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ÖGB/Heinisch

Josef Staribacher - der Mann mit den vielen Spitznamen

Über Josef Staribacher erzählt man sich gerne Geschichten. Darüber, dass er als Handelsminister morgens immer fluchte – er kam zu sehr früher Stunde seiner selbstauferlegten Pflicht nach, die Ereignisse des Vortages auf Band zu sprechen. Darüber, dass Staribacher ein ungewöhnlicher Politiker war, steckte doch in seiner Sakkotasche stets ein Taschenmesser, um mit seinen MitarbeiterInnen Essen zu teilen, und eine Mundharmonika, mit der er immer wieder aufspielte – etwa beim Heurigen, bei seiner letzten Pressekonferenz und bei seinem Abschied im Ministerrat im Jahr 1983. Und darüber, dass er niemals Alkohol trank. Am 25. März 2021 wäre Josef Staribacher 100 Jahre alt geworden.

Grete Rehor stößt mit Wein, Josef Staribacher mit Wasser auf den 60. Geburtstag von Anton Benya an.
Grete Rehor stößt mit Wein, Josef Staribacher mit Wasser auf den 60. Geburtstag von Anton Benya an. ÖGB

Er war ein Minister zum „Anfassen“, der, um den Tourismus in Österreich zu bewerben, so manche/n Journalistin/en bei einer Bergtour abhängte oder sich von der Bergrettung an einem Seil hängend aus einer Schlucht fliegen ließ und dafür den Spitznamen „Oberster Stuntman der Republik“ erhielt.

Aber er war noch viel mehr: Antifaschist, Widerstandskämpfer, Gewerkschafter, Minister und von allen Seiten anerkannter Verhandler.

Josef Staribacher war auch ein Mann mit vielen Spitznamen, die ihm situationsbedingt verliehen und von seinen MitarbeiterInnen akribisch gesammelt wurden. Einen davon trug er, wie er sagte, wie einen Adelstitel: „Happy Pepi”. Andere Spitznamen, wie „Pickerl-Joe”, machten ihn berühmt und einige sind heute vergessen, wie „Bauxl”, „Sparibacher”, „Ziffernspion” oder „Sallibacher”.

Der „Bauxl“

Als Widerstandskämpfer während des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus war sein Deckname „Bauxl“ - ein Synonym für ein ungezogenes Kind. Wegen seiner „politischen Betätigung“ flog er von der Schule und im Jahr 1936 verhafteten die Faschisten den erst 15-Jährigen wegen „staatsfeindlicher Verbindungen“.

Dann aber hatte er Glück, er fand im Jahr 1938 einen Lehrplatz als Stein- und Offsetdrucker. In dem Betrieb bestand, als „Graphischer Bildungsverein“ getarnt, eine illegale Gewerkschaft der Grafiker. Ein Jahr später verhafteten die Nationalsozialisten „Bauxl“ und deportierten ihn ins Konzentrationslager Buchenwald. Er kam nach neun Monaten frei.

Der „Sparibacher“

Nach Kriegsende schloss er seine Studien der Volkswirtschaft und der Staatswissenschaft ab, war in der Arbeiterkammer tätig und engagierte sich in der Gewerkschaft der Lebens- und Genussmittelarbeiter (LUGA). Im Jahr 1960 wurde „Stari“ zum Obmann gewählt und blieb es 33 Jahre lang – obwohl er bis dahin mit LebensmittelarbeiterInnen eigentlich nichts zu tun gehabt hatte. Aber er galt als Spezialist für Ernährungsfragen.

Innerhalb der Gewerkschaft und später als Minister hielt er seine MitarbeiterInnen zu Sparsamkeit an, was ihm den Spitznamen „Sparibacher“ einbrachte. Bei den Forderungen nach besseren Arbeits- und Lebensbedingungen für ArbeiterInnen war er jedoch gar nicht sparsam.

Lebensmittelkarten (1945)
Lebensmittelkarten (1945) ÖGB

Der „Ziffernspion“

Den Spitznamen „Ziffernspion“ verpasste ihm der damalige Präsident der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Julius Raab (ÖVP). Staribacher hatte stets Förderquoten, Zinsentwicklungen und Handelsbilanzen im Kopf und fand mit „schlafwandlerischer Sicherheit“ falsche Zahlenangaben in den Unterlagen. Sein gutes Zahlengedächtnis brachte ihm als Gewerkschafter und später als Minister viele Verhandlungserfolge – auch bei Kollektivvertragsverhandlungen.

In der Nachkriegszeit hatte die LUGA mit beinahe allen Branchen Verträge abgeschlossen – allerdings galten diese nicht österreichweit und hatten sehr unterschiedliche Inhalte. So war eine der ersten Aufgaben des Gewerkschafters Staribacher der Abschluss eines heute noch bestehenden Rahmenkollektivvertrages. Weitere Ziele waren beispielsweise die Abschaffung der Frauenlohngruppen, die Verlängerung der Kündigungsfristen und die Einführung der Fünf-Tage-Woche.

