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Jacob Lund; stock.adobe.com

Mitbestimmen heißt auch miteinander gestalten

Gerade zu Beginn der Corona-Pandemie hatten viele Jugendliche das Gefühl, dass Demokratie und Mitbestimmung in Gefahr sind. Wie es um die Mitbestimmung von Jugendlichen in der Gesellschaft steht und wie ernst sie genommen werden, schildert Jugendforscherin Beate Großegger im Interview mit der Solidarität. 

Solidarität: Haben Jugendliche in Österreich zu wenig Mitbestimmungsmöglichkeiten? 

Großegger: Ja und nein. Es wird zwar viel diskutiert, doch zu echten Konsequenzen führen die Diskussionen, die Jugendliche anstoßen, eher selten – übermäßig motivierend ist das für Jugendliche nicht. Für mich als Jugendforscherin wirkt es ein wenig so, als wäre man zwar an den Ideen der Jugend interessiert, mehr aber nicht. 

Zudem finden sich Lehrlinge in Jugendpartizipationsprojekten oft nicht wieder, weil hier höhere Bildungsschichten bevorzugt werden. Viele Lehrlinge fragen sich, was das mit ihnen zu tun hat. Solange sich das nicht ändert, dürfen wir auch nicht erwarten, dass sich diese Jugendlichen stärker beteiligen. 

Begreift man Mitbestimmung wie ich als Mitreden plus Mit-Verantwortung-Tragen, dann sollten möglichst früh Grundsteine dafür gelegt werden: in den Familien und auch in den Schulen.

Beate Großegger, Jugendforscherin

Gibt es Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen? 

Ja, durchaus: Mädchen werden in unserer Gesellschaft mit ihren Anliegen noch immer nicht gleich gehört wie Jungs. Hier liegt das Problem bei der Erwachsenengesellschaft, die, selbst wenn sie Gleichbehandlung von Mädchen und Jungs einfordert, oft nicht gut genug zuhört, sobald die Mädchen ihre Anliegen vorbringen. 

Mädchen interpretieren Mitbestimmung wohl oft auch anders als Jungs: Sie geben sich weniger offensiv, treten eher dialogorientiert auf, sind weniger tonangebend und ringen meist weniger um Deutungshoheit. Sie verstehen Mitbestimmung als Mitgestalten, oder besser, Miteinander-Gestalten. 

Dr. Beate Großegger ist wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien. Darüber hinaus ist sie an mehreren österreichischen Universitäten als externe Lehrbeauftragte tätig.

Wann muss der Grundstein für Beteiligung gelegt werden? 

Begreift man Mitbestimmung wie ich als Mitreden plus Mit-Verantwortung-Tragen, dann sollten möglichst früh Grundsteine dafür gelegt werden: in den Familien und auch in den Schulen. Zumal Mitreden vielleicht gar nicht so schwer ist und sich beim Mitreden auch schnell hohe Ziele formulieren lassen. Für das Erreichen der Ziele gemeinsam Verantwortung zu tragen, ist deutlich herausfordernder. Was gelernt und geübt werden muss, ist, sich realistische Ziele zu setzen, genauso wie Dialogfähigkeit und das richtige Quäntchen Pragmatismus. 

Was haben Sie vom Vorschlag der ehemaligen Sozialministerin Hartinger-Klein gehalten, den Jugendvertrauensrat abzuschaffen?  

Ich beteilige mich an dem Spiel, Politik zu kommentieren, nicht, sondern fokussiere auf meinen Kompetenzbereich, die Forschung. Aus der Perspektive der Sozialwissenschafterin, die sich seit langen Jahren damit beschäftigt, was Jugendliche bewegt, kann ich aber Folgendes sagen: Immer dann, wenn es aus Sicht der Jugendlichen schwierig wird, sind Ansprechpersonen für junge Menschen wichtig. Denen können sie mit Vertrauen begegnen, und die können im Bedarfsfall auch zwischen unterschiedlichen Anliegen vermitteln.

Jugendmitbestimmung im Betrieb 
Analog zu Betriebsräten haben auch Jugendliche im Betrieb eine gewählte Vertretung. Der Jugendvertrauensrat kümmert sich um die Anliegen der Lehrlinge und jugendlichen Beschäftigten. Im Jahr 2018 wollte die türkis-blaue Bunderegierung den Jugendvertrauensrat abschaffen – die Österreichische Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) konnte diesen Angriff abwehren. Mehr dazu: www.oegj.at/jvr