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ÖGB Archiv

Geschlechtergerechtigkeit

Die erste Gewerkschafterin

Albertine Moseberg: Die Gründerin des ersten Arbeiterinnen-Bildungsverein, die als „emanzipiertes Weib“ ins Gefängnis musste

Kaiser Franz Josef hatte 1867 die Gründung von politischen Vereinen und die Versammlungsfreiheit und 1870 auch die Koalitionsfreiheit erlaubt. Von nun an durften Männer Gewerkschaften gründen – Frauen war dies explizit verboten.

Also wählte die Blumenmacherin Albertine Moseberg die „österreichische Lösung”: Im Juni 1870 legte sie den Grundstein für einen vermeintlich unpolitischen Arbeiterinnen-Bildungsverein und löste damit eine kleine feministischen Welle aus. Sie wurde eine der ersten Gewerkschaftin und machte erstmals Frauen als Arbeiterinnen sichtbar, hielt (wohl) die ersten feministischen Reden im gewerkschaftlichen Kontext und stellte bereits im April 1870 eine heute noch aktuelle Forderung auf: gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.

Der größte Übelstand

Zu den Versammlungen der Blumenmacherinnen in Wien kamen bis zu 4.000 Arbeiterinnen – und auch immer ein Regierungskommissär, der genau notierte, was Moseberg sagte. Etwa über den „größten Übelstand“: das Lehrmädchenwesen. Die Arbeitszeit der Jugendlichen war unbegrenzt und der Lohn war so schlecht, dass die jungen Frauen auf der Straße nach Brot betteln oder sich gar prostituieren mussten, um nicht zu verhungern. Die Lehrlinge litten unter sexuellen Belästigungen ihrer Lehrherren. Moseberg wusste genau, wovon sie sprach, hatte sie doch mit zehn Jahren zu arbeiten begonnen und selbst bitterste Erfahrungen gemacht. 

Mensch, nicht Sklavin

Die Zeitungen beschrieben Moseberg als „sehr gewandte Frau mit packenden Ausdrücken“ und zitierten sie auch immer wieder: „Wir leisten gerade so viel wie die Männer, diese bekommen für die nämliche Arbeit doppelt so viel bezahlt wie Frauen. Ist das gerecht?“, und druckten ihre Forderungen nach der Einführung des Achtstundentages und des allgemeinen Wahlrechts. Ihr Ziel war, dass sich jede Arbeiterin als Mensch und nicht als Sklavin fühlt. Erreicht hat sie, dass die schlechten Lebensbedingungen der Arbeiterinnen der breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden. 

Widerstand der Männer

All das stieß bei einigen Männern auf heftige Gegenwehr: Außerhäusliche Frauenarbeit gehöre abgeschafft, seien doch nur Männer zur Arbeit berufen, die Frauen hingegen gehörten an den Herd, hieß es. Außerdem fühlten sich viele Männer zurückgesetzt, da „brutale Herren“ Arbeiter durch billigere Arbeiterinnen ersetzten. Die Männer forderten daher, dass sie so viel verdienen sollten, dass die Frauen gar nicht mehr zu arbeiten bräuchten. Moseberg widersprach ihnen heftig, sie trat für die Unabhängigkeit der Frauen ein und setzte sich umso energischer für die Gründung des Arbeiterinnen-Bildungsvereins ein. Doch die Mühlen der Bürokratie mahlten langsam.

Unabhängigkeit durch Bildung

Vom Beschluss der Gründung des Arbeiterinnen-Bildungsvereins im Juni 1870 bis zur Genehmigung der Statuten dauerte es mehr als ein halbes Jahr. Die konstituierende Sitzung fand schließlich am 5. Februar 1871 statt und Moseberg wurde zum „Obmann“ gewählt. Ein Monat später zählte der Verein bereits 189 Mitglieder. Ihnen versprach Moseberg: „Ihr werdet keine Predigten und Messen hören, aber ihr werdet lernen, was es heißt ein menschwürdiges Leben zu führen. Ihr werdet euch Bildung aneignen, die euch zur Unabhängigkeit führen wird.“

Als „emanzipiertes Weib“ vor Gericht

Sie rief bei allen Versammlungen auf, dem Verein beizutreten und wiederholte auch stets ihre Forderungen, die wiederum der Regierungskommissär eifrig protokollierte. Dies brachte das „emanzipierte Weib“ schließlich am 24. Dezember 1872 wieder einmal wegen „behördlicher Anstände“ vor Gericht – diesmal wegen einer ihren Reden. Ihr wurde das Vergehen der „Aufreizung gegen einzelne Klassen der Gesellschaft“ vorgeworfen – gemeint war ihre Kritik an der „Tyrannei des Kapitals und der Kirche“. In der Polizeinote stand, sie besitze „Zungenfertigkeit“ und sei bekannt für ihr „rücksichtsloses Auftreten“ bei Versammlungen, wodurch sie jede Opposition zum Schweigen brächte. Sie sei überdies unleugbar ein sehr entschiedener Charakter und von der Idee der Verbesserung des Loses der Arbeiterinnen bis zum Fanatismus erfüllt.

Zyankali zum Schluss

Der Richter verurteilte sie zur Besserung zu 14 Tagen schweren Arrests, ironischerweise gab er als Grund für das „niedrige Strafmaß“ ihren geringen Bildungsstand an. Moseberg ließ jedenfalls nicht nach: Sie gab zwar die Leitung des Arbeiterinnen-Bildungsvereins ab, war aber weiterhin in der Arbeiterinnenbewegung und der jungen Sozialdemokratie aktiv. Im April 1875 eröffnete sie gemeinsam mit ihrem Mann Leopold eine Suppen- und Teeanstalt in Wien-Ottakring. Von da an saß sie jeden Tag an der Kassa, bis sie sich am 15. Mai 1876 ein Bier bringen ließ, darin Zyankali auflöste, es austrank und sich im Nebenzimmer zum Sterben auf ein Sofa legte.

Auch wenn nach Mosebergs Tod der Arbeiterinnen-Bildungsverein nur noch ein Jahr weiter bestand, verschwand die Idee nicht. Im Jahr 1890 gründete die Bäckersfrau Anna Steiner einen neuen Verein, der zu einem der Vorläuferin des heute für die gewerkschaftlich Bildung zuständigen VÖGBs wurde.