Der „Sallibacher“

Sein gutes Verhältnis zum Nachfolger Raabs, Rudolf Sallinger (ÖVP), brachte dem Sozialdemokraten Staribacher den Spitznamen „Sallibacher“ ein. Nach seiner Ernennung zum Minister im Jahr 1970 sagte er, er verstehe, dass die UnternehmerInnen über einen roten Gewerkschafter als Handelsminister schockiert wären. Er zerstreute ihre Befürchtungen, indem er in „sozialpartnerschaftlicher Manier“ Kommissionen einsetzte und so ÖVPler an den Tisch holte. Zu Sallinger ließ er sich sogar eine eigene Telefonleitung legen.

Die Sozialpartner schätzten bald Staribachers Verhandlungsstil, die sachlichen Diskussionen und auch den Schmäh. Und zu verhandeln gab es viel.

Nach seinen größten Erfolgen und Niederlagen während seiner Amtszeit als Minister befragt, antwortete Staribacher: Die „Entstaubung der Gewerbeordnung“, die Verabschiedung des ersten Konsumentenschutzgesetzes, der Ausbau der Förderung von Klein- und Mittelbetrieben, die Einführung von Mindeststandards in Tourismusbetrieben und das Assoziierungsabkommen mit der European Free Trade Association (EFTA), das den Weg zur EU-Mitgliedschaft Österreichs ebnete. Als größten Misserfolg sah er – und damit war er damals bekanntlich nicht allein – die Ablehnung des Atomkraftwerkes Zwentendorf bei der Volksabstimmung im November 1978.

Parkplatz Autos BMW
Parkplatz Autos BMW ÖGB

Der „Pickerl-Joe“

Das Jahr 1973 endet mit dem Erdölschock. Der Preis des „Schmiermittels des wachsenden Wohlstandes und der Weltwirtschaft“ stieg um das Fünffache. Staribacher griff durch. Er verfügte, dass die Raumtemperatur in den ölbeheizten Bundesgebäuden höchstens 20 Grad betragen dürfe, führte die „Energieferien“ ein, um Heizkosten in den Schulen zu sparen, ließ Tankstellen am Sonntag schließen und das Tempo auf Autobahnen auf 100 km/h beschränken.

Ab Jänner 1974 gab es einen vorgeschriebenen autofreien Tag pro Woche. Jedes Auto musste ein „Pickerl” (einen Aufkleber) mit dem „Verbotstag“ auf der Windschutzscheibe kleben haben – das brachte ihm den Spitznamen „Pickerl-Joe“ ein. Er selbst fuhr oft mit dem Mofa ins Büro.

Der Ölpreisschock führte aber auch dazu, dass Staribacher sich vermehrt mit alternativer Energiegewinnung und Umweltschutz beschäftigte. Durch Informationskampagnen gelang es, die Bevölkerung vom Energiesparen zu überzeugen und den Grundstein zum Recycling von Altstoffen zu legen.

Josef Staribacher, Vorsitzender LUGA, Handelsminister
Josef Staribacher ÖGB

„Happy Pepi“

Der Spitzname „Happy Pepi” spiegelt seinen Charakter letztlich am besten wider: sein sonniges Gemüt, seinen Optimismus, seine umgängliche Art und sein „fröhliches Werben“ für die österreichische Wirtschaft und den Tourismus, weshalb er zudem „Radlminister“ und „Obermaschierer der Nation“ genannt wurde.

Am 20. Mai 1983 diktierte „Happy Pepi“ ein letztes Mal einen Tagebucheintrag. 13 Jahre lang war er zuvor Handelsminister gewesen. Mit dem Verlust der Mehrheit der SPÖ stellte er sein Amt zur Verfügung. Im ÖGB blieb er weiterhin aktiv, als Mitglied des Präsidiums und bis 1989 als Vorsitzender der LUGA, danach als „Pensionist mit vielen Nebenfunktionen“ bis zu seinem Tod am 4. Jänner 2014 in Wien.

Zu seinem 100. Geburtstag wird eine Verkehrsfläche in Wien nach ihm benannt. 

Infobox:
Josef Staribacher
Geboren: 25. März 1921 in Wien
Gestorben: 4. Jänner 2014 in Wien
Erlernter Beruf: Stein- und Offsetdrucker
Studium an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien
1960 – 2006: Mitglied ÖGB-Bundesvorstand
1960 – 1961: Geschäftsführender Vorsitzender der Gewerkschaft der Lebens- und Genussmittelarbeiter
1961 – 1989: Vorsitzender der Gewerkschaft der Lebens- und Genussmittelarbeiter
1961 – 1983: Abgeordneter der SPÖ zum Nationalrat
1967 – 1971: Vorstandsmitglied der Internationalen Union der Lebens- und Genussmittelarbeitergewerkschaften
1970 – 1983: Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie 
1983 – Mitglied im ÖGB-Präsidium