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Adelheid Popp: Vom Fabrikmädchen zur Nationalratsabgeordneten

„Adelheid Popp hatte das große Glück, am Anfang der Arbeiterbewegung stehen zu können. Sie konnte mit ihrer Arbeit einsetzen, als noch alles zu tun war, sie trat als erster weiblicher Apostel des Sozialismus in die Reihen“, schrieb Max Winter im Februar 1929 anlässlich des 60. Geburtstags der „geliebten und verehrten Führerin“ in der Frauenzeitschrift „Die Unzufriedene“.

Als Glück galt in Adelheids Jugend, zu heiraten, Kinder zu bekommen, nicht hungern zu müssen und ein Dach über dem Kopf zu haben. Sie hatte eine unglückliche Kindheit. Der Vater war gewalttätiger Alkoholiker und die Mutter Analphabetin, die ihre Tochter nach drei Jahren Schule zum Geldverdienen in die Fabrik schickte. „Glück“ bedeutete für ein Arbeitermädchen damals, nach einer 72-Stunden-Woche ein paar Gulden zum Familienbudget beisteuern zu können und von den Vorgesetzten nicht sexuell belästigt zu werden. Nichts deutete daraufhin, dass Adelheid die erste Berufspolitikerin Österreichs und die Mitbegründerin von Gewerkschaften und Frauenbewegung werden würde.

Am 11. Februar 1869, war sie als Adelheid Dworak auf die Welt gekommen. 1919 hielt sie als erste gewählte Nationalratsabgeordnete eine Rede im Parlament. Am 7. März 1939 ist sie gestorben. 2019, 150 Jahre nach ihrem Geburtstag und 100 Jahre nach ihrer Premiere im Nationalrat erschienen drei Bücher, die hintereinander gelesen ihre ganze Geschichte erzählen: Wie aus dem Fabrikmädchen die Mitbegründerin der Arbeiterinnen-Zeitung und Abgeordnete Adelheid Popp wurde.

Jugend einer Arbeiterin

Die Journalistin Sybille Hamann gab Popps Jugenderinnerungen „Jugend einer Arbeiterin“ neu heraus. Es ist eine Anleitung zur Selbstermächtigung: Adelheid beschreibt darin, wie sie den Mut fand, als Frau vor Männern zu sprechen, in Zeiten, als dies noch als unschicklich galt; wie sie erkannte, dass Männer nur über ihr eigenes Elend sprachen, niemals aber über jenes der Frauen. Sie machte die Doppelbelastung genauso zum Thema wie Kinderarmut, fehlende Kinderbetreuung, Abtreibungen und zu niedrige Frauenlöhne. Themen, die uns heute noch – und wieder vermehrt – beschäftigten. 

Frauenarbeit in der kapitalistischen Gesellschaft

Die Verlegerin Simone Klein sieht das ähnlich: Sie sagt, dass all die Errungenschaften der letzten mehr als 100 Jahre zerbröckeln. Deshalb legte sie Popps Werk „Frauenarbeit in der kapitalistischen Gesellschaft“ neu auf – als Kampfanleitung.

Bis ins Jahr 1918 war es Frauen verboten, politischen Organisationen beizutreten. Also gründeten sie Bildungsvereine und traten Gewerkschaften bei. Diese waren freilich männlich dominiert, deshalb forderte Popp die Gründung von Frauenreferaten und eine Quotenregelung. Und sie war an der Gründung von Gewerkschaften beteiligt: Sie berief die erste Versammlung der „weißen Sklavinnen“ – der Hausgehilfinnen und Dienstbotinnen – ein und war Patin des Vereins „Einigkeit“, der bald 900 Mitglieder zählte und ein eigenes Vereinsblatt herausgab. Popp hielt ab den 1890er Jahren Reden bei Streiks und bei Branchenversammlungen. Sie sprach etwa vor rund 1.500 streikenden LampenfabriksarbeiterInnen, wurde von den Textilarbeiterinnen zur Reichsvertrauensperson für Österreich gewählt und erarbeitete gemeinsam mit der Gewerkschafterin Anna Boschek das Konzept zum Aufbau einer Tabakarbeiterinnengewerkschaft.

In unzähligen Versammlungen und Artikeln forderte sie gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, Arbeitszeitreduzierung auf acht bzw. sechs Stunden pro Tag, den freien Samstagnachmittag und die Einstellung von weiblichen FabriksinspektorInnen. Simone Klein sieht in der Neuauflage von Popps Schriften eine Kampfanleitung, Errungenes zu verteidigen und alte Forderungen endlich umzusetzen und sagt: „Wir müssen wieder poppischer werden.“

Wir müssen wieder poppischer werden.

„Ich fürchte niemanden“

Der Autor Gernot Trausmuth wählte für sein Buch über Adelheid Popp und ihren Kampf für das Frauenwahlrecht den Titel „Ich fürchte niemanden“. „Adelheid Popp war unermüdlich, wenn es darum ging, Arbeiterinnen zu organisieren und sie zu ermächtigen, ihr Schicksal nicht länger zu ertragen. Sie war glaubwürdig, weil sie eine von ihnen war und aus eigener Erfahrung wusste, was es bedeutet, als Arbeiterin und Frau ausgebeutet und unterdrückt zu werden“, sagt er über Popp.

Sie war glaubwürdig, weil sie eine von ihnen war und aus eigener Erfahrung wusste, was es bedeutet, als Arbeiterin und Frau ausgebeutet und unterdrückt zu werden.

Trausmuth arbeitet in seinem Buch nicht nur Popps Einsatz für das Frauenwahlrecht heraus, sondern beleuchtet auch die Wurzeln, die sie zur „Erweckerin der Frauen“ machte, zur Kämpferin für Arbeiterinnenschutz und zur „Apostelin der Sozialdemokratinnen“.
 

Bücher:

  • Popp Adelheid, Jugend einer Arbeiterin, herausgegeben von Sibylle Hamann, erschienen im Picus Verlag Wien, 2019
  • Elsen Thierry, Klein Simone, Rökl Gabriele (Hrsg.), Adelheid Popp, Frauenarbeit in der kapitalistischen Gesellschaft, edition libica, 2019
  • Trausmuth Gernot, „Ich fürchte niemanden“, Adelheid Popp und der Kampf für das Frauenwahlrecht, Mandelbaum Verlag, 2019