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Europäische Kommission/Etienne Ansotte

Europa

Positives Halbjahr für ArbeitnehmerInnen auf EU-Ebene

Mindestlohn, Lieferkettengesetz und mehr – wichtige Projekte während französischem Ratsvorsitz vorangebracht. Jetzt übernimmt Tschechien.

Nach sechs Monaten übergibt Frankreich mit 1. Juli den EU-Ratsvorsitz an Tschechien.

Auch wenn der Vorsitz stark vom französischen Wahlkampf und natürlich vom Ukraine-Krieg geprägt war, vermittelte die französische Regierung zwischen den Mitgliedstaaten immerhin bei der Verhandlung von mehr als 130 Gesetzesinitiativen. 

Höhere Löhne für 25 Millionen ArbeitnehmerInnen

Der mit Abstand wichtigste Erfolg aus Gewerkschaftssicht auf EU-Ebene im ersten Halbjahr 2022 ist die Mindestlohn-Richtlinie. Die EU-Staaten haben sich im Juni nach jahrelangen Verhandlungen darauf geeinigt, EU-weit Kollektivverträge mit transparenten Initiativen zu fördern und wenn nötig, „angemessene“ gesetzliche Mindestlöhne zu etablieren. Laut Studien wird das innerhalb kurzer Zeit zu Lohnerhöhungen für 25 Millionen Beschäftigte in Europa führen.

Die Richtlinie wurde im Rat zu Beginn sehr kritisch gesehen, am Ende stimmten nur Dänemark und Schweden dagegen, Ungarn enthielt sich. Der ÖGB hatte die Richtlinie wie der EGB (Europäischer Gewerkschaftsbund) und viele europäische Gewerkschaften von Anfang an unterstützt und auch wiederholt an die österreichische Bundesregierung appelliert, zuzustimmen. 

Die Umsetzung des europäischen Mindestlohns hat natürlich auch Auswirkungen auf Österreich, das mit einer kollektivvertraglichen Absicherung von 98 Prozent aller Beschäftigtenverhältnisse „KV-Weltmeister“ ist, wie ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian erklärt: „Wir sind aufgrund unserer geografischen Lage ein Hotspot für Arbeitskräftemobilisierung. Wenn die Löhne in den angrenzenden Ländern steigern, kommen weniger Menschen zu uns, was mehr Jobs bedeutet.“ 

Lieferkettengesetz – erster Durchbruch

Ein Durchbruch gelang in dieser Zeit auch beim Lieferkettengesetz, das ArbeitnehmervertreterInnen in Europa seit Jahren fordern, um Großunternehmen für die Zustände bei ihren Zulieferern stärker in die Pflicht zu nehmen. In der EU tätige Firmen sollen dazu gebracht werden, dass ihre weltweiten Lieferanten Arbeitsrechte und Umweltstandards einhalten.

Der im Februar präsentierte Entwurf der EU-Kommission ist ein guter Ansatz, birgt aber noch einige Schlupflöcher für Unternehmen, sind sich Gewerkschaften und NGOs einig. Der ÖGB kritisiert etwa, dass Gewerkschaften laut Gesetzesentwurf zwar bei Verstößen Beschwerde einlegen können, aber sonst bei der Risikoanalyse nicht eingebunden sind.

Die Gewerkschaften werden sich weiter stark machen, der Ausbeutung von ArbeitnehmerInnen ein Ende zu setzen.

 Mehr Frauen in Führungspositionen

Nach zehn Jahren Stillstand wurde außerdem ein Deal für die sogenannte „Women on Boards“-Richtlinie erreicht, die in Zukunft mehr Frauen in Führungspositionen garantieren soll. Diese Richtlinie soll sicherstellen, dass Unternehmen ihre Auswahlverfahren anpassen und sie fairer, transparenter und mit klaren, vorab festgelegten Kriterien ausgestalten.

