   

Hier ging es nicht mehr darum, den gleichen Lohn wie ein männlicher Kollege am Arbeitsplatz nebenan zu bekommen, sondern darum, dass die Arbeit selbst – wie in der Pflege, Kinderbildung oder Sozialwirtschaft – systematisch schlechter bezahlt wird als „Männerberufe“.   

Seit dem Jahr 2013 protestieren, demonstrieren und streiken Frauen gemeinsam mit ihren Kollegen aus diesen frauendominierten Branchen und fordern Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie bessere Arbeitsbedingungen.  

Der Kampf um mehr Anerkennung und faire Einkommen geht also weiter!