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Näherinnen in einer Werkstatt
In vielen Ländern müssen Beschäftigte unter lebensgefährlichen Bedingungen arbeiten - GewerkschafterInnen werden diese Missstände weiter anprangern

Arbeitsbedingungen

EU-Lieferkettengesetz: ÖGB kritisiert geplante Ausnahme für Finanzsektor

Gewerkschaften Europas kämpfen weiter für Schutz von Arbeits- und Menschenrechten – in allen Branchen

Im Tauziehen um das EU-Lieferkettengesetz, das Arbeits- und Menschenrechte sowie Umweltstandards absichern soll, einigten sich die EU-Staaten am 1. Dezember 2022 auf einen gemeinsamen Standpunkt.

Die Regeln sollen zuerst für sehr große Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro netto gelten.

Für Unternehmen außerhalb der EU liegt die Schwelle bei einem Umsatz ab 150 Millionen Euro in der Union, in den Hochrisikobranchen Bekleidungsindustrie, Landwirtschaft und mineralischen Rohstoffen sind die Schwellenwerte halbiert.

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Die Regeln gelten gestaffelt nach Unternehmensgröße frühestens drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie. Der gemeinsame Standpunkt des EU-Rates ist erst der Auftakt für Verhandlungen mit dem Europaparlament, das in dieser Angelegenheit mitentscheidet. Die Staaten einigten sich auf einen Kompromiss der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft, wonach die EU-Staaten freiwillig die Finanzindustrie in das Lieferkettengesetz aufnehmen können.

Österreich enthielt sich bei der Abstimmung, wie Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher bestätigte. In Diskussion sei besonders die Frage gewesen, wie der Finanzsektor einbezogen werden soll. Das müsse nun mit dem Europaparlament ausführlicher diskutiert werden. 

ÖGB-Präsident: Enthaltung Österreichs nicht nachvollziehbar

„Diese politische Einigung auf ein Lieferkettengesetz ist zu begrüßen, die Enthaltung Österreichs ist aber genauso wenig nachvollziehbar wie die geplante Ausklammerung des Finanzsektors“, kommentierte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian: „Damit hat sich die Wirtschaftslobby durchgesetzt.“

Österreich muss sich ohne Wenn und Aber für den Schutz von Arbeits- und Menschenrechten aussprechen – in allen Branchen.

Wolfgang Katzian, ÖGB-Präsident

Die Gewerkschaften Europas werden in den jetzt notwendigen Verhandlungen mit dem EU-Parlament alles daransetzen, eine Einigung zu erreichen, die auch den Finanzsektor für die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Auswirkungen seines Handelns umfassend zur Verantwortung zieht, kündigte Katzian an: „Auch Österreich muss sich ohne Wenn und Aber für den Schutz von Arbeits- und Menschenrechten aussprechen – in allen Branchen. Ausnahmen schon vor dem Inkrafttreten drohen dieses wichtige Gesetz zu einem zahnlosen Tiger werden zu lassen.“

Nur öffentliche Unterstützung für Unternehmen, die Arbeits- und Menschenrechte einhalten

Nachbesserungsbedarf sieht ÖGB-Expertin Julia Wegerer auch bezüglich einer Bestimmung, die im Ratsentwurf für die Richtlinie plötzlich fehlt.

„Heimlich, still und leise ist Artikel 24 aus dem Text verschwunden, der regeln soll, dass Unternehmen nur dann öffentliche Unterstützung wie Subventionen, Auslandsförderungen, Garantien etc. erhalten sollen, wenn sie bestätigt haben, dass keine Sanktionen wegen Verletzung der Richtlinie verhängt wurden.“

Es bleibt eine zentrale Forderung von ÖGB und AK, dass Unternehmen die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten in ihren Lieferketten nachweisen müssen, wenn sie um öffentliche Gelder ansuchen.

Gewerkschaften und Betriebsräte verpflichtend einbinden

Weitere Kritik am Entwurf: Er sieht keine verpflichtende Einbindung von Gewerkschaften oder Betriebsräten vor. „Das wäre aber dringend notwendig – Gewerkschafts- und Belegschaftsvertretungen müssen in den gesamten Prozess miteingebunden und konsultiert werden“, hatte ÖGB-Expertin Miriam Baghdady bereits bei der Präsentation des Entwurfs im Februar 2022 gefordert.

Allen Beschäftigten entlang der Lieferkette muss es ermöglicht werden, sich gewerkschaftlich zu organisieren. „Damit einher geht die Forderung, dass Gewerkschaften sich frei betätigen dürfen, also etwa Lohnverhandlungen führen können und dass auch das Streikrecht ohne Sanktionen für sie gilt.“

Von der Verhinderung von Gewerkschaftsarbeit geht schlimmstenfalls eine Gefahr für Leib und Leben aus, ergänzt Isabelle Ourny, Internationale Sekretärin im ÖGB, „das betrifft einerseits die Beschäftigten, die teils unter lebensgefährlichen Bedingungen arbeiten müssen, und andererseits GewerkschafterInnen, die für das Anprangern dieser Missstände in vielen Ländern in ihrer Arbeit behindert werden, strafrechtlich verfolgt werden oder sogar mit ihrem Leben bezahlen.“

80 Prozent der ÖsterreicherInnen wollen starkes Lieferkettengesetz

Dass es überhaupt einen Entwurf der EU-Kommission gibt, ist vor allem auch der Hartnäckigkeit der Zivilgesellschaft in Europa zu verdanken. Gemeinsam mit vielen NGOs und mit der AK unterstützt der ÖGB die österreichische Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze“ für ein starkes Lieferkettengesetz. Eine Umfrage bestätigt, dass mehr als 80 Prozent der ÖsterreicherInnen ein starkes Lieferkettengesetz wollen.

Auch auf europäischer Ebene kämpfen ÖGB und AK vernetzt mit über hundert zivilgesellschaftlichen Organisationen unter dem Motto „Gerechtigkeit geht uns alle an“ (Justice is everybody’s business) für ein wirksames Gesetz.