Eine solche gesetzliche Vorgabe ist längst überfällig: Nach Schätzungen des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen sind derzeit nur 30,6% der Aufsichtsratsmitglieder weiblich und nur 8,5% der Vorstände in der EU mit Frauen besetzt.

Bis zum Jahr 2027 sollen entweder mindestens 40 Prozent der Mitglieder in den Aufsichtsräten Frauen sein oder es ist ein Frauenanteil von 33 Prozent für Aufsichtsräte und Vorstände zu erreichen. 

„Das ist ein enormer Fortschritt, der lange für viele Mitgliedsstaaten undenkbar gewesen wäre“, freute sich die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Evelyn Regner, die als Verhandlerin maßgeblich an diesem Erfolg beteiligt ist. Auch ÖGB-Vizepräsidentin und Frauenvorsitzende Korinna Schumann begrüßt die Einigung: „Nur, wenn eine Quotenregelung angewendet wird, geht auch beim Frauenanteil etwas weiter!“

Konferenz zur Zukunft Europas fordert mehr soziale Gerechtigkeit

Unter dem französischen Vorsitz wurde außerdem die einjährige Konferenz zur Zukunft Europas abgeschlossen. Ziel war es, den Dialog der europäischen BürgerInnen mit den EU-Institutionen zu fördern. Gemeinsam mit verschiedenen Stakeholdern wie dem EGB wurden Ziele vereinbart.

Die Beteiligung der BürgerInnen im Konferenzprozess war von zentraler Bedeutung. Sie brachte frischen Blick von außen mit, 800 im Zufallsverfahren ausgewählte TeilnehmerInnen sprachen sich mit großer Mehrheit für mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit in Europa aus. Im März wurden ihre 178 Empfehlungen dem Plenum der Konferenz überreicht. Die Konferenz über die Zukunft Europas hat sich ausdrücklich für Vertragsänderungen und für ehrgeizige sozialpolitische Maßnahmen ausgesprochen. In die Schlussfolgerungen wurden einige Gewerkschaftsforderungen aufgenommen:

•       Stärkung der Zuständigkeiten der EU in der Sozialpolitik

•       Aufnahme eines sozialen Fortschrittsprotokolls in die EU-Verträge

•       Europäische Mindestlöhne 

•       Mehr soziale Mindeststandards, z.B. Mindesteinkommen (Grundsicherung) und Mindestpensionen 

Katzian: Jetzt geht es um die Umsetzung

„Wir erwarten von den Staats- und Regierungschefs der EU, dass sie ihr Versprechen einlösen, die Schlussfolgerungen der Konferenz zu respektieren“, sagt Katzian: „Jetzt geht es an die Umsetzung, insbesondere ist ein so genannter Konvent notwendig, der auch Vertragsänderungen vorbereiten kann“. Hier regt sich bei einigen Mitgliedstaaten, der Kommission aber auch bei den Arbeitgebern bereits Widerstand.

Die Gewerkschaften haben bereits bei der Umsetzung der Mindestlohnrichtlinie ihren langen Atem bewiesen, der weiterhin notwendig sein wird. 

Plattformarbeit und Lohntransparenz auf der Agenda im 2. Halbjahr 2022

Auch wenn der tschechische Ratsvorsitz angekündigt hat, Außen- und Sicherheitspolitik wie die Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit in den Fokus stellen zu wollen, wird es mit dem ebenso formulierten Fokus auf Energiesicherheit auch im zweiten Halbjahr 2022 um Themen mit großer Relevanz für ArbeitnehmerInnen gehen.

Außerdem werden wichtige, sozialpolitische Dossiers verhandelt. Angestrebt werden Ratspositionen, in denen die allgemeine Ausrichtung definiert ist, zur Richtlinie über Plattformarbeit und zur Überarbeitung der ArbeitnehmerInnen-Schutzrichtlinie über den Umgang mit Asbest.

Außerdem auf der Agenda: Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen, sogenannte Trilogverhandlungen, über die Lohntransparenzrichtlinie und die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme in Europa.

 

 